18. Juni 2017 | Wentorf am Casinopark

Brücke zwischen Metropole und Land

18. Juni 2017 von Kirsten Fehrs

1. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu Jeremia 29, 1.4-11, 800 Jahre Wentorf

Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen

 

Liebe Festgemeinde,

von Herzen gratuliere zum 800. Geburtstag Wentorfs! Glück und Segen für eine Hochbetagte – gern auch mit allen Posaunen und Trompeten! (Tusch) Denn man soll es hören und sehen, dass hier gefeiert wird, angemessen ausgiebig! Man soll hören und sehen, dass auch die Kirche mitten im Dorf ist – dass sie mit den Menschen fühlt, dass sie mitgeht, mitfeiert, sich kümmert. Dass sie also mitspielt im Konzert der vielen, die der Stadt Bestes suchen, wie wir es eben in dem schönen Text des Propheten Jeremia gehört haben.

Ich bin von Herzen dankbar, bei Ihnen zu sein und eine so lebendige Gemeinde kennen zu lernen. Denn man merkt sofort: Hier weht ein lebendiger Geist der Gastfreundschaft. Gastfreundschaft für Kind und Greis, Swingende und Singende, für Friedensbewegte, Naturbegeisterte und sehnsuchtsvoll Heimatsuchende.

Und bei so viel Gastlichkeit klingt es auf einmal ganz aktuell, was der uralte Jeremiatext vom allergrößten Gastgeber, den Schöpfer, saget: Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte… Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn. Denn wenn´s ihr wohl geht, so geht´s auch euch wohl. Wenn das kein passendes Wort ist für ein Jahrhundertjubiläum! Dem Sie ja in diesem Ort selbst das Motto gegeben haben: Wentorf – wo das WIR wohnt. Überparteilich, ökumenisch, international – und kulturell sowieso.

Mir gefällt das: Ein WIR derer, die der Stadt Bestes suchen. Das Verb ist dabei entscheidend: Suchen. Wer sucht, der weiß nicht schon alles. Der schaut sich um. Fragt nach und hört zu. Nimmt Anteil. Wer sucht, geht immer auch ein Stück von sich weg, um zum anderen hinzukommen. Das Beste ist nie nur für mich. Sondern immer nur füreinander. Und im Miteinander. Eben nicht: „Zuerst ich!“ Sondern „Zuerst WIR“. So auch in der Welt: Nicht „America first! Great Britain first! – Nein: The freedom of the world first. – Das Erste und Beste ist der Friede auf der Welt! So die Quintessenz in unserem Text, wenn er schließt: „Ich habe Gedanken des Friedens über euch und nicht des Leides, spricht Gott.“

Und so stehen wir als Christengemeinde mit den Gedanken des Friedens hier, auf dem Markplatz, inmitten der Welt – mit all ihren wütenden Aufbrandungen und Verunsicherungen, die uns derzeit so besorgen.

Mit den Gedanken des Friedens stehen wir an diesem Ort, der in seiner Historie wahrlich etwas weiß von Flucht, Krieg und Verlorenheit, aber auch vom Bau neuer Häuser und aufblühender Gärten. Wir stehen in diesen Gedanken hier mit Gott an der Seite, der die Glücklichen und Traurigen über all die Zeiten hin segnet. Mit Licht und Trost in der Nacht, und tätiger Nächstenliebe am Tag – immer schon. Und 800 Jahre auch hier, in Wentorf.

In Jerusalem hingegen (ich erzähle kurz die Geschichte des Jeremiatextes), 587 v. Christus, da suchten die Israeliten verzweifelt Gott. Und Segen. Gerade hatte der babylonische Herrscher Nebukadnezar die Stadt geplündert und zerstört – hat so viel Gewalt angetan und menschliches Leid verursacht. Und in mir steigen die Bilder von Aleppo auf und Mossul und Kabul auf. Wie der Kampf um eine Stadt gerade der Zivilgesellschaft so entsetzliches Leid zufügt.
Und der Plan des Diktators, auch der von Nebukadnezar geht auf: Damit diese Stadt ja nie wieder so stark wird, zwingt er all die Gelehrten, Handwerker und Teile der Oberschicht ins Exil. Während der Prophet Jeremia mit einem kleinen Rest im zerstörten Jerusalem verbleibt, erleben die Weggeführten Schreckliches auf der Flucht. Und nun sitzen im babylonischen Exil, untröstlich, und sehen sie keine Hoffnung mehr. Und Gott auch nicht. Aus. Vorbei, das Leben.
 Da schreibt ihnen Jeremia diese Worte: „So spricht euer Gott:...Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten… Suchet der Stadt Bestes ....

Jeremia schreibt einen Trostbrief, liebe Gemeinde! Wissend, wie zutiefst verlassen sich Menschen in schlimmen Krisen fühlen können. Das kennen wir ja auch, oder? In schlimmen Krisen fühlt man sich so heimatlos, wie weggeführt von den eigenen Gedanken und Gebeten, da ist man bei sich „nicht mehr zu Hause“. Und deshalb spricht Gott weiter: „Gedanken des Friedens habe ich über euch und nicht des Leides …“

Es geht weiter! Mit genau diesen Gedanken der Hoffnung, mit diesen Gedanken, die über das Jetzt hinaussehen, mit diesem Zutrauen, dass Verletzung, Trauma und Flucht niemals das letzte Wort haben – mit dieser Botschaft sollen wir auch heute in dieser Welt stehen. Inmitten der Städte unserer Zeit. Mit all den sozialen und politischen Herausforderungen. Wir sind gesandt, sagt diese Exilgeschichte, dafür einzustehen, dass jeder Mensch Lebensrecht hat auf dieser Welt. Und in jeder Stadt. Das ist Gottes Geschichte mit uns: Kein Mensch ist von der Gemeinschaft der Geliebten und Geachteten ausgeschlossen, weder die Alteingesessenen noch die Neubürger, die, die man von Herzen liebt und die, die einem herzlich egal sind. Integration – ist dafür das moderne Wort. Oder theologisch ausgedrückt: Es lebe der Segen der Gegenseitigkeit!

