1. Oktober 2017 | Siedenbollentin

Danken, Teilen und auf Gottes Zeit warten

01. Oktober 2017 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt über Jes. 58, 7 – 12 zum Landeserntedankfest

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

dass ich dieses Jahr das Landeserntedankfest hier mit Ihnen in Siedenbollentin feiern kann, macht mich froh. Ein ganzes Dorf ist stolz wie Bolle, dass am heutigen Tag alle in Mecklenburg-Vorpommern nach Siedenbollentin schauen. Das Zusammenwirken von Kommune und Kirchengemeinde bei der Vorbereitung war beispielhaft. So viele haben an der Vorbereitung mitgewirkt. Zeichenhaft wird das deutlich an dieser wunderschönen Erntekrone, die hier in der Kirche hängt. 17 Landfrauen, 34 fleißige Hände, haben sie aus Gerste-, Hafer-, Weizen- und Roggenhalmen gebunden und mit Schleifenbändern in den Landesfarben dekoriert. Das sagt uns: Wenn viele zupacken, dann blüht unser Land auf. Die Voraussetzungen haben wir: gute Böden und Wasser, damit etwas wachsen kann. Zeitweise hat es in diesem Jahr auch zu viel geregnet, darum bekommen wir auch nur eine durchschnittliche Ernte. Aber immerhin: Nach den schlimmsten Befürchtungen im August, können wir heute insgesamt dankbar sein. Die Arbeit ist weitgehend geschafft. Die Landwirte sind leidlich zufrieden. Das ist nicht selbstverständlich.

Ja, wieviel Menschen werden satt durch das, was unsere Bauern ernten – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Teilen der Welt? Matthias Claudius hat gedichtet und wir haben es eben gesungen: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“

Das ist eine zutiefst positive Lebenshaltung. „Alle gute Gabe kommt her von Gott.“ Zugleich ist sie realistisch, weil sie die Grenzen benennt. Wir können eine gute Ernte nicht machen. In der DDR war es ja verpönt, an Gott zu glauben und zur Kirche zu gehören. Dem kommunistischen Staat entsprach die Einstellung: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“. Allerdings gab es bereits ab den 70er Jahren die schlitzohrige Fortführung „Ohne Sonnenschein und Gott geht die LPG bankrott.“ Daher ist es auch eine Frage der Erziehung und Gewöhnung, ob man in seinem Leben mit Gott rechnet oder nicht. Wem im Elternhaus Glauben vorgelebt wird, wer im Kindergarten und in der Schule mit Gebeten und Religionsunterricht aufwächst, für den ist der christliche Glaube etwas Selbstverständliches. Die meisten, die in der DDR aufgewachsen sind, haben diese Wurzeln nicht. Umso bewundernswerter ist es, wenn sich Menschen mit diesem Hintergrund trotzdem auf den Weg machen, wenn sie den Satz „Gott gibt es nicht“ als das erkennen, was er ist: Eine Denkfigur von gestern. Ich freue mich, dass es in Ostdeutschland heute viele jüngere Leute gibt, die an Gott glauben.

Das war auch vor zwei Wochen in Greifswald zu sehen, als wir den 3. Ökumenischen Kirchentag Vorpommern gefeiert haben. Da waren auch viele Kinder und Jugendliche dabei. Der Kirchentag stand unter dem Motto: „Jetzt ist die Zeit der Gnade!“(2. Kor. 6, 2) Es ist eben nicht immer die gleiche Zeit, sondern mit dem Kommen Jesu Christi hat etwas völlig Neues begonnen. Das haben nicht nur die Engel bei seiner Geburt gesungen, sondern davon redet Jesus auch bei seiner ersten Predigt in Nazareth. Nachdem er solche Worte aus dem Jesajabuch vorgelesen hat, wie wir sie als alttestamentliche Lesung gehört haben, die heute dieser Predigt zugrunde liegt, fährt er fort: „Diese Worte sind nun erfüllt. Das Gnadenjahr des Herrn hat begonnen.“ (Luk. 4, 16ff)

Es ist kein Zufall, dass Jesus ausgerechnet auf das Buch des Propheten Jesaja trifft. Dieses Prophetenbuch war zur Zeit Jesu weitverbreitet und sehr beliebt. Es hat eine wirklich neue Botschaft. Gott hat sein Volk nicht vergessen. Ja, noch mehr, Gott macht die Erde neu! Und: Der zweite Jesaja beginnt von einem Gottesknecht zu reden, der in die Lücke tritt und die zerbrochene Beziehung zu Gott heilt, damit „Wir Frieden hätten“. Selbst wenn die Menschen sich nicht um Gott kümmern, jetzt kümmert sich Gott um seine Menschen. Diese Zuwendung Gottes wurzelt allein in seiner Liebe. Das ist der Inhalt der Botschaft. Jetzt beginnt die Zeit der Gnade. Das ist unerwartet und unverdient. In der Kirche haben wir diese neue Zeit anzusagen.

Aber ist heute eine Zeit der Gnade? Merken wir das? Wenn wir an die vielen Katastrophen der letzten Wochen in anderen Teilen der Erde denken, fällt das schwer: Unwetter, Dauerregen, Taifune und Hurrikans haben nicht nur Ernten zerstört, sondern Menschen heimatlos gemacht.

