Konsequenzen aus dem Bericht der unabhängigen Expertenkommission

Nordkirche weitet Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch aus

Pröpstin Ulrike Murmann, Kirchenkreis Hamburg-Ost, und Bischöfin Kirsten Fehrs (re.) bei der Pressekonferenz zum Bericht der Unabhängigen Expertenkommission
Pröpstin Ulrike Murmann, Kirchenkreis Hamburg-Ost, und Bischöfin Kirsten Fehrs (re.) bei der Pressekonferenz zum Bericht der Unabhängigen Expertenkommission© Sven Kriszio / Evangelische Zeitung

14. Oktober 2014 von Stefan Döbler

Hamburg. Mit konkreten Maßnahmen weitet die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) ihr Vorgehen gegen sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen aus und erweitert Hilfs- und Begleitungsangebote für Opfer und Betroffene. Hintergrund der Maßnahmen ist der heute von der Nordkirche und dem Kirchenkreis Hamburg-Ost veröffentlichte „Schlussbericht der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Gebiet der ehemaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, heute Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland“, den die Nordkirche und der Kirchenkreis Hamburg-Ost im Jahr 2012 in Auftrag gegeben hatten und den die Kommission nun vorgelegt hat.

Nordkirche stellt Zehn-Punkte-Plan auf

Die Nordkirche zieht unmittelbar Konsequenzen aus dem Bericht. Auf Basis der wesentlichen Empfehlungen der unabhängigen Experten hat die Erste Kirchenleitung der Nordkirche kirchliche Fachstellen um die Erarbeitung von Konzepten und die Einleitung bereits vorbereiteter Maßnahmen gebeten. Dazu wurde ein vorläufiger Zehn-Punkte-Plan aufgestellt.

Umgehend wird ein fachlich qualifiziertes, kirchliches Beschwerdemanagement eingerichtet, das eine bereits im Aufbau befindliche externe Ombudsstelle ergänzen soll. Neben einer zentralen Meldestelle soll zudem auch ein nordkirchenweit agierendes Kriseninterventionsteam aus erfahrenen Fachkräften zum Einsatz kommen, um vor Ort die Soforthilfe für Betroffene und Verantwortliche zu übernehmen. Die seit 2013 bestehende Koordinierungsstelle der Nordkirche soll – orientiert an Empfehlungen der unabhängigen Kommission – die Aufgaben einer „Arbeitsstelle gegen sexualisierte Gewalt“ in ihr Konzept aufnehmen. So sollen Experten mit psychosozialer Fachkompetenz die akute Krisenintervention sowie die Unterstützung Betroffener und Verantwortlicher fachlich absichern.

Darüber hinaus strebt die Erste Kirchenleitung der Nordkirche langfristig strukturelle Veränderungen an, die die Mitwirkung mehrerer kirchlicher Gremien bis hin zur Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) voraussetzt.

Sexuelle Grenzverletzungen, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen, sollen generell im Disziplinar- und Arbeitsrecht berücksichtigt werden. Gemeinsam mit den Betroffenen soll in einem Fachteam im Einzelfall entschieden werden, ob im Falle einer sexuellen Grenzverletzung eine Strafanzeige an die Strafverfolgungsbehörden gestellt wird oder nicht.

Die Schutz-, Handlungs- und sexualpädagogischen Konzepte in der Kinder- und Jugendarbeit sollen mit Blick auf die Empfehlungen der Expertenkommission überarbeitet und angepasst werden. Die Abstinenz von sexuellen Kontakten und Beziehungen wird grundsätzlich für kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und Seelsorge geregelt und festgeschrieben. Ein Abstinenzgebot gilt bereits jetzt, es soll ergänzend im Dienstrecht und in Arbeitsverträgen als Norm aufgenommen werden. Vor Neueinstellungen in der Kinder- und Jugendarbeit wird ein erweitertes Führungszeugnis verbindlich vorgeschrieben. Haupt- und Ehrenamtliche sollen eine Verpflichtungserklärung für ein grenzachtendes Verhalten abgeben.

Ziel all der Maßnahmen ist es, in der Nordkirche das Bewusstsein für eine „Kultur der grenzachtenden Kommunikation und Klarheit“ durch Fortbildungen und weitere Maßnahmen zu schärfen.

Der von der Kirchenleitung aufgestellte Zehn-Punkte-Plan sieht außerdem vor, dass die Nordkirche in einen Entscheidungsprozess eintritt, der die Verankerung des Kinder- und Jugendschutzes nach der UN-Kinderrechtskonvention in ihren Gesetzen zum Ziel hat. Schutz-, Handlungs- und sexualpädagogische Konzepte in der Kinder- und Jugendarbeit sollen mit Blick auf die Empfehlungen der Expertenkommission überarbeitet und angepasst werden.

Die Nordkirche unterstützt Initiativen für die Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen für sexuelle Übergriffe, wie die des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Eine klare Unterscheidung von Dienstaufsicht und Seelsorge geht bereits jetzt aus dem geltenden Recht der Kirche hervor. In der praktischen Umsetzung soll dies durch Fortbildung und Information noch stärker vermittelt werden.

