10. Mai 2020 | Auferstehungskirche Barmbek-Nord

100 Jahre Auferstehungskirche Barmbek-Nord

10. Mai 2020 von Kirsten Fehrs

Sonntag Kantate, Festgottesdienst, Predigt zu Kolosser 3,12-17

Liebe Festgemeinde,

es kommt mir noch gar nicht so lang vor, dass ich hier stand, um dieser Ihrer Auferstehungskirche zum 90. zu gratulieren. Ich war damals Ihre Pröpstin. Es ist schön, liebe Astrid Kleist, dass wir hier gemeinsam stehen, die wir ja beide auch St. Jacobi verbunden sind, der Mutterkirche, die um 1630 tatsächlich mal eben das ganze Dorf Barmbek mitversorgt hat. Ich erinnere mich wie gestern, dass die neunzigjährige alte Dame mitnichten nur ein Dinner for one ausrichtete. Stattdessen fanden sich Mengen von Barmbekern und Freundinnen ein, Berge von Kuchen waren zu erlegen und zahlreiche ehrenamtliche Butler und Butlerinnen konnten gar nicht genug Gastfreundschaft ausstrahlen. Barmbek eben. Ich liebe es.

Nun ist die alte Dame Hundert. Und ich bin zehn Jahre älter, oha, aber dafür wenigstens Bischöfin, die Ihnen herzlich zu diesem großartigen Jubiläum gratuliert. Und ich schaue mich hier um und staune, wie gut sie sich gehalten hat. Nach wie vor hat sie dieses helle, sonnige Gemüt – die Auferstehung zeigt sich in der Sonne, die ja jeden Tag aufs Neue aufgeht. Und so strahlt sie buchstäblich Geborgenheit aus, diese Kirche, immer schon war sie eine sagenhaft gastfreundliche Herberge – und ist es weiterhin. Und dies für die Glücklichen ebenso wie für die Erschütterten, für die Nachdenklichen ebenso wie für die Verstörten auch unserer Tage.

Und gerade in diesen Tagen! In rasender Schnelligkeit hat ein Virus Verunsicherung und große Existenzängste ausgelöst, ja, es hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Auch die Kirchenwelt. Denn normalerweise hätten wir hier gefeiert, was Sonntag Kantate hergibt. Mit Pauken, Trompeten und Zimbelstern, mit lauten Chorälen und Festmahl, Lachen und Gemütlichkeit – auch oben auf der Empore, wo Ihr oft sitzt und schnackt. Doch es sind Corona-Zeiten. Leiser, trotz des wunderbaren Gesangs und der imposanten Orgel, die ihr Bestes gibt. Ein wenig fremd auch mit dem Mund-Nasen-Schutz, mit dem man die anderen schützt, ein Akt der Nächstenliebe besonderer Art. Anders also sind wir hier, aber: Wir feiern! Wir feiern Jubiläumsgottesdienst – unerschütterlich. Wir sind, Gott sei Dank, in geschwisterlicher Gemeinschaft beisammen. Danke für all die Vorbereitungen an Pastorin Urbach. Ich freue mich besonders, dass ich diesen ersten wieder möglichen Gottesdienst mit Ihnen feiern darf.

