21. Juni 2016 | Hannover

Dann klappt´s auch mit den Nachbarn…

21. Juni 2016 von Kirsten Fehrs

Einführungsvortrag „Kirchengemeinden als Teil einer sorgenden Gemeinschaft – eine sozialethische Perspektive“ auf dem 6. EAfA-Symposion (Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der EKD) Kirchenamt der EKD Hannover

Einleitung: Was bleibt, ist die Veränderung - und wir sind immer schon da!

Es ist wie bei Hase und Igel – gleich welche der vielen parallelen Veränderungsprozesse wir derzeit erleben, ob es die Unterkunft für Geflüchtete in der direkten Nachbarschaft ist oder ob es gilt, die zunehmende Zahl der bulgarischen Obdachlosen in der Stadt zu versorgen, ob das Kinderhospiz oder die dritte „Seniorenresidenz Senator“ gebaut wird – Kirche kann sagen: „ick bün all dor!“. Wir sind da. Immer schon. Vor Ort. Ob in Dorf oder Stadt. Mit professioneller Ausstattung und Personal, mit sehr vielen, höchst willigen (und manchmal eigenwilligen) Ehrenamtlichen, einem Netzwerk von Einzelorten, das durch übergeordnete Strukturen „verfasst“ ist - und als Kirchengemeinschaft, die ihr Tun einer intrinsischen Motivation verdankt: Einem Glauben, der sich aus einem großartigen Flüchtlingsbuch nährt, einem Glauben, der von Liebe spricht und Geistesgegenwart und der sich deshalb erweist im Sich-Sorgen um die, die im Schatten stehen. Um die, die nicht mehr so lebensfroh und unversehrt, so vermögend in jeder Hinsicht sind; die zu tragen haben an Ängsten, aber auch am fehlenden Feingefühl ihrer Umwelt, die sie immer gern zu Bedürftigen und Betreuungsfällen erklärt.

Wir sind da, immer schon  – Kirche und Diakonie eben mittendrin auf dem Marktplatz der Gesellschaft, einfühlsam, gemeinschaftsliebend und gerechtigkeitsorientiert. Und überdies gegenwärtig ausgestattet mit nicht wenig Geld.

Und? Sind wir da? Nutzen wir unsere sagenhaften Chancen, „da“ zu sein? Sind wir als Kirche im Gemeinwesen wirklich präsent, inmitten des Verbundes derer, die eine „Caring Community“ bilden – und bilden müssen, wollen nicht Kulturkampfgeschrei und Angstmache in unserer Gesellschaft noch lauter werden?! Sind wir da, selbstverständlich und wertekonstant – wo es gerade jetzt gilt, eine Gemeinschaft der Zugewandten zu bilden, der es nicht allein um Zuwendungen der Regelsysteme geht, sondern um das „irregulär“ Menschliche, das unverordnete Sich-Sympathisch-Finden, das überraschend Belebende in der Begegnung mit dem Fremden. Sünd wi all dor? Oder tagen wir nicht auch deshalb heute hier, damit es heller wird – angesichts der Frage:

Was tun mit unseren Chancen?! Oder – sozialethisch zugespitzt gefragt: welche Aufgabe hat die Kirchengemeinde in unseren Quartieren, Kommunen, Städten und Dörfern, so dass wir eine Gesellschaft derer werden, die ganz gemäß dem Urgemeinde-Ideal - aktiv und von sich aus! – ihre Liebe ebenso wie ihr Brot austeilten „unter allen, je nach dem es einer nötig hatte“? (Apostelgeschichte 2, 45)

Zunächst: Ja, es sind viele da. Erfreulich viele. Gezielt. Gar mit sozialethischem Programm. Oder - so ist es meistens - ohne Plan.

„Und dann haben wir einen Plan gemacht….“

Dazu eine Geschichte:  Vor 1½  Jahren wurden in einem sehr kleinen Dorf in meinem Sprengel kurzfristig ca. 50 syrische Flüchtlinge angekündigt. Man ist zunächst beunruhigt. Die Bürgermeisterin wendet sich an die Kirchengemeinde – und von da an beginnt eine wunderbare Geschichte: Der Pastor kapert instinktsicher den ehemaligen etwa 70-jährigen Gemeindewehrführer der Feuerwehr, Hermann und seine Frau. Die fühlen sich an der Ehre gepackt und gründen ein Netzwerk, in das inzwischen zwei Drittel des Dorfes eingestiegen sind, vor allem die Älteren. Während einer Andacht erzählen sie von ihren Erlebnissen – gemeinsam mit den Syrern, die mit in die Kirche gekommen sind. Hermann beginnt: „Zuerst haben wir miteinander einen Plan gemacht“, sagt er, „und wir haben festgestellt, dass fast jede Familie im Dorf mühelos jeweils eine Flüchtlingsfamilie ausstatten kann – mit Bettwäsche, Besteck, Kleidung und Möbeln.“ „ Ja, und dann haben wir das einfach gemacht“… 

Dann erzählt die alte Dame aus dem Bibelkreis, die mit ihren Freundinnen da ist, dass sie zwar vieles gegeben, viel mehr aber noch empfangen haben. Seit die Syrer da sind, machen sie statt Bibelarbeit „was Schönes“, kochen zum Beispiel gemeinsam. Überhaupt gehen alle herzlicher miteinander um, ja, lernen einander noch einmal ganz neu kennen. Zwei Nachbarn zum Beispiel, wegen einer Hecke total zerstritten, hatten seit fünf Jahrzehnten kein Wort mehr gewechselt. Dann wurden sie losgeschickt, um in der Wohnung der Syrer eine Lampe anzubringen. Über die Leiter hinweg, das ging wohl gar nicht anders, haben sie sich dann schließlich die Hand gereicht. - Die pensionierte Deutschlehrerin, die allein lebt, wendet sich an die Syrer: „Ich bin glücklich, dass ich euch etwas beibringen kann“, „und danke, dass ihr mich adoptiert habt.“ Am Schluss bedankt sich Faris. Auf Deutsch. Beim Pastor, Papa Frank. Und bei Hermann, Susanne, Hans und Martha. Für die Freundschaft, die sie empfangen haben. Und die Bettwäsche. Und die Lampe, sie wäre die hellste der Welt.

Eine wahre Geschichte von caring community. Weil sich hier etwas Entscheidendes ereignet hat: man hat sich in der Sorge um einander (und aus den Ängsten voreinander!) aus den alten Bahnen und Klischees und Vorurteilen heraus geliebt und heraus lieben lassen. Alle haben sie sich verändert. Das Dorf, die Kirchengemeinde – und die Syrer auch. Nicht mit Druck und Stress. Sondern mit Ehrung. Würdigung. Und der positiven Annahme, dass in ausnahmslos jedem Menschen, gleich woher und wie jung oder alt er ist, eine Antwort Gottes auf meine Frage liegen kann, welchen Sinn das Dasein hat. Ich glaube, dass es genau darum geht: um einen Paradigmenwechsel in Sprache, Haltung, Nachdenken und Handeln – nämlich hin zu gewinnender Gegenseitigkeit auch beim Thema Alt- und Älterwerden in dieser Gesellschaft.  

Dazu passt eine zweite kleine Geschichte: Ein Freund von mir hat längere Zeit in einem Elendsviertel Lateinamerikas gelebt und gearbeitet. „Es war immer viel Leben auf den Straßen“