19. Februar 2017 | Hauptkirche St. Trinitatis Hamburg-Altona

Als Gesegnete nun zum Segen werden

19. Februar 2017 von Kirsten Fehrs

Sexagesimae, Gottesdienst zur Ordination im Sprengel Hamburg und Lübeck, Predigt zu Markus 4, 26-29

Liebe Ordinationsgemeinde!

Sieben Geschichten führen uns hier zusammen. Beeindruckende Geschichten, finde ich, die zeigen, wie unterschiedlich die Entscheidungswege zum Pastorenberuf sein können. Ich ergänze die Vorstellung von vorhin.

Für die Erstgenannte war es nämlich bestimmt nicht der nordkirchliche Flyer zur Nachwuchsgewinnung. Dafür aber just in der geliebten Akademie der Künste ein Abend bei den Martinstagen (ein Tag nach den Anschlägen in Paris), wo die Institution Kirche so unglaublich wichtig war: Mit ihrem großen Freiraum für Trauer und Trost und differenzierten Diskurs, all dies zugleich.

Für die zweite war es die feministische Theologie und die Erfahrung, dass, wenn sie sich neu einlässt, Menschen herzensnah erreicht, die ähnlich säkular aufgewachsen sind wie sie. 

Für ihn war es eine Begegnung während seiner Zeit als Verkäufer in der christlichen Buchhandlung, als er jemandem so gut erkären konnte, worum es geht in der Theologie, dass der sagte: „Mensch, du solltest Pastor werden.“ Gehört, getan.

Für die Vierte leuchtete auf einmal diese Theologie Martin Luthers so ein, dass sie das anderen sofort weiter erzählen wollte, und zwar sofort! Energie! Wär doch gelacht, wenn  man da nicht noch andere mitreißen könnte!

Für die Fünfte waren es die Menschen in der Gemeinde nahe Seattle, die sie spüren ließen, wie Annahme und Gnade sich anfühlt. Mit einem Pastor dort, der sich über sie so freute und sagte: We met in the internet. ..

Für die Sechste war es ein runder Tisch in den Niederlanden, wo gemeinsam mit der jüdischen Professorin jedes Wort geprüft, gewogen, ergründet wurde. So dass der Wunsch entstand, an vielen runden Tischen mit den Menschen Theologie zu teilen.

Die Siebte schließlich durchfuhr die tiefe Erkenntnis nach manch Schmerz und Unglück: Wenn ein ganz kleiner Erdenmensch schon so unglaublich viel Liebe freisetzt, wie erst ist es, wenn Gott liebt?

Sieben Menschen mit total unterschiedlichen Glaubensgeschichten. Schlüsselerlebnissen, die Sie nun hier stehen lassen. Auch wenn Sie das zeitweise gar nicht für möglich gehalten hätten. Sie stehen hier mit einer inneren gewachsenen Klarheit und Zuversicht, und fahren in gewisser Hinsicht auch die Ernte ein aus all dem Studieren, den Lebenserfahrungen, den Prüfungen – womit ich bestimmt nicht nur die Examensprüfungen meine!

Was wäre gewesen, wenn es diese Schlüsselmomente nicht gegeben hätte? Wo wären Sie dann? In Irland, Holland, dem Künstlerland oder im Blockhouse-Restaurant? Diese Frage geht in feierlichen Momenten wie diesen, wenn entscheidende Lebensschwellen überschritten werden, ganz schön nach innen. Allzumal bei einer Ordination. Und dieses Er-innern bindet uns an die, die uns einst das Leben und die Freude daran gegeben haben. Die uns Trost waren und Schutz, Liebeserklärung und Herausforderung zugleich. Eltern, Großeltern, Partner und Sandkastenfreundin, Professores, Studienfreunde, die Anleiterin. Viele sind heute hier, willkommen Ihnen!

Es tut gut sich zu erinnern. Schlüsselmomente der Geborgenheit aufzurufen. Bei mir stellen sich dabei viele Bilder ein: Wie meine Mutter mittags den runden Tisch in der Diele deckt. Wie mein Vater mich Huckepack die gewundene Treppe hinauf trägt. Der riesige Birnbaum im Garten und dass es deshalb unzählige Male Birnen, Bohnen und Speck gab. Erinnern ist reiches Ernten.

Erinnern schaut zugleich auf die Wurzeln. Darauf, was Stabilität gibt und Stärke. Auch die Stärke, den Fuß dann in neuen weiten Raum zu stellen. Denn darum geht es jetzt: Auf Sie wartet soviel Neues! Und es soll jetzt auch losgehen, sagen Sie. Ran an die vielen neuen Arbeitsfelder, die jetzt bestellt werden wollen!

Doch aufgepasst: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft…und schläft.

Wie jetzt? Schlafen? Die Hände in den Schoss legen? Während doch jetzt alles auf Anfang steht! Und während es doch, seht Ihr das nicht, allerhöchste Zeit ist, dem Keim des Hasses und der Zerstörung entgegen zu treten! Kein Unkrautjäten? Kein Wässern und Hacken, kein Pflegen und Düngen bis zur Ernte? Welche Gärtnerin, welcher Bauer tut das? Oder besser: lässt das? Stellen Sie sich vor, liebe Gemeinde: Sie haben etwas auf den Weg gebracht. Samen gelegt. Etwa Gesangsunterricht angefangen, eine Freundschaft wieder aufgenommen, ein Gemeindeprojekt angeschoben – und dann kümmere ich mich nicht? Lasse es -  nein, nicht wie es ist, sondern wie es wird.

