28. März 2016 | Dom zu Greifswald

„Brannte nicht unser Herz…?“

28. März 2016 von Hans-Jürgen Abromeit

Ostermontag, Predigt über Lukas 24, 13-35

Liebe Gemeinde,

da gehen Zwei miteinander. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt. Das Gehen fällt schwer, als läge eine Last auf den Schultern. Sie kommen von Jerusalem. Sie wollen nach Emmaus, einem Dorf etwa 23 Kilometer Wegstrecke von Jerusalem entfernt. Sie mussten einfach einmal raus. Es war nicht mehr auszuhalten. Wenn man enttäuscht ist, ist so ein Weg lang, unendlich lang. Doch man kann sich freilaufen. Sie gehen und sie versuchen, sich den Frust von der Seele zu reden, aber es wird nicht besser.

Sie sprechen über das, was sie erlebt haben. Sie waren doppelt enttäuschte Menschen. Sie und die anderen Jüngerinnen und Jünger hatten ja eigentlich nicht mehr viel vom Leben erwartet. Zu oft waren sie schon desillusioniert worden. Das Leben unter Besatzung war entwürdigend. Wahrscheinlich können die unter uns, die die DDR am eigenen Leibe erfahren haben, sich ungefähr vorstellen, was Leben unter Besatzung heißt. Mir hat das zuletzt die Lektüre des Buches von Manfred Haferburg, Wohn-Haft, lebendig gezeigt. Es spielt ja größtenteils hier in und um Greifswald. Es ist schrecklich, Freiheit entbehren zu müssen. Und am eigenen Leib erfahren zu müssen, wie andere über einen bestimmen. Aber auch zur Zeit Jesu war es so, dass die, die Befreiung versprachen, sowohl die, die mit dem herrschenden System zusammenarbeiteten als auch die radikalen und gewaltbereiten Extremisten, alle versagt hatten. Niemand hatte seine Versprechungen gehalten. Keinem konnte man vertrauen.

Dann war Jesus aufgetreten. Er war glaubwürdig gewesen. Seine Botschaft war so anders: Kein Krieg gegen die Besatzer, keine ewige Konfrontation, sondern Überwindung der Gewalt. „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen!“

Was der alte Glaube verheißen hatte – endlich einmal Boden unter den Füßen zu haben, zu wissen wohin man gehört, ein Zuhause bei Gott zu finden – bei Jesus konnte man es finden: „Selig sind, die auf der Suche nach Gott sind („geistlich arm sind“), ihnen gehört das Himmelreich.“

Sie hatten sich ihm angeschlossen. Für Jesus hatten sie ihre ganze Lebensplanung umgeworfen. Alles hatten sie auf ihn neu geordnet. Es schien so vielversprechend. Und nun war er tot. Damit war ihre ganze Hoffnung wieder am Ende – schon wieder! Doppelt enttäuschte Menschen!

„Vielleicht wird´s nie wieder so schön.“ Dieses Lied von Gerhard Schöne, in dem er die Stimmung einfängt, die in einmaligen Situationen entsteht, mag auch die Gemütslage wiedergeben, die die Jüngerinnen und Jünger bestimmt hat: „Nie wieder so schön!“. Gerhard Schöne beschreibt Momente, in denen einem Kind, einem Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ein Schauer über den Rücken lief, weil sie sich tief geborgen oder aufgeweckt oder miteinander verbunden gefühlt haben. Das sind Gefühle, an die man sich ein Leben lang erinnert, aber die dann so auch nie wieder empfunden werden. Prägt solch ein Gefühl nicht auch unsere Stimmung als Pastorinnen und Pastoren in Ostdeutschland? „Nie wieder so schön.“

Man hat uns die Kirche kaputt gemacht. Die DDR hat aus der schönen Volkskirche eine Kirche für das Volk gemacht, das aber in seiner Mehrheit diesen Dienst und diesen Glauben gar nicht will. Als dann vor 25 Jahren durch die friedliche Revolution und die Vereinigung Deutschlands auch für die Kirche ein neuer Anfang möglich wurde, da entstanden viele Hoffnungen auf eine Erneuerung auch der Kirche. Die Realität aber war ein weiterer Aderlass an Gemeindegliedern, der bis heute – schon wegen der Altersstruktur – ungemindert fortgeht. „Es wird nie wieder so schön!“

