Der Streetworker von Schwerin

Bei ihm bleibt niemand auf der Strecke

Mit der mobilen „AkzeptierBar“ bringt Marcus Wergin alkoholfreie Cocktails – oft im Tausch gegen eine Flasche Bier oder Schnaps
Mit der mobilen „AkzeptierBar“ bringt Marcus Wergin alkoholfreie Cocktails – oft im Tausch gegen eine Flasche Bier oder Schnaps© Michael Eberstein / Evangelische Zeitung

14. November 2014 von Michael Eberstein

Schwerin. Was kann man mit einer halben Stelle schon erreichen? Unendlich viel, wenn man Ideen hat und andere Menschen dafür begeis­tern kann. Marcus Wergin macht Jugendarbeit auf den Straßen Schwerins – und setzt auch mal auf ungewöhnliche Hilfsmittel.

Das Büro der Evangelischen Jugend liegt nur wenige Schritte neben dem Bahnhof, aber drei Stockwerke hoch. Hier ist Marcus Wergin nicht allzu häufig anzutreffen. „Aber wenn ich jemandem helfen soll, einen Personalausweis zu beantragen, dann geht das nicht auf der Straße“, sagt der 36-Jährige. Heute Morgen allerdings wartet er auf Ware: Montags werden immer die Lebensmittel angeliefert, aus denen er die Suppe kochen lässt, die für viele junge Menschen auf den Straßen Schwerins die einzige warme Mahlzeit ist.

„Die 1-Topf-Küche“ nennt Wergin dieses Angebot. Aufgetischt wird, was in einem Topf gekocht werden kann. Wobei Wergin nicht etwa den fertigen Eintopf austeilt, sondern mit einem Lastenfahrrad samt Kochanhänger zu den Plätzen fährt, an denen sich die Jugendlichen am liebsten aufhalten. Dort packt er Lebensmittel, Bretter und Messer aus und lässt die jungen Männer und Frauen selbst aktiv werden. „Wer Hunger hat, wird schon mithelfen“, sagt Wergin.

Schwerin – trauriger Spitzenreiter bei Jugendarbeitslosigkeit

Im Laufe der Zeit, so berichtet der als Gemeindepädagoge – „das ostdeutsche Gegenstück zum Diakon" –  ausgebildete „streetworker“, zeige sich, wer was kann: „Der eine hat ein Händchen für Gewürze, der andere kann besonders schnell schnippeln – wichtig ist die Bestätigung, dass die jungen Leute es selbst schaffen.“ Wenn dann noch ein Lob aus dem Kreis der Ihren kommt, leuchten schon mal die Augen. Aber die „1-Topf-Küche“ ist nur eines der  „Handwerkszeuge“ der Jugendarbeit, wie sie Marcus Wergin seit 1995 mit seiner halben Stelle leistet, die von der Stadt bezahlt wird.

Denn „Hunger ist in Schwerin noch das geringste Problem“, sagt der Sozialarbeiter. Größer seien Suchtprobleme – obwohl oder vielleicht auch weil Schwerin bundesweit die größte Jugendarbeitslosigkeit hat. Deshalb ist Wergin auch schon mal mit einem anderen Lastenfahrrad unterwegs, an dem vorne die „AkzeptierBar“ installiert ist. Daraus bietet er, oft im Tausch gegen eine Flasche Bier, alkoholfreie Cocktails an.

„Ein Onkel mit Geschenken ist besser als eine klavierspielende Tante“ ist Wergin überzeugt und geht nie ohne kleine Geschenke aus dem Haus. Meist sind das Postkarten oder Aufkleber, die auf die vielfältigen Hilfsangebote aufmerksam machen oder Notrufnummern empfehlen. Darunter ist auch ein kleines Kärtchen mit Tipps zum Verhalten, wenn die Polizei kontrolliert, Motto: „Bleib ruhig und lass dir alles erklären!“ Auf der einen Seite der Karte steht, was die Polizei alles darf und muss, auf der anderen, was bei einer Festnahme zu berücksichtigen ist: „Vertrauensperson informieren!“

Beliebt in der Szene: die „Katertüte“

Die Kärtchen und Postkarten – oder auch eine „Katertüte“ mit Kaugummi, Kondom, Erfrischungstuch, Teebeutel und Brühwürfel – sind in der Szene Schwerins sehr beliebt und weit verbreitet. Jugendliche geben sie auch unter sich weiter, sie werden seine Multiplikatoren: „Denen wird mehr Vertrauen geschenkt als mir altem Sack“, sagt der 36-Jährige. Wichtig sei, dass er so mehr erreiche als durch seine persönliche Anwesenheit. Dennoch: Wer ihn sprechen möchte, bekommt leicht Kontakt. Marcus Wergin ist über Handy und soziale Netzwerke praktisch rund um die Uhr erreichbar, sein Aufenthaltsort sogar per GPS zu finden. „Das heißt nicht, dass ich auch immer gleich bereitstehe“, räumt der Familienvater von drei Kindern ein, dass er auch Zeit für sich und seine Familie braucht.

Kontakt zu den Jugendlichen sucht er meist, indem er „ihre“ Plätze aufsucht – am Pfaffenteich (gern im Sommer), vor dem Dom oder auch in abbruchreifen, verlassenen Häusern. „Aber ich dränge mich nie auf, biete mich nur an, betont Wergin. Und wenn er in der Wohnung eines Drogenkonsumenten stehe, werde er ihn nicht auf die Strafbarkeit aufmerksam machen: „Ich bin schließlich ein Gast in seinen vier Wänden.“ Aber Hilfsangebote mache er schon.

Wie viele Hilfsbedrüftige Wergin erreicht, kann er nicht sagen, nur dass darunter schon etwa ein Dutzend besonders krasser Fälle seien. Zurzeit mache ihm eine 16-Jährige besonders viel Kummer. Sie nehme freiwillig K.-o.-Tropfen und nehme in Kauf, dass sie dann vergewaltigt werde.

Bahnhofsmission ist immer noch zeigemäß

Vielleicht ist es ein Ausgleich, dass Wergin seit September ein zusätzliches Aufgabenfeld gefunden hat: die Bahnhofsmission – die erste seit gut einem halben Jahrhundert in Nordostdeutschland. Erst habe er gar nicht gewollt; zu „verstaubt“ schien ihm dieses Angebot. Doch bei einem Praktikum in Kiel hat er gelernt, dass Bahnhofsmission ein sehr zeitgemäßes Angebot ist. Über Monate hat er zwei Dutzend Freiwillige gefunden, die nun in zwei Schichten von 9 bis 18 Uhr Reisende und andere Bahnhofsbesucher betreuen. Für beide Aufgabenfelder aber gilt ein Satz, mit dem Wergin seinen Besucher veabschiedet: „Manchmal braucht es eben einen Menschen, damit man nicht auf der Strecke bleibt.“

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