16. November 2014 - Wismar

16. November 2014 - Rede auf der zentralen Gedenkstunde MV zum Volkstrauertag

14. November 2014 von Andreas von Maltzahn

Es gilt das gesprochene Wort Gedenkrede zum Volkstrauertag 2014 in Wismar

Sehr geehrter Frau Vizepräsidentin Schlupp!

Sehr geehrter Herr Innenminister Caffier!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Beyer!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Vorhin haben wir auf dem Wismarer Soldatenfriedhof der getöteten Soldaten zweier Weltkriege und der Opfer zweier Diktaturen gedacht. Es ist gut, dass wir uns Jahr für Jahr daran erinnern. Wir gedenken dieser Menschen, damit ihr Tod nicht ohne Sinn bleibt. Wir erinnern uns unserer Geschichte, um zu verstehen, wie so etwas geschehen konnte. Wir wollen vermeiden, dass sich Krieg und Diktaturen wiederholen können. In diesem Jahr bewegt uns dabei insbesondere der Beginn des 1.Weltkriegs vor 100 Jahren. Was können wir erkennen?

Mich beunruhigt, wie verführbar der Mensch offensichtlich ist: Mit einer wahnsinnigen Begeisterung zogen anfangs junge Männer, insbesondere Intellektuelle, in den Krieg. Liest man die Zeugnisse dieser Zeit, dann ist ihre größte Sorge, zu spät ins Feld zu kommen! Nicht teilhaben zu können an der großen Erfahrung des Krieges und am Sieg! Wie bitter und furchtbar aber war das, was sie dann erlebten.

Und heute suchen wieder junge Männer aus unserem Land den Krieg und führen ihn in den Reihen des IS.

Gewiss, die Situationen sind nicht vergleichbar; und doch fragt es sich, was Menschen verführbar macht für die Faszination von Gewalt und Krieg. Mir scheint: Bei der Frage nach den Ursachen wird zu oft an Menschen gedacht, die im Kriegserlebnis nur einen Ausweg aus Armut und Enge ihres Lebens suchen. Manchmal jedoch kann gerade das zum Einfallstor werden, was zur Schönheit von uns Menschen gehört. Eine Äußerung von Stefan Zweig lässt das deutlich werden. Stefan Zweig ist uns bekannt als Pazifist. Aber im Sommer 1914 sehnte er sich wie viele andere nach dem Krieg, kann ihn kaum erwarten. Es ist der Sommer seines Lebens, und noch im Rückblick schreibt er von dieser Zeit:

„Als jeder aufgerufen war, sein winziges Ich in diese glühende Masse zu schleudern, um sich dort von aller Eigensucht zu läutern. Alle Unterschiede der Stände, der Sprachen, der Klassen, der Religionen waren überflutet für diesen einen Augenblick von dem strömenden Gefühl der Brüderlichkeit. Fremde sprachen sich an auf der Straße, Menschen, die sich jahrelang auswichen, schüttelten einander die Hände, überall sah man belebte Gesichter. Jeder einzelne erlebte eine Steigerung seines Ichs, er war nicht mehr der isolierte Mensch von früher, er war eingetan in eine Masse, er war Volk, und seine Person, seine sonst unbeachtete Person hatte einen Sinn bekommen.“

Meine Damen und Herren, so fremd und wie von weit her diese Sätze uns anmuten mögen und so zeitgebunden sie tatsächlich sind: Das gehört offenbar zu uns Menschen – die Sehnsucht, Teil eines größeren Ganzen zu sein; die Sehnsucht, sich hinzugeben an eine Sache, die der Hingabe wert ist; der Wunsch etwas zu bewegen, damit die Verhältnisse nicht bleiben wie sie sind.