Da gehen Zwei miteinander. Plötzlich tritt ein Dritter hinzu. Wir, die wir die Geschichte hören oder lesen, wissen es: Das ist Jesus! Der, den die Jünger so sehr vermissen, der, dessen Verlust die Ursache für ihre Niedergeschlagenheit ist, der ist nun mitten bei ihnen. Hier setzt nun das große Erstaunen ein. Alle durchblicken die Lage, nur die Beiden, die da miteinander gehen, erkennen sie nicht. Die BasisBibel übersetzt den Vers 16: „Als ob ihnen jemand die Augen zuhielt“.

Dabei ist er doch da. Er lebt. Da wissen wir es schon – die Jünger noch nicht: Es ist nicht alles umsonst gewesen. Und um erzählerisch die Spannung auf die Spitze zu treiben, fragt der nicht erkannte Jesus die beiden: „Worüber seid ihr unterwegs so sehr ins Gespräch vertieft?“. Da müssen sie traurig stehen bleiben. Der eine Jünger - Kleopas mit Namen - fährt den unbekannten Fremden beinahe an: „Du bist wohl der Einzige in Jerusalem, der nicht weiß, was dort in diesem Tagen passiert ist?“ Und dann erzählen sie ihm ihre Geschichte. Die Geschichte ihrer Hoffnung und ihrer übergroßen Enttäuschung. Die Geschichte, wie sie gehofft hatten, dass er „Israel erlösen soll“ (V. 21). Sie hatten doch gehofft, dass er die Probleme dieser Welt wieder lösen würde. Aber die Hoffnung, „Israel zu erlösen“ war zu klein gedacht. Die Hoffnung, unsere Ungerechtigkeitsprobleme und Nachhaltigkeitsfragen zu lösen, ist zu klein gedacht. Israel wird erlöst, aber nicht nur Israel. Die Welt liegt im Argen, aber es ist zu wenig, Jesus als Lösung für die uns unlösbaren Probleme zu verstehen. Jesus schließt nicht unsere Gerechtigkeitslücken und er stoppt nicht den Klimawandel. Für viele ist das eine enttäuschte Hoffnung. Doch das ist zu klein gedacht. Jesus rettet nicht nur die Welt, wie Tim Bendzkow („Nur noch schnell die Welt retten …“) sich das erhofft, sondern er verwandelt sie. Jesus verwandelt die Welt zu einem Ort des Lebens.

Und diese Verwandlung hat mit seiner Auferstehung bereits begonnen. Davon hatten die Frauen, die am Ostermorgen zum Grab gelaufen waren, erzählt. Aber die Jünger hatten nichts verstanden. Da wird Jesus fast aggressiv und sagt zu den Beiden: „Warum seit ihr so begriffsstutzig und tut euch so schwer damit zu glauben, was die Propheten gesagt haben? Musste der Christus das nicht alles erleiden, um in die Herrlichkeit seines Reiches zu gelangen?“ Und dann legt ihnen der Auferstandene selbst, den sie immer noch nicht erkannt haben, die Bibel aus. Er redet von der Notwendigkeit des Leidens zur Erlösung der Welt und erneuert in ihnen die Hoffnung auf den Messias, auf den Weltverwandler.

Sie haben es immer noch nicht verstanden, aber sie wollen Jesus auch nicht einfach so ziehen lassen. Irgendetwas hält sie bei ihm. Und als das Dorf Emmaus erscheint, bitten sie ihn, bei ihnen zu bleiben mit den Worten, die zum Kanon geworden sind: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.“ Und wirklich, Jesus lässt sich überreden und bleibt bei ihnen. Und dann geschieht das Merkwürdige. Als sie miteinander Abend essen, wird er, der fremde Gast, auf einmal zum Gastgeber. Er nimmt das Brot, bricht es in Stücke und gibt es den Jüngern. „Da fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen und sie erkannten ihn. Im selben Augenblick verschwand er vor ihnen.“ (V. 31).

