1. Mai 2017 | Flussschifferkirche zu Hamburg

„Da geht was gemeinsam“

01. Mai 2017 von Kirsten Fehrs

Gemeinsamer Gottesdienst Kirche und Gewerkschaften auf der Flussschifferkirche zu Hamburg, Predigt zu Hesekiel 34 i. A.

Liebe 1. Mai-Gemeinde hier auf der einzigartigen „Flusi“!

„Da geht was gemeinsam!“ - so lautet das Motto heute für diesen Gottesdienst. Na, und wie das geht! Zwischen Gewerkschaften und Kirche, Seefahrern und Demoläuferinnen, zwischen den Swingenden und um Gerechtigkeit Ringenden. Gut ist das. Gemeinsam am 1. Mai. Danke, lieber KDA, für‘s tapfere Organisieren.

Ja, da geht was gemeinsam – uns an! Wir haben es eben in den drei Statements gehört. Vielen Dank dafür! Ich finde es ja jedes Mal beeindruckend, wie viel uns eint und uns gemeinsam anspornt. Allem voran die Vision von einer gerechteren Welt. Und deshalb regt es uns natürlich auf, ja macht uns ärgerlich, dass die Lasten und die Gewinne überaus ungerecht verteilt sind. Da regt es auf und macht ärgerlich, dass zu viele zu wenig Lohn bekommen. Nicht zu schweigen von dem großen Anteil unentlohnter Arbeit für Kindererziehung und Pflege, die vor allem von den Frauen getragen wird. Es regt uns auf und macht ärgerlich, wie vielen Menschen auf der Welt es an Lohn und Brot mangelt, aber auch an Anerkennung, Bildungschancen, Gesundheitsvorsorge, an Zugehörigkeit. Damit dürfen wir uns nicht abfinden.

Was für eine Zeit erleben wir gerade! Präsidenten diesseits und jenseits des Atlantik, die unabdingbare demokratische – und von ihren Grundlagen her ja christliche! – Werte in Frage stellen. Werte wie Meinungsfreiheit, die unantastbare Würde eines jeden Einzelnen, die Religionsfreiheit und Wahrhaftigkeit. Stattdessen wachsen Mauern – zwischen Kulturen, Nationen, Religionen. Und die Angst wächst mit. Eine meist irrationale, manchmal gar unheimliche Angst. Sie ergreift gerade nicht nur die wirklich Zukurz-Gekommenen; deren Ängste um ihre Existenz, wie wir es eben von der Jugend gehört haben, sind ja allemal verständlich. Nein, es gibt eine merkwürdige Angst der Betuchten. Der gut Situierten. Von Menschen mit einem sehr großen Ich. Die letztlich meinen: ICH bin das Volk.

Das ist der Nährboden für all die Rechtspopulisten in Europa, die mit ihren flachen Parolen gerade nicht an politischen Lösungen arbeiten. (Denn in diesem Sinne konstruktiv zu sein, ist, wie wir alle wissen, echt Arbeit.) Nein, sie destruieren. Spalten. Und wenn es hier und heute am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, darum geht, gemeinsam ein neues WIR zu stärken, mitsamt all unserer Werte – dann ist es für mich persönlich zugleich ein Ausdruck tiefer Osterhoffnung. Denn dass Christus auferstanden ist, aus Tod und Dunkelheit und furchtbarer Kälte, heißt eben genau dies: Dass all die Destruktivität, dass soziale Kälte und Gewalt, ja dass die Furcht überwunden werden kann und werden will. Also: Aufgestanden, liebe Geschwister. Gemeinsam. Der Sonne der Gerechtigkeit entgegen.

Unser Predigttext nun bietet uns für dieses Überwinden ein besonderes Leitbild an: das Bild vom guten Hirten. Gott spricht:Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und auch, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Genau wie Gott es von sich sagt - so sollen wir es tun. Auf dem Weg sein, gemeinsam, mit einem Ziel, das Gerechtigkeit heißt. Und so wichtig es ist, dies Ziel im Auge zu behalten, so wichtig ist es, darauf zu achten, dass auf dem Weg dahin niemand verloren geht. Das ist die Pointe dieses Hirtenbildes. Mit der Folge, dass der Hirte die Herde nicht führt und ihr vorangeht, sondern ihr folgt, damit er auf alle seine Schafe achten kann. Damit auch kein einziges von den vielen auf der Strecke bleibt. Auch du nicht – oder ich…

Wir sind viele (so das Motto für die Kundgebung heute – und ich ergänze) – viele Schafe…Zugestanden: Bei mir löst diese Zuschreibung immer auch Widerstand aus. Allemal bei mir als Dithmarscherin. Denn wir kennen unsere Schafe! Und mit Verlaub: ihnen haftet wenig Emanzipiertes an, um nicht zu sagen eher etwas „Treudoofes“. Zudem hat meine schafsnahe Entwicklung von Kind an mir die nüchterne Erkenntnis gebracht: Schafe lassen sich überhaupt nicht führen. Vielmehr sind sie schreckhaft, relativ langsam und stur. Man könnte sagen: total illoyal. Bisweilen laufen sie auch einem weißen Auto hinterher, wenn sie meinen, das sei ein attraktiver Artgenosse. Und wer einmal einem Schäfer zugesehen hat, der weiß: Mit Druck oder gar Zeitdruck geht gar nichts. Der Hirte erreicht seine Schafe vor allem mit der Stimme. Gerade wenn Gefahr droht und Desorientierung - dann hebt er die Stimme. Er lockt mit dem richtigen Ton. Schwingt das Wort und nicht das Zepter. Er redet nicht in Befehlen, spricht kein Machtwort. Schon gar nicht von oben herab. Ein guter Hirte weiß, dass er seine Schafe nur mit klarer Stimme rufen kann, nicht über sie be-stimmen. Das Bild vom guten Hirten ist also alles andere als ein Herrschaftsbild. Es ist ein Bild für Vertrauen, für Beziehung, die Freiheit atmet. Deshalb macht der Hirte vor allem eines: Er weidet die Schafe. Heißt: er sorgt für einen Raum, in dem sie geschützt leben und wachsen können. 