Als ich diese Sätze  Stefan Zweigs las, wurden in mir Empfindungen wach aus der Zeit der friedlichen Revolution. Eine Zeit aufblühender Träume war das damals – z. B. eine neue Gesellschaft entwickeln zu können jenseits der ausgetretenen Pfade von Sozialismus und Kapitalismus. Es war eine Zeit der Hoffnung auf nicht weniger als die Verwandlung des Lebens. Arbeiter und Ärzte, Lehrlinge und Professoren waren einander nahe, erlebten sich als Gemeinschaft. Sie waren bereit, etwas zu riskieren. Nicht umsonst lautete eine der wichtigsten Losungen „WIR sind das Volk!“ Das Wir-Gefühl bei den Friedensgebeten und bei den Demonstrationen hatte etwas Beglückendes. Und selbst noch in den Auseinandersetzungen um die erhoffte, neue Gesellschaft war Verbundenheit zu erleben – ähnlich wie bei Zweig: „Alle Unterschiede … waren überflutet für diesen einen Augenblick von dem strömenden Gefühl der Brüderlichkeit. Fremde sprachen sich an auf der Straße, Menschen, die sich jahrelang auswichen, schüttelten einander die Hände, überall sah man belebte Gesichter. Jeder einzelne erlebte eine Steigerung seines Ichs …“

Doch genau in dem, was zur Schönheit von uns Menschen gehört, sind wir verführbar! Die Sehnsucht, Teil eines größeren Ganzen zu sein; die Sehnsucht, sich hinzugeben an eine Sache, die der Hingabe wert ist; der Wunsch etwas zu bewegen, damit die Verhältnisse nicht bleiben wie sie sind – all das kann ausgenutzt werden von Demagogen und Fundamentalisten, gleich welcher Couleur. Auch in unserer Gesellschaft sind Menschen gefährdet – wenn sie nicht erkennen können, wofür zu leben sich lohnt, wenn sie meinen, ihr Leben dramatisieren zu müssen, damit es endlich Sinn hat. So geraten junge Menschen in rechtextreme Kameradschaften oder werden zu Dschihadisten.

Was setzen wir dieser Gefährdung entgegen?

Natürlich braucht es ein kritisches Bewusstsein gegenüber jeder Form von Massen-Begeisterung. Vor allem aber braucht es gesellschaftliche Bewegungen, in denen Menschen ihre Sehnsucht nach Hingabe leben und verwirklichen können, Bewegungen, in denen Menschen spüren, dass sie in keiner Verschmelzung, sondern als Person und mit ihrem persönlichen Engagement wichtig sind.

Ich denke an Bewegungen, die sich einsetzen für ein Mehr an Gerechtigkeit – in unserem Land, aber auch darüber hinaus. Ich denke an Bewegungen, die sich für Klimagerechtigkeit engagieren. Eigentlich sind wir in Deutschland doch gerade in einer großartigen Situation: Das Projekt der Energiewende zu gestalten als ein beispielgebendes Vorhaben, das auch andere Länder ermutigt, sich von fossilen Energieträgern abzuwenden, ist doch eine faszinierende Herausforderung! Darum darf es nicht das Projekt der Experten bleiben, sondern muss den Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit geben, sich mit Phantasie und Tatkraft einzubringen. 

Ich denke an Bewegungen für gerechten Frieden. Gerade wir Deutschen haben auf Grund unserer Geschichte hier eine bleibende Aufgabe.  Denn es ist die bleibend aktuelle Erfahrung unseres Volkes, dass der Griff zu den Waffen Unheil mit sich bringt! Zwei Weltkriege haben uns das gelehrt. Darum wünsche ich mir auch für die Zukunft eine Grundskepsis gegenüber militärischen Lösungen in unserem Land.

Es ist wahr: Deutschland hat international ein größeres Gewicht. Darum lassen Sie uns diese gewachsene Verantwortung wahrnehmen als Vorreiter in Sachen Ökologie und Gerechtigkeit! Es stünde Deutschland gut an, Friedensdienste viel stärker zu fördern. Denn manche Streitigkeiten lassen sich befrieden, bevor sie auf der Ebene der Gewalt angekommen sind, wenn rechtzeitig für einen Ausgleich der Interessen und für Gerechtigkeit gesorgt wird. Darum, lassen wir uns unsere Zurückhaltung gegenüber Militäreinsätzen nicht ausreden! Das sind wir auch den Angehörigen der Bundeswehr schuldig.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist wichtiger Teil der Bewegung für gerechten Frieden. In der Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt wird das Feld für den Frieden bereitet. Darum danke ich allen Beteiligten für ihr Engagement. Ich wünsche Ihren Projekten viele Menschen, die sich mit Hingabe für Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern einsetzen! Gott segne Ihren Dienst! Er stärke uns alle, hingebungsvoll das zu tun, was dem Leben dient!

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