Bischöfin Fehrs dankt Expertenkommission und Betroffenen

Anlass für den Auftrag der Nordkirche an die unabhängige Expertenkommission waren zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Kirchengemeinde Ahrensburg in den siebziger und achtziger Jahren, die im Jahr 2010 bekannt wurden. Mit dem Auftrag für die Untersuchungskommission hatte die Nordkirche auch ein Verfahren für individuelle Unterstützungsleistungen zugunsten von Missbrauchsopfern in Anerkennung ihres Leides und in Verantwortung für die Verfehlungen der Institution beschlossen.

Großen Respekt und Dank spricht Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche im Sprengel Hamburg und Lübeck, den Experten für ihren rund 500 Seiten umfassenden Bericht aus: „Wir haben sehr tiefgehende Einsichten gewonnen, sowohl durch die sorgfältigen juristischen Analysen als auch die eindrückliche Schilderung der psychosozialen Dynamiken, die durch Grenzverletzungen bis hin zu massiver sexueller Gewalt ausgelöst wurde. Mit den 155 Empfehlungen des Berichtes haben wir uns bereits großenteils auseinandersetzen können. Sie werden nicht nur unsere bereits bestehende Präventions- und Interventionsarbeit verbessern helfen, sondern auch zu ergänzenden neuen Maßnahmen führen.“

Ausdrücklich dankt Bischöfin Fehrs den Betroffenen, die mit ihrer Gesprächsbereitschaft die Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass der Bericht erstellt werden konnte: „Ich habe große Hochachtung vor der Belastung, der sich Betroffene immer wieder ausgesetzt haben, um ihre leidvollen Erfahrungen mitzuteilen.“ Ebenso respektiere sie die Entscheidung derjenigen, denen dies nicht möglich war: „Die Nordkirche bleibt für sie und für das von ihnen bislang Unausgesprochene offen und steht für Gespräche und Begleitung zur Verfügung.“

Pröpstin Dr. Murmann: Perspektive der Betroffenen verstärkt wahrnehmen

Die Nordkirche nimmt verstärkt die Perspektive der Betroffenen wahr, um den Opferschutz zu stärken. In die weitere Aufarbeitung und die Entwicklung von Präventions- und Interventionskonzepten sollen die Erfahrungen Betroffener einbezogen werden. Pröpstin Dr. Ulrike Murmann, Kirchenkreis Hamburg-Ost, erläutert dazu: „Während der vergangenen Jahre haben wir erkannt, wie wichtig es ist, die Perspektive der Betroffenen kennenzulernen. Mit Achtsamkeit und Respekt, mit Empathie und Sensibilität wollen wir ihnen begegnen, sie schützen, ihre Anliegen ernstnehmen, verstehen und helfen. Zukünftig werden wir darauf achten, dass interne wie externe Fachleute, Notfallseelsorger wie Psychologen beziehungsweise Trauma-Therapeuten bereitstehen, um erste und später auch nachsorgende Hilfe zu leisten.“ Den Vorschlag, innerhalb der Nordkirche ein erfahrenes Kriseninterventionsteam aufzubauen, und den Aufbau eines Beschwerdemanagements zur Anzeige grenzverletzenden Verhaltens begrüßt die Pröpstin als „hilfreiche Instrumente“.

Die Expertenkommission hat in den vergangenen zwei Jahren Missbrauchsfälle und ihre Auswirkungen in Ahrensburg und anderen Kirchengemeinden untersucht. Die Mitglieder der Kommission waren:

  • Dr. Dirk Bange, Leiter der Abteilung für Kindertagesbetreuung und Familie bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg
  • Ursula Enders, Diplom-Pädagogin und Traumatherapeutin, Mitbegründerin und Leiterin von Zartbitter Köln, Kontakt- und Informationsstelle gegen Missbrauch an Mädchen und Jungen
  • Petra Ladenburger, Rechtsanwältin in Köln, spezialisiert auf Beratung und Vertretung von Betroffenen sexualisierter und häuslicher Gewalt
  • Martina Lörsch, Fachanwältin für Strafrecht, Bonn, Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Köln, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften.

Der Bericht der unabhängigen Kommission enthält einen juristischen und einen sozialwissenschaftlichen Teil, Empfehlungen an die Nordkirche sowie einen Anhang zu den Fällen sexuellen Missbrauchs durch einen Erzieher in einer Kindertagesstätte.

Nordkirche veröffentlicht kompletten Bericht im Internet

Heute, 14 Uhr, stellt die Nordkirche den „Schlussbericht der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Gebiet der ehemaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, heute Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland“ komplett im Internet unter www.kirchegegensexualisiertegewalt.nordkirche.de zur Verfügung. Auch die von der Kommission erstellte Zusammenfassung kann dort heruntergeladen werden.  Ebenso sind dort Angebote der 2013 gegründeten Koordinierungsstelle Prävention der Nordkirche zu finden, Hinweise zu Beratung und Hilfe, Kontaktadressen, Informationen und weiterführende Internet-Links zum Thema.

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