Evangelische Zeitung: Thema der Woche

100 Jahre Fließband - gerät die Menschlichkeit unter die Räder?

Arbeiterinnen in einer Hähnchenschlachterei im Emsland. Fließbandarbeit hat ihren Ursprung in amerikanischen Schlachthöfen.
Arbeiterinnen in einer Hähnchenschlachterei im Emsland. Fließbandarbeit hat ihren Ursprung in amerikanischen Schlachthöfen. © epd-bild / Gerold Meppelink

09. Januar 2014 von Simone Viere

Vechta. Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt, es könne die Situation eintreten, in der es für die Kirchen darauf ankäme "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". In den vergangenen Monaten ist mir durch Erfahrungen und Beobachtungen in einem bestimmten Wirtschaftssegment klar geworden: Hier müssen die Kirchen eingreifen und bremsen.

Schwangerschaftskonfliktberaterinnen erzählten mir von rumänischen und bulgarischen Arbeiterinnen, die im Oldenburger Land auf Schlachthöfen zu Dumpinglöhnen arbeiten und mit einer ungeplanten Schwangerschaft alles verlieren. Sie haben buchstäblich nichts mehr: keine Rechte, kein Geld, keine Versicherung. Die Beraterinnen erzählten mir von rumänischen und bulgarischen Arbeitern, die für ihre oft erbärmliche Unterkunft horrende Preise zahlen müssen. Sie wüssten von Fällen, wo das gleiche Bett von drei Arbeitern genutzt wird – "Schichtbetrieb"! Unter unsäglichen hygienischen Bedingungen werden abbruchreife Häuser mit Rumänen, Bulgaren und anderen vollgestopft. In einer Überprüfung durch den Landkreis Vechta fand man auch solches vor: 70 Namen an der Tür; 15 Leute in einem Schlafraum; Räume, die nicht so hoch waren, dass man aufrecht darin stehen konnte…

Sie haben buchstäblich nichts mehr: keine Rechte, kein Geld, keine Versicherung

Das zunächst legale und weitverbreitete Arbeitsmarkt-Instrument der Werkverträge wird missbraucht, um elementarste Standards von Entlohnung und Absicherung systematisch zu unterlaufen. In der Fleischbranche aber auch in vielen anderen Bereichen unserer Volkswirtschaft haben wir es beim Missbrauch der Werkverträge mit einem staatlich geduldeten rechtsfreien Raum zu tun. Hier geschieht offenkundiges Unrecht, man muss an vielen Stellen von "Ausbeutung" sprechen und von "moderner Sklaverei". Im Durchschnitt 62 Prozent der Arbeitsplätze in der Fleischindustrie sind heute mit Werkvertragsarbeitern besetzt. Seriöse Berechnungen zeigen: Eine Bezahlung der Arbeiter von mindestens 8,50 €Euro würde den Kunden an der Fleischtheke pro Kilo Fleisch 5,7 Cent mehr kosten. Gerechtigkeit, die wir uns leisten können! Was ist uns gute Arbeit wert? 

Wir können uns Gerechtigkeit leisten - doch was ist sie uns wert?

Die den Christen gebotene Solidarität meint Hilfe zur Selbsthilfe, bedeutet Fordern und Fördern, ersetzt nicht die unverzichtbare Eigeninitiative. Bevor jedoch der Mensch zum Denken und Arbeiten kommen kann, muss er den täglichen Kampf ums Überleben für sich positiv entschieden haben. Menschenwürdig leben können, muss die Ermöglichung guter Arbeit sein, nicht ihr Lohn!

"Bleiben Sie bei Ihrer Kernkompetenz", hat mir ein Mitarbeiter gesagt. Ein guter Rat. Allerdings sollten Politik, Öffentlichkeit und eine Parteinahme, die angreifbar macht, Ausdruck kirchlicher Kernkompetenz sein. 

"Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts"

Gott steht auf der Seite der Kleinen und Schwachen – da ist die Bibel ziemlich eindeutig. Dann muss die Kirche genau dort stehen. Denn "eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts." Dieser Dienst bedeutet, denen zu helfen, die unter die Räder geraten sind, und, wenn nötig, dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.

 

Auf einen Blick

Autor Monsignore Peter Kossen ist Ständiger Vertreter des Bischöflich Münsterschen Offizialates in Vechta. 

Er fordert die Kirche auf, einzutreten für:

– Equal pay: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. 

– Weitestgehende Einschränkung der Werkverträge in der Fleischindustrie. Offensichtlich dienen Werkverträge dort nicht in erster Linie zum Abfedern von Belas-tungsspitzen, sondern zur Lohndrückerei und zum Umgehen der minimalen Sozialstandards.

– Alle Arbeiter müssen in der Lage sein, in deutsche Sozialkassen einzuzahlen.

– Dezentrale, bezahlbare menschenwürdige Unterkünfte für Migranten.

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