Zu meiner Einführung als Bischof vor 13 Jahren bekam ich eine Ikone geschenkt, die in Emmaus „geschrieben“ (bei Ikonen redet man nicht vom Malen, sondern vom Schreiben) wurde. In Emmaus gibt es heute eine evangelische Kommunität und einer der Brüder, Bruder Elias, ist Ikonenschreiber. Normalerweise werden traditionelle Motive fort geschrieben. Diese, mir geschenkte Ikone zeigt aber die Emmaus-Geschichte. Und das ist ein auf den Ikonen sehr selten dargestelltes Motiv. Oben steht auf Griechisch „Eis Emmaus täs klasis ton arton“ = „Das Brechen der Brote in Emmaus“. Genau diese Schlüsselszene der ganzen Emmaus-Geschichte ist auf dieser Ikone abgebildet. Wir sehen drei Männer. Der linke ist mit Namen bezeichnet und heißt Simeon, der rechte Kleopas. Der Name des Mittleren ist nicht genannt, aber wir wissen, wer er ist. Im strahlenden Goldkreis steht „der Seiende“, „ho ohn“. Und diese zentrale Figur bricht für sie alle miteinander das Brot. Am Geheimnis der Feier des Heiligen Abendmahls gesundet der Glaube. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen. Im gleichen Augenblick entzieht sich Jesus ihnen. Bei jeder Mahlfeier vergewissert Jesus uns seiner Liebe. Er ist der, der schon immer da ist, auch wenn wir ihn nicht spüren.

Ja, du hast deine Hoffnung verloren, aber ich lade dich an meinen Tisch. Es wird alles gut. Es wird wieder so schön. Jedes Mal, wenn wir Gottesdienst feiern, tritt er neu in unser Leben -  durch sein Wort, durch die Erinnerung an die Taufe, durch die Feier des Heiligen Mahles. Darum brauchen wir die Auferstehung, nicht nur Ostern und einmal im Jahr, sondern das ganze Jahr lang. Jeder Gottesdienst befreit uns neu zum Leben. Unsere Situation ist immer gekennzeichnet davon, dass sich Jesus genau dann, wenn unser Herz brennt, wenn wir in der Rückerinnerung „Feuer und Flamme“ sind, dass er sich uns dann auch wieder entzieht. Martin Luther hat diese Grundbefindlichkeit des Glaubens in den nachdenklich machenden Doppelsatz gefasst: „Indem er uns nahe ist, ist er uns fern. Indem er uns fern ist, ist er uns nahe.“ Es geht um das Paradox, dass Jesus zur Zeit seines Erdenlebens den Menschen sehr nahe war, aber sie haben ihn nicht verstanden. Er war „uns fern“. Nun, nach seiner Himmelfahrt, hat er sich uns entzogen, ist uns aber auf eine ganz andere Art nahe, weil er unsere Herzen brennen lässt. „Indem er uns fern ist, ist er uns nahe.“ Das Christenleben ereignet sich in dieser Mischung aus Gottesnähe und Gottesferne. So wird auch der kleine Nathanael, den wir eben getauft haben, in seinem Leben Zeiten erleben, in denen ihm Gott ganz nah ist, aber auch Zeiten, in denen ihm Gott fern zu sein scheint. So ist das Christenleben. Aber auch dann, wenn Gott scheinbar nicht da ist, ist er schon längst in unser Leben getreten, wie Jesus auf dem Weg nach Emmaus die beiden Jünger schon längst begleitet, obwohl sie es nicht gemerkt haben.

Der Auferstandene hat eine ganz andere, einmalige Existenzweise. Auf einmal ist er da und dann doch nicht mehr. Er ist nicht mehr an Raum und Zeit gebunden. Er ist nicht sofort erkennbar, aber er kann die Herzen bewegen. Das Gefühl seiner Nähe vermittelt sich bei der Feier des Heiligen Mahls.

Und da gehen die Zwei wieder miteinander und sie gehen diesmal zurück nach Jerusalem. Der Weg wird ihnen leichter. Sie spüren den langen und beschwerlichen Aufstieg gar nicht. Sie sind doppelt beschenkte Menschen. Sie wissen um die Botschaft des geschichtlichen Jesus, einmalig. Und sie haben den Christus des Glaubens im Mahl erfahren. Doppelt beschenkt. Unglaublich, in alle Ewigkeit.
Amen.

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