Auch Israel, Gottes Volk, kannte Zeiten, in denen die Häuser zerstört und Menschen heimatlos wurden. In solch eine Zeit spricht der Prophet, auf den sich Jesus immer wieder bezieht. Es ist ein zweiter, späterer Autor als Jesaja, deshalb nennt man ihn auch Deuterojesaja. Offensichtlich steckt in den Prophetenworten eine Verheißung. Natürlich ist sie für den Orient und für ein ganz anderes Klima gesprochen und deswegen lautet sie: „Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ (V. 11)

Der Staat Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem hatte einen Krieg hinter sich und lag Jahrzehnte am Boden. Dann, am Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, trat ein Prophet auf und verkündigte diese Verheißung. Gott würde wieder in ihrer Mitte sein und dadurch würde dem Volk eine unglaubliche Kraft für einen Neuanfang zuströmen. Nur wer einmal im Orient gewesen ist und die große Trockenheit kennen gelernt hat, weiß, als wie besonders ein bewässerter Garten empfunden wird und welch ein unglaublicher Schatz eine Wasserquelle ist, der es nie an Wasser fehlt. Hier in Mitteleuropa, wo es Wasser in Hülle und Fülle gibt, nehmen wir dies als selbstverständlich wahr. Gemeint ist: Gott kann euch unerschöpfliche Energien schenken, die ihr zum Aufbau eures Landes braucht. Unwillkürlich möchten wir von dem Propheten wissen: Wann geschieht denn das? Wann geschieht das in den Kriegsregionen und in den Ländern, die von Dürre oder Überflutungen betroffen sind? Hat Gott eine Bedingung dafür, dass er so zur Kraft zum Aufbau des Landes wird?

Die Antwort kommt in einer wunderschönen Formulierung. So ruft der Prophet uns in die Verantwortung für alle, die Menschenantlitz tragen auf diesem Erdball: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ (V. 7) Der Hungernde, der Obdachlose, der Nackte ist ein Mensch wie du. Vergiss das nicht! Egoismus richtet ein Land zugrunde. Nationalismen zerstören Europa und die Welt. Wenn wir aber beginnen, im Notleidenden einen Menschen zu sehen, wie wir auch einer sind, dann wachsen uns neue Kräfte zu.

Liebe Gemeinde, dies gilt zum einen für uns – hier in Vorpommern, hier im reichen Deutschland: Kein Mensch darf ohne Chance sein, keiner darf sich unsichtbar und sich als hoffnungsloser Fall fühlen. „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“

Wir brauchen die Bereitschaft zum Teilen aber auch über unseren nationalen Tellerrand hinaus. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Armut weltweit noch viel schlimmer ist, als wir sie hier in Deutschland wahrnehmen. Als ein Bild dafür steht mir die Szene vor Augen, wie ich vor Jahren in Zentraltansania, hunderte von Kilometern abseits jeder asphaltierten und befestigten Straße, eine junge Frau gesehen habe, wie sie mit einem Kind auf dem Rücken ihren Acker bestellt und anschließend vom nahe gelegenen Fluss mit einem alten Kanister Wasser zu jeder Pflanze auf diesem Acker bringt. Wie mühsam musste diese Frau ihre Kinder und ihre Familie ernähren, damit sie überhaupt etwas zum Essen hatte.

Es ist ja im Moment unmodern, so etwas zu sagen. Bei der Bundestagswahl letzte Woche sind die Parteien abgestraft worden, die sich der Not der Welt gestellt und um Flüchtlinge gekümmert haben. Aber jedes Jahr sterben durch Hunger und mangelnde Versorgung von Kranken etwa 10 Millionen Menschen, die ansonsten nicht sterben müssten. Die Fitten unter den Menschen in Afrika und Asien sagen sich: „Dann gehen wir doch dorthin, wo es den Menschen besser geht, damit wir nicht verhungern müssen.“ Können wir es Ihnen verdenken? Wenn nicht bald die Lebensbedingungen in ihren Ländern besser werden, werden so viele zu uns kommen, wie wir uns gar nicht vorstellen können. Europa und Nordamerika sind schon jetzt zu einer Burg geworden, wohin die Menschen aus dem Süden vor Hunger und nicht ausreichendem Lebensstandard fliehen. Täglich können wir in den Fernsehnachrichten verfolgen, wie Menschen versuchen, in die Burg Europa einzudringen. Viele bezahlen im Mittelmeer diesen Versuch mit dem Leben. Unser Land gehört zu den reichsten Ländern der Welt und deswegen haben wir für die Armen, egal ob bei uns oder sonst wo auf diesem Erdball, eine Verantwortung, auch wenn so etwas zu sagen, heute unmodern geworden ist.

Liebe Gemeinde, die Probleme des Aufbaus Ost können nicht losgelöst von den Problemen des Aufbaus Süd gesehen werden. Wenn die Kräfte der Liebe und Fürsorge, der Solidarität und der Hilfsbereitschaft um sich greifen, dann wird auch die Verheißung, die damals schon der Prophet gegeben hat, erfüllt werden: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: „Siehe, hier bin ich.“ (V. 8 u. 9).

Gott ist schon einmal unter uns getreten. In seinem Sohn Jesus Christus ist er auf dem Plan. Er verkündet uns die gute Botschaft: „Jetzt ist die Zeit der Gnade! Brich dem Hungrigen dein Brot!“ „Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut“. “Hier“, sagt Gott, „bin ich wirklich da.“

„Wenn du … nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“ (V. 9b und 10)

Vielleicht geht der Gottesglaube in unserem deutschen Volk auch deswegen zurück, weil wir nicht sensibel sind für die Not der Nächsten. Vielleicht können wir wieder an Gott glauben, wenn wir mit den Hungrigen unser Brot brechen und die im Elend ohne Obdach sind, ins Haus führen.

Wer anfängt, Gott für den Segen zu danken, den er in sein Leben gelegt hat, beginnt auch die Menschen in den Blick zu nehmen, die unsere Fürsorge brauchen. Spuren Gottes kann ich sowohl im Wachsen und Gedeihen der Früchte auf dem Feld wie in den Augen der Notleidenden entdecken. Wer Gott einmal kennengelernt hat, begegnet ihm immer wieder.
Amen.

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