Das möchte ich sehen!

Das Gleichnis ist provokativ. Es hält uns einen Spiegel vor. Macht uns bewusst, wie sehr unser Leben vom Tun bestimmt ist. Davon, zu organisieren und zu strukturieren, zu operieren, kontrollieren, derzeit besonders auch zu reformieren oder transformieren und auf der Kanzel zu brillieren… Mancher will zu viel. Macht zu viel. Geht dauernd über die Grenze. Zerbricht, weil es nicht gelingt, in allem gut zu sein.

Dahinein gelesen und verstanden, hat das Gleichnis Jesu eine andere Botschaft: Glücklich der Mensch, der sich auf die Kunst versteht zu lassen. In Ruhe zu lassen, was er gesät hat. Der sich dem Rhythmus des Lebens anvertraut, Tag und Nacht. Der schlafen gehen und sich eine Auszeit nehmen kann.

Und schon länger, lange bevor Digitalisierung 4.0 die Schlagzahl beherrscht, werde ich gewahr, dass viele Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie wachen nachts auf, weil so viel noch unerledigt ist und unklar, weil man anderen noch etwas schuldig ist und so vieles noch nicht zum Ziel gebracht. Und ich weiß von Menschen, denen das Morgengrauen tatsächlich tiefe Ängste durch die Seele treibt. In diesen tobenden Zeiten allemal.

Das Gleichnis nun erinnert mich, dass Gott mich nicht nur in meine Aufgaben gerufen hat, sondern auch in seine Ruhe. In sein Haus, seine Stille, die Musik. Sein Gnadenwort. Genau das ist es, was wachsen möge in uns, die wir uns so intensiv auseinandersetzen wollen und sollen mit unserem Glauben: nämlich eine Zuversicht. Zeit also, zu sichten, wann ich etwas tun oder lassen, ja manchmal auch loslassen muss.

Wie beneidenswert ist der schlafende Sämann in seiner Gelassenheit. Er weiß sich aus der Hand zu geben – in seine. Wenigstens für einige Zeit. Warum? Weil er weiß: Er hat getan, was er konnte. Es ist genug. Er hat den Acker bestens bereitet, hat gepflügt und gedüngt und die beste Saat gestreut. Er hat sozusagen das Feld seines Lebens bestellt. Er hat viele Fragen erforscht, Zweifel erkannt, hat um Liebe gerungen, Freundschaft gesät – all dies und noch viel mehr. So, dass Gottes Wort, seine Antwort ihm zuwächst. Heilsam. Beglückend. Beruhigend.

Gott lässt jeden Menschen, der es will und sich bereithält, seine eigenen Antworten finden. Das geschieht wie von selbst, sagt das Gleichnis. Von selbst, automatisch, „automatä“ heißt es im griechischen Text, bringt die Erde Frucht.
Im Verborgenen.
Und der Mensch weiß nicht, wie.

Für mich ist dies die eigentliche Pointe des Textes. Der Mensch weiß nicht, wie. Er weiß nicht, wie das Leben wird. Er weiß viel über die Evolution und Photosynthese. Doch er weiß nichts vom Geheimnis des Lebendigen. Dass aus menschlichen Keimzellen ein neuer Mensch wird, eine eigene Persönlichkeit, bleibt doch geheimnisvoll und wunderbar und nur zu bestaunen. Es entzieht sich unserem Wissen, was wir nicht sehen können. Und gerade dies berührt uns oft am tiefsten. Denn was ein Geheimnis zu einem Geheimnis macht, ist die Erfahrung, dass es bei näherem Hinsehen ein Geheimnis bleibt. Alles Forschen und Rätseln macht es eher noch faszinierender, größer. Ein Geheimnis lässt mich nicht los, so wie mich ein geliebter Mensch auch nach vielen gemeinsamen Jahren nicht los lässt, sondern interessanter wird. Facettenreicher. Liebenswerter. Ich weiß nicht, wie.

Genauso ist es mit dem Reich Gottes. Es ist mitten unter uns, sagt Jesus. Und der Mensch muss nicht wissen, wie. Verborgen, verschlüsselt, mag sein, es ist nur ein Schlüsselwort. Ein Wort, das nur dir gehört. Dich aufweckt aus dem Schlaf. Damit Du zur rechten Zeit erntest. Und dich ordinieren lässt in das Amt der Pastorin. Denn auch das ist eine Kunst. Etwas zur rechten Zeit abschließen, ent-scheiden, den Halm schneiden, um etwas beginnen zu können. Ganz getrost, den so vieles ist nach und nach in Ihnen gewachsen, so viele Talente und Esprit. Und das nun darf – in aller Ruhe versteht sich – auch Dynamik entfalten. Denn Sie werden ja nicht irgendwo hingesetzt. Sondern entsendet. In eine lebendige Gemeinde, mag sein mit lauter runden Tischen.

Diese Dynamik war Ihnen allen abzuspüren, liebe Ordinand/inn/en. Wunderbar ist das. Diese Freude in Ihnen, als Gesegnete nun zum Segen werden zu wollen. Sie möchten mittun daran, dass Menschen sich im Glauben zu Hause fühlen. Dass sie mit dem Leben rechnen. Sie möchten Gedanken ins Kreisen und Verhältnisse zum Tanzen bringen. Gebe Gott, dass Ihnen - und uns! - diese Dynamik erhalten bleibt.

Mit Freude werden Sie erwartet.
Gehen Sie getrost hinaus aufs weite Feld. Gesendet und gesegnet – mit dem Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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