Still werden vor Gott angesichts des Leids

Gottesdienst zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Wöbbelin

01. Mai 2021

Wöbbelin/Ludwigslust/Greifswald. Auf Polnisch, Niederländisch, Russisch, Englisch, Französisch und Hebräisch erklingen die Gebete im Gottesdienst: Aus 25 Ländern stammten die Menschen, die im Konzentrationslager Wöbbelin litten und starben. Zum 76. Jahrestag der Befreiung feierten heute Vormittag (2. Mai) Bischof Tilman Jeremias, Landesrabbiner Yuriy Kadnykov und der katholische Propst Georg Bergner einen Gottesdienst in der Stadtkirche des benachbarten Ludwigslust.

Dieser wurde aufgezeichnet und kann ab 16 Uhr auf dem YouTube-Kanal der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin gesehen werden.

Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche, lädt darin ein zum stillen Gedenken: „In der Stille verneigen wir uns vor den Hunderten Menschen, die in Wöbbelin starben: ausgezehrt, erschöpft, verhungert, ohne jede Hilfe, viele von ihnen nach tagelanger Fahrt, zusammengepfercht in Viehtransporten ohne Essen und Trinken. In dieser Stille nehmen wir besonders diejenigen in unsere Mitte, die das Grauen von Wöbbelin überlebt haben und diesen Gottesdienst mit verfolgen. Wir werden still vor Gott. Ihm bringen wir unser Erschrecken, unsere Sorge, unsere Ohnmacht angesichts von Hass und Gewalt, unsere Sehnsucht nach Frieden, unsere Erinnerung an die Opfer der Naziherrschaft.“

Landesrabbiner liest auf Hebräisch

Auf Hebräisch liest Yuriy Kadnykov einen Text aus der Abschiedsrede des Mose in der Bibel („Deuteronomium“). In seiner Auslegung sagt der Landesrabbiner der Jüdischen Gemeinden von Mecklenburg-Vorpommern: ‚Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele, und deiner ganzen Kraft‘ verlangt von uns die Tora. Für viele Menschen, die während der Schoahvernichtet wurden, waren diese Worte die letzten, die sie in diese Welt setzten. Die, welche das Horror-Jahrzehnt überlebt haben, mussten sich erneut mit diesem Text auseinandersetzen. Einige haben mit ihrer Vergangenheit völlig gebrochen, andere versuchten, darin die Kraft zu finden, um über das Verbrechen hinweg zukommen. Wo auch immer uns unser Lebensweg hinführt, sollten wir diese Worte – wie es in der Tora heißt  – ‚zum Zeichen an deine Hand binden, sie sollen zum Stirnschmuck zwischen deinen Augen sein‘. So lehrt uns unsere Tradition, dass wir immer wieder Kraft finden müssen, zum Ewigen unser Herz zu richten.“

Gedenken, um die Zukunft zu gestalten

Dass der Gottesdienst am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in mehreren Sprachen gehalten wird, hat Tradition erläutert Katharina Lotz, die Stadtpastorin von Ludwigslust. Sie hat in Kooperation mit den Mahn- und Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim eingeladen. „Jedes Jahr feiern hochbetagte Überlebende und Angehörige aus aller Welt mit uns diesen Gottesdienst. Deshalb ist das digitale Gedenken dieses Jahr so wichtig, damit diese zumindest am Bildschirm mit dabei sein können.“ Für Pastorin Lotz ist das Anliegen des Gottesdienstes hoch aktuell: „Es geht für uns darum, an die Vergangenheit zu erinnern und die Zukunft zu gestalten. Selbst hier in unserem Ort haben wir mit Rassismus zu tun. Bis heute ist es nicht selbstverständlich, welche Hautfarbe, Herkunft und Religion Menschen haben, die hier leben.“

Seelsorgerin: Geschichte wirkt heute noch fort

Als Seelsorgerin erlebe sie, wie die Geschichte bis heute fortwirke. Im Februar 1945 als Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme mit einfachsten Mitteln erbaut, war Wöbbelin in den letzten Kriegstagen völlig überfülltes Auffanglager der Todesmärsche aus aufgelösten Lagern. Von 5000 Häftlingen, die hier zusammengepfercht waren, starben mehr als tausend Menschen. Katharina Lotz: „Das waren völlig provisorische Baracken und es gab weder Essen noch Trinken. In den Pritschen lagen die Menschen aufeinander.“

Am 2. Mai 1945 befreiten die Amerikaner die Überlebenden, von denen Hunderte noch in den kommenden Tagen an Entkräftung sterben sollten. Katharina Lotz erzählt: „Die Verstorbenen wurden öffentlich auf einem Feld vor dem Schloss bestattet, und die Amerikaner verlangten von den Ludwigslustern, sich das anzugucken, damit niemand die Gräueltaten leugnen konnte. Jeder musste ein Laken mitbringen als Leichentuch, um den Toten die Ehre zu erweisen. Mir erzählen die Alteingesessenen oft, was für ein einschneidendes Erlebnis das für sie als Kind war.“

Wie die Feier eines weiteren Geburtstages

Wie in vielen Gedenkstätten überlegt man auch in Wöbbelin, wie es weitergehen wird, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sind, um zu erzählen. Katharina Lotz: „Hier sehe ich ganz klar eine Aufgabe der Kirche: Erinnerungen Raum und Rituale zu geben. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder erlebt, wie der Geist dieses Gottesdienstes Ängste und Nöte überwindet. Für manche der Überlebenden ist das wie die Feier eines zweiten Geburtstags, dass sie sagen: Gott hat uns neues Leben geschenkt. Diese Gottesdienste bringen den Frieden, den wir brauchen.“

 

Datum
01.05.2021
Quelle
Pressestelle der Nordkirche
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