12. Februar 2017 | St. Petri-Dom zu Schleswig

„Biblische Überlieferungen sind Sehschule des Glaubens“

12. Februar 2017 von Gothart Magaard

Septuagesimae, Predigt zu Mt. 20 im Rahmen des Ordinationsgottesdienstes

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch!

 

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Festgemeinde,

der große Erzähler unseres Glaubens ist dieser Jesus von Nazareth. Er erzählt das anbrechende Himmelreich hinein in Alltagswelten, in das Berufsleben des Hirten und den Alltag der Witwe oder eines Tagelöhners. Und zwar so, dass diese Welt zu sprechen beginnt und von diesem Gott kündet, der in unvordenklicher Weise alles, was ist, ins Leben rief; der jedes Haar auf unserem Haupt gezählt hat; und der uns und dieser Welt Hoffnung und Zukunft schenken wird.

Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen – mit dieser Botschaft beginnt Jesus seine Wirksamkeit.

Es ist seine erste Predigt, die er an die Menschen richtet. Und er macht deutlich: Dieses Himmelreich, von dem er kündet, sucht sich den Weg in diese Welt nicht durch Himmelsgetöse, sondern durch die sanfte Kraft der Worte und Taten dieses Menschen.

Das Himmelreich wird hineinerzählt in unsere Welt. Kunstvoll. Eindringlich. So, dass die gute Botschaft, das Evangelium zu leuchten beginnt.

Das tut es in dem Gleichnis, das uns an diesem Sonntag begleitet, im harten Dasein der Tagelöhner. Es sind die Menschen, die das mühsame Geschäft des Wartens kennen. Sie kennen die Angewiesenheit auf den einen, der noch Arbeitskraft sucht. Von dessen Entscheidung abhängt, ob die Familie hungrig zu Bett geht oder immerhin mit kärglicher Kost gesättigt wird.

Auch in diesen Alltag wird das Himmelreich großartig hineinerzählt – nämlich so, dass einen diese Geschichte nicht kalt lässt. Wer sich nur einigermaßen einfühlen kann in diese Situation, die Menschen mit kurzen, befristeten Arbeitsverhältnissen bis heute auch unter uns erleben -  diese Situation, die angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit gerade in Südosteuropa absolut aktuell ist, der wird aufatmen mit jeder Person, die noch die Chance zum Broterwerb erhält.

Und zugleich weiß er, weiß sie, um die Gesetzmäßigkeiten dieser Arbeitswelt – Der Verdienst bemisst sich, so ist dann wenigstens noch zu hoffen, an der erbrachten Leistung. Und hoffentlich auch geschlechtsunabhängig. Wir wissen, die Realitäten sehen im Detail oft noch ganz anders aus. Und wenn es um die Frage der Lohngerechtigkeit geht, hört der Spaß bekanntlich auf.

Jesus erzählt das Himmelreich hinein in diese, unsere Welt. Aber wie der Lohn dabei verteilt wird, ist wirklich schier unglaublich. Der Protest kann überhaupt nicht ausbleiben. Heilsam wird hier unsere Alltagserfahrung durcheinandergebracht: denn im Himmelreich haben die Berechnungen und Erfahrungswerte ein Ende. Hier teilt Gott aus. Großzügig. „So viel du brauchst.“ – Wann auch immer sein Ruf uns ereilt hat und wir zum Arbeiter, zur Arbeiterin in seinem Weinberg wurden.

Ja liebe Gemeinde, bei einer Ordination im Jahr des Reformationsjubiläums gilt es zunächst festzuhalten, was in der Tauferinnerung deutlich wurde: Durch die Taufe sind wir alle berufen! Martin Luther hat klargestellt, dass das Wort „Beruf“ die Ausweitung der im Mittelalter allein für Geistliche geltende ‚Berufung‘ auf alle Christen meint. Mit der Reformation wurden die Bürger mündig in der Organisation von Kirche, Stadt, Schule und Diakonie. Das Priestertum aller Getauften trat ins Leben.

Und das gilt auch für uns heute: Wir alle sind berufen, in unserem Alltag das zu leben und zu beherzigen, was wir vom Evangelium verstehen. Johannes Bugenhagen, der Reformator des Nordens formulierte es damals so: „Wir lehren gewissenhaft, wie Christen leben und Gutes tun sollen, ein jeder in seinem Stande, alte Männer, alte Frauen, junge Männer, junge Frauen, Kinder und Eltern, Herren und Knechte, Hausfrauen und Mägde, Pastoren und Prediger, Obrigkeit und Untertanen, Reiche und Arme.“ Und das beherzigen viele Menschen im Zusammenleben in den Familien und ihren unterschiedlichen Berufen und in der Gemeindearbeit vielfältig. 