Auch die Auferstehungskirche ist ja eine Unerschütterliche was hat sie nicht alles erlebt seit 1920. Inmitten der Kriegswirren des Ersten Weltkrieges begann der Bau der Kirche, bevor der junge Architekt Camillo Günther an die Front geschickt wurde und damit die Bauarbeiten zunächst zum Erliegen kamen. Doch er kehrt unbeschadet zurück. So konnte, nach vielen Umwegen und Mühen, die Kirche 1920 endlich geweiht werden. Mitten im zerstörten Barmbek bedeutete diese unversehrte neue Kirche wahrlich Auferstehung und Leben. Sie hat die zentrale Botschaft unseres Predigttextes, am 4. Sonntag nach Ostern, Gestalt werden lassen, wenn es heißt: „Und der Friede Christi regiere in euren Herzen, zu dem ihr ja in einem Leib berufen seid.“ In dieser Botschaft vom Friedensregiment hat von jeher eine enorme Kraft gesteckt. Ja, Kraft und Glauben – in aller Breite, Länge, Höhe und Tiefe – hat diese Kirche aufstehen lassen, gebaut von Menschen, die hartnäckig dran geblieben sind, um in jenen aufgewühlten Zeiten ein eindeutiges Friedenszeichen zu setzen. Denn allerorten verdunkelten das Entsetzen und die Trauer um die Millionen Opfer des Ersten Weltkrieges die Seelen; die Schatten einer wirtschaftlich schwierigen Zeit waren schon zu ahnen.

Mitten hinein haben sie eine Kirche gebaut, die Barmbeker. Mit einer Kanzel und einem Altar, nicht hoch erhaben, sondern in der Mitte, nahe bei den Menschen. Nahe bei ihnen, die Not litten, die Heimat suchten und Arbeit, die um ihre Zukunft bangten. Sie haben eine Kirche gebaut und den Trümmern des Todes die Stein gewordene Auferstehungsbotschaft entgegengestellt. Sie haben damit Widerstand geübt gegen Depression und heldischen Hochmut. Denn: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ Was für ein starkes Bibelwort, das die Gründer der Kirche über die Tür anbringen ließen. Nicht zuletzt mag es dieses Wort gewesen sein, das später Menschen in dieser Gemeinde ermutigte, politischen Widerstand gegen die Nazis zu üben und der Gleichschaltung Hausverbot zu erteilen.

Seit 100 Jahren nun haben unzählige Menschen unter diesem Wort die Auferstehungskirche betreten. Und sie breitet mit großer Innigkeit die Arme aus. Ihr seid uns teuer, sagt sie. Empfangt hier in diesem besonderen, heiligen Raum, was euch kein Mensch geben kann. Nämlich die Kraft, das Leben nicht nur zu bestehen, sondern das Leben zu lieben.

Hier ist Leben; hier bist du in deiner Würde unantastbar. So viele Menschen mögen das an diesem Ort nicht nur gehört, sondern auch empfunden haben – all die, die gekommen sind mit ihren Täuflingen, voller Dankbarkeit über dieses Wunder, das sie in Armen halten. Die gekommen sind mit der Liebe ihres Lebens an der Seite. Die hier hinter Särgen gestanden haben mit Trauer im Herzen. Wie eine gute Freundin hat diese Kirche sie alle über die Zeiten hinweg willkommen geheißen, hat sie gesegnet und getröstet. Sie hat mit ihren Mauern Schutz gegeben und Grenzen gesetzt, sie hat mit ihrer Musik Herzen tanzen lassen, hat Menschen ins Gebet genommen und manch gutes Wort eingelegt. Auch in erschütternden Zeiten blieb sie unerschütterlich, ein Haus, in dem Gott selbst Platz nimmt, seit 100 Jahren schon, immer da, für die Suchenden und Singenden. Liebevoll beschrieben ist dies alles in der Festschrift, die mit vielen Interviews und historischen Einblicken spannend zu lesen ist, vielen lieben Dank für Ihren besonderen Einsatz dafür, lieber Pastor Hanno.

„Seid dankbar“, fällt hier der Kolosserbrief ein. „Dankt Gott, wie einer Mutter oder einem Vater. Deshalb wohne das Wort Christi reichlich unter euch. In aller Weisheit lehrt und lenkt einander mit Psalmen, Hymnen, geistgewirkten Liedern. Mit Anmut singt in euren Herzen vor Gott.“

Danken und Singen, das gehört zusammen. Denn im Singen atmet der Mensch auf, schaut sich neu um, fühlt die Schönheit. Wer singt, ist aufgerichtet. Ist für den Moment von Last befreit, gerade in niederdrückenden Zeiten. Singen ist Gemeinschaft, und Singen gibt Rhythmus, alles elementare Lebens-Mittel … Doch der gemeinsam gesungene Dankeschoral mit Inbrunst – ist erst mal abgesagt. Heißt: Das, was für uns, neben der Wortverkündigung, als höchster Ausdruck protestantischen Glaubens gilt, muss in dieser Corona-Zeit ruhen oder anders gehen.