Das nun wiederum versöhnt mich. Denn es geht um gutes Leben für alle. Und deshalb braucht es viele gute Hirten. Nur die Gemeinschaft kann in einer Gesellschaft für einen Schutzraum sorgen, der allen Wachstum ermöglicht. Da geht nur was gemeinsam.

Wir eben. Wir alle sind berufen, auf die zu achten, die am Rande sind. Am Rande ihrer Kraft. Ihrer Geduld. Ihrer finanziellen Möglichkeiten. Wer schon ist gefeit vor Unglück, Liebesverlust, Krankheit, Pflegestufe? Für die Würde eines jeden Ichs braucht es ein aufmerksames Wir. In diesem Wir steckt große Kraft. Gerade jetzt in unserer Gesellschaft, in der so viel Spaltung zu spüren ist – allein die zwischen Arm und Reich! Auf der einen Seite die Familien in Hamburg, die jeden Cent umdrehen, ja wo manches Kind noch nie die Elbe gesehen hat. Auf der anderen die, die jedes Jahr einen neuen Robinsonclub auf der Welt kennenlernen. Einerseits all die älteren und alten Menschen, die mit kleinster Rente und allergrößter Scham vor den Tafeln anstehen. Andererseits die mit Goretexelan ausgestatteten Jung-Alten, die den Fitness-Olymp erklimmen.

Es braucht entgegen dieser Spaltungen die Bindungskraft des Wir. Die Kraft derer, die mit einer Art „Gemeinschafts-Gen“ ausgestattet sind, mit Nächstenliebe im Blick, die nicht zu trüben ist. Die Klartext reden und reden müssen. Dass es z.B. auch in dieser Stadt viel zu viele große und übergroße Ichs gibt, die ausschließlich auf ihre eigenen Interessen schauen. Und das führt – Klartext –  zu tiefstem Unrecht.

Denn: Wehe!, so spricht Gott zu Beginn in unserem Predigttext – Wehe den Hirten, die sich selbst weiden. Die also ausschließlich ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen. Nichts da, sagt die Bibel. Nichts da mit Korruption, Machtpoker, unschön hohen Managementgehältern. Nichts mit “dicker Hose” und “Make America great again“ …

Du sollst das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.

Wie gute Hirten sollen wir sein. Umgeben von Schafen, und zwar gerade nicht alle aus einem Stall – wir sind ja wirklich viele! Fremde wie einheimische, gebeutelte und erfolgreiche, alleinerziehende und junge wilde sind‘s  –  und keine/n einzigen geben wir verloren! Wir alle nicht. Aus diesem Bild spricht etwas enorm Wertvolles, was viele tatsächlich verloren haben (und was Angst macht, wenn sie fehlt): Zugehörigkeit. Dieses im tiefsten Sinne „gesehen sein“. Nicht gegängelt, unter Druck gesetzt, abgewertet - sondern angesehen. Geschützt. Selbst in der Krise, im tiefen Tal – wie es der Psalm sagt - bleibt die Verheißung ungebrochen: Dirwird nichts mangeln… Sondern Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang.

Dass diese empfindsamen alten Worte für viele bis heute so herzensnah und gültig sind, mag daran liegen, dass der Psalmbeter viel vom Leben wusste. Also auch von Herzenshärte, von Heimatlosigkeit und Verlorengehen. Von Unfrieden. So wie ja auch wir. Wir wissen gerade im Blick auf einen immer näher rückenden G 20-Gipfel in dieser Stadt mit ihren stolzen Türmen genau um Armut, Flucht und Traumata. Wir wissen, dass gerade sie, die zuhauf im Schatten des Gipfels leiden, besonders zu schützen sind und deshalb unsere Stimme brauchen. Die von uns Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam.

Wir wissen das. Und wir wissen auch, dass das gar nicht so einfach ist. Schließlich sind wir beide, Gewerkschaften und Kirchen, bisweilen recht sehr viele. Unübersichtlich viele. Die einen zieht´s mehr nach hier, die anderen mehr nach dort. Die dritten kämpfen und die vierten sind unzufrieden, eigentlich immer.

Wir sind viele. Aber sind wir auch eins, wie es heute heißt?

Sicherlich nicht immer im Blick auf das „Wie“. Aber auf das „Dass“. Dass wir eine Vision wie die Gerechtigkeit haben, dass wir sie immer wieder erinnern und – eben als gute Hirten – alles dafür tun, das denkt und lenkt unser Herz und lässt es brennen für die größere Idee. Für eine Gemeinschaft, die auf sich hält und die Barmherzigkeit in die Welt trägt. Die sich gerade macht und Haltung zeigt - auch und gerade angesichts von Staaten, die – Gipfel hin oder her – sich in Punkto Menschenrechte und Demokratie in tiefsten Niederungen bewegen.

Also aufstehen. Da geht was gemeinsam. Wir gehen gemeinsam – erst einmal heute – unter dem Schirm des Höchsten, der uns behütet ein Leben lang. Gehen wir, beten und handeln wir, dass die Stimme der Solidarität und der Nächstenliebe im tobenden Weltkonzert Kraft gewinnt und Frieden weckt.  

So, genau so bewahre der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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