Heute nun nehmen wir als Gemeinde Sie in unsere Mitte, die heute ordiniert werden. Sie haben alle bereits einen langen Weg zurückgelegt, auf den Sie zurückblicken – mit dem Studium und dem Vikariat, dem Vorbereitungsdienst. Es ist ein Weg über verschiedenste Wegstrecken, auch über Umwege und Sackgassen bis zum heutigen Tag.

Dazu gehören Begegnungen und Weggemeinschaft mit verschiedensten Menschen. Manche sind heute stellvertretend hier, andere mit uns in Gedanken und Gebeten verbunden. Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter aus Familie und Freundeskreis in guten Zeiten und in schweren. Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in theologischen und geistlichen Fragen. So wie Menschen aus den Ausbildungsgemeinden und Schulen sowie Menschen aus den Gemeinden, in denen Sie als Pastorin und Pastor arbeiten werden. Ausbilderinnen und Ausbilder aus verschiedenen Stationen.

Der heutige Tag der Ordination ist noch einmal ein besonderer Tag. Öffentlich werden Sie zum Dienst am Evangelium und an den Menschen beauftragt. „Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.“ Diese Worte werden heute einen besonderen Klang haben.

Sie werden gebraucht und Sie werden erwartet, in Ihren Gemeinden in Tarp, in Ostenfeld, in Bokhorst, im Vertretungsdienst im Kirchenkreis Rendsburg Eckernförde. Die Gemeindeglieder, die hauptamtlich und ehrenamtlich Mitarbeitenden, wir alle sind gespannt darauf, Sie kennenzulernen. Wir haben Hoffnungen und Erwartungen, aber ganz sicher auch die Bereitschaft, uns von Ihnen überraschen zu lassen. Und Ihnen wird es kaum anders gehen.

Dieser Tag markiert nunmehr den Schritt in die volle Verantwortung des Pfarramtes, heraus aus der Ausbildungssituation – und wir trauen Ihnen das mit guten Gründen zu! Wir ordinieren Sie heute zu Pastorinnen und Pastoren unserer Kirche, und als solche heißen wir Sie in unserer Kirche willkommen und freuen uns auf Ihren Dienst, auf Ihre Impulse und Tatkraft!

Sie stehen im Dienst dieses großzügigen Gottes, von dem wir an diesem Sonntag hören. Der sich in seiner Liebe nicht berechnen lässt, und dessen Abrechnung mit seinen Arbeitern eben nicht gnadenlos gerecht ausfällt – sondern voller Gnade.

Auch den Protestierenden zieht er auf seine Seite: „Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?“

„Mein Freund“, sagt er. Kein Schimpfwort, kein Vorwurf fällt hier – sondern der Erzähler zieht auch ihn auf die andere Seite, stellt ihn auf seine Seite und lässt ihn das, was geschieht, mit anderen Augen sehen.

Gerade diese Schlussszene zeigt mir besonders deutlich, wie diese Gleichnisse das Evangelium in unsere Welt hineintragen. Sie verändern. Sie heilen unseren oftmals verstellten Blick. Auch Du, mit dem misstrauischen, dem schrägen und schielenden Blick bist gütig angesprochen.

Wo unser Auge vergleicht und abmisst, was wer geleistet hat, wo unser Blick sich verärgert festbeißt und seine längst festgelegten, verhärteten Bilder wieder und wieder produziert – werden wir angesprochen: „Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?“

Die Gleichnisse und die biblische Überlieferung überhaupt sind darum eine Sehschule des Glaubens – sie halten unsere Gedanken und unseren Blick lebendig. Sie lassen uns entdecken, dass Gottes Güte alle Morgen neu ist. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist die Verheißung, unter der auch Sie Ihren Dienst in unserer Kirche aufnehmen. Und von der ich hoffe, dass sie Sie darin tragen wird.


Liebe Gemeinde,

es ist ein Gleichnis vom Himmelreich – so kann es zugehen, wenn Gott seine Gerechtigkeit unter uns aufrichtet, und so soll es zugehen, wenn seine Güte uns bewegt und auch unseren schrägen Blick verwandelt.

Sie, liebe Schwestern und Brüder, bringen einen aufgeschlossenen und unverbrauchten Blick mit in unsere Kirche.
Er wird sich wandeln in den Jahren ihres Dienstes.
Er wird durch Erfahrungen reicher werden.
Er wird auch die Unvollkommenheiten dieser Kirche sehen.
Er wird sich mit den Veränderungen in unserer Gesellschaft weiten.
Er wird sich freuen an dem, was gelingt – vor allem aber wird er immer wieder auf den Zuspruch dessen angewiesen sein, der spricht: „Ich will euch geben, was recht ist“ –
Das heißt: Ich will euch meinen gütigen Blick spüren lassen, euch in meinen Weinberg rufen, in dem Ihr mit Euren Gaben, Eurer Kreativität und Eurer Begeisterung für meine Sache wirken werdet!“
Dieser Gott geleite Sie und uns alle mit seinem Segen.
Amen.

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