Und ich höre noch einmal genau hin, auf die Zwischentöne des Predigttextes. „Mit Anmut“, heißt es, „mit Anmut singt in euren Herzen vor Gott.“ Singt in euren Herzen, das geht ja auch ganz innig. Und leise. Man kann Musik auch einatmen wie eine gute heilsame Kraft. Und man kann summen, denn das ist nicht verboten. Und das machen wir jetzt einfach mal – Lobe den Herren, den Text brauchen wir ja nicht ... [Gemeinde summt den Choral]

Merkt ihr? Musik ist selbst eine Kraft des Glaubens, eine Sprache, die trägt und tröstet und das Herz erreicht. Ich glaube, gerade in diesen Tagen braucht es genau so eine, über die soziale Distanz verbindende Herzenssprache. Eine Sprache, die klug ist und Völker zu verbinden vermag. Sie kann ausdrücken, was uns bewegt und bewegt in uns, was wir nicht sagen können.

Der Komponist Martin Luther hat dies wunderschön beschrieben: „Musicam habe ich allzeit lieb gehabt. [...] Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaft zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, die hitzige und übermäßige Liebe zu stillen, den Neid und den Hass zu mindern.“

Die Verzagten herzhaft machen und den Neid und Hass mindern, das ist die Botschaft der Singenden und Summenden. Unbedingt zu hören von den Ängstlichen und Verstörten unserer Tage. Aber auch unbedingt zu singen und zu sagen an die Adresse der Aufhetzer und Verschwörungstheoretiker, die in diesen Zeiten Ängste schüren und Hasstiraden brüllen. Deshalb, liebe Gemeinde, brauchen wir mehr denn je die religiös Musikalischen in diesen Zeiten. Die, die nicht unbedingt bibelfest sind, aber dennoch ganz genau darum wissen, dass es im derzeit so tosenden Weltkonzert darum geht, den Ton der Mitmenschlichkeit durchzutragen. So wie es der Kolosserbrief uns nahelegt: „Zieht also an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld.“

Genau das. Genau das entdecke ich auch hier, in Nordbarmbek, in dieser besonderen Gemeinschaft der Auferstehungskirche. Eine Gemeinschaft im Namen Gottes, die sich fürsorglich kümmert um „ihre Barmbeker“ – von den Ältesten bis zu den Kleinsten. Ihr seid eine Gemeinschaft, die trotz materieller Einschnitte in den letzten Jahrzehnten „ihre Frau steht“, seit langem schon mit mehreren zusammen. Eine Gemeinschaft, die sich immer politisch engagiert hat und der Moderne Raum gibt. Ihr seid eine Gemeinschaft, die im Stadtteil mitredet und mitfeiert, immer dabei, kulturell und spirituell, mitunter sensationell – offen im Gespräch. Ihr seid eine Gemeinschaft, in der es orgelt und swingt, und die Wort hält. Danke euch allen, die ihr daran mittut – all die Ehren- und Hauptamtlichen und Pastor*innen über die 100 Jahre. All die, die nun neue Zukunft wagen.

Gott segne euch dafür. Gebe Euch Kraft, seinen Ton hinauszutragen in die Welt – unerschütterlich wie eh. Damit alle, ausnahmslos alle, im Herzen hören von der Hoffnung, die niemals aufhört. Lobe den Herren!
Amen.

Datum
10.05.2020
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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