Überall dort, wo wir dies unerschrocken hoffen, suchen, singen, zeigen, da lässt Gott sich finden! In der Schule, beim Sport, in der Liedertafel, der Feuerwehr – in all den vielen aktiven Gruppen und Vereinen, die es hier in Wentorf gibt! Überall dort, wo der Segen der Gegenseitigkeit gelebt wird, nimmt  Gott Wohnung. Mit seiner Kraft. Seiner Friedensliebe. Seiner kompromisslosen Barmherzigkeit.

Und das mag nun EIN Teil vom Besten in der Stadt….dass mit Gott an der Seite auch stets die Kirche im Dorf war, über Jahrhunderte, ganz lebensnah. Was heißt „war“!- Sie ist! Ausgerechnet mit dem Namen Martin Luther Kirche (wie haben Sie das gemacht, ausgerechnet 2017! J) - nicht 800 oder 500 Jahre, aber immerhin frische 65 Jahre ist sie alt und denkt freundlicherweise nicht über Ruhestand nach…

In der Urkunde meines Vorgängers von 1217 nun, die Wentorf erstmals erwähnt, war´s damals noch die Kirche in Bergedorf. Lange Zeit gingen die Wentorfer dorthin. Um zu beten, für sich und das Land. Um zu beten, dass Christus sie tröste, in Pestzeit und Kriegsnot, in Angst und Trauer. Um zu beten für das Neugeborene, das man glücklich geboren, und für die Liebe des Lebens, dass sie am Leben bleibt. Jahrhundert für Jahrhundert betete man dort.

Dann im 19. Jahrhundert gab es viel Umbruch. Die wachsende Großstadt rückte an das Bauerndorf heran. Schlau verkauften die Bauern ihre unfruchtbaren Äcker an reiche Hamburger für ihre Villen. Dann kamen Handwerk und Industrie, später dann das Militär, dem wir in gewisser Weise diesen Casinopark verdanken.

Nach dem Krieg wurde Wentorf zu einem der größten Flüchtlingslager Deutschlands. Bis zu 9000 "displaced persons", Flüchtlinge, Aussiedler lebten in den alten Kasernen. "Weggeführte", wie jene Israeliten. Was für ein Bogen der Geschichte – von den Israeliten bis heute: Wie der Schmerz über das Verlorene neuer Hoffnung weicht, wenn man willkommen ist!

Zurück zur Geschichte: Wieder kam das Militär, dann zog es wieder ab. Wentorf wuchs, die letzten Bauernhäuser verschwanden. Als "Wentorf bei Hamburg" ist der Ort für mich eine Brücke zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, zwischen Metropole und Land, zwischen bäuerlicher Vergangenheit und städtischer Zukunft. Was für ein ständiger Wandel! Für alle. Wie musste auch die Kirche sich wandeln um hier Schritt zu halten und um tatsächlich der Stadt Bestes suchen zu können!

Und so hat man hier in Wentorf Zukunftsmut bewiesen: hat immer wieder neu gepflanzt und neue Häuser gebaut und den Menschen ein Dach gegeben über ihrem Leben. Man hat renoviert und im besten Falle auch reformiert – eigentlich ja: semper reformanda! Und war getragen von der Idee des Wir, das immer den Nächsten sucht. Als der Stadt Bestes.

Wo solch ein WIR wohnt, wohnt Gott. Dort, wo Menschen einander aufsuchen, um zu verstehen, zu trösten, Deutsch zu lernen. Dort, wo ganz praktisch einmal jemand einen Topf Suppe vor die Tür stellt und Milch mit einkauft - was wären Sie hier eine gute Nachbarschaftshilfe?!

Dort, wo man Flüchtlinge aufnimmt, wohnt Gott (Die aktuell 150 sind ja gewissermaßen eine Kleinigkeit gegenüber den 9000, die hier nach dem Kriege lebten. Ich danke allen für ihr sagenhaftes Engagement, Integration zu leben!) Dort aber auch, wo man Ja sagt zum klaren Nein gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, da ist Gott! Und da bleibt er! Überall da, wo Kinder furchtlos aufwachsen, Jugendliche ihre Herzenssachen herausposaunen und der alte Mensch seine Kinderseele behalten darf. Über all da lebt Gott, lebt der Segen der Gegenseitigkeit.

Danke dafür, liebe Gemeinde zu Wentorf, danke für all diese Zeichen der Gottesnähe. Danke für eure Kraft, eure Liebe und Geistesgegenwart. Danke für eure Gastfreundschaft, die jeden aufnimmt, gleich woher er kommt. Und ich bin Gott dankbar, dass so viele Menschen über die Jahrhunderte hin für die Stadt gebetet haben, auf dass es allen gut gehe. Dass sie aber auch tatkräftig gehandelt, dass sie immer wieder aufgebaut haben, was zerbrochen war. Gott behüte euch, liebe Gemeinde zu Wentorf, auch die nächsten 800 Jahre.

Er segne euch, dass ihr stets die Zukunft erinnert
Und spürt:
Die Gedanken des Friedens sind frei
Und gewinnen große Kraft
Der Glaube hofft und liebt und wächst,
wenn wir unser Herz in beide Hände nehmen.
Und so dann kann die Barmherzigkeit
mietfrei in jedem Menschen wohnen.
Damit WIR einander zum Segen werden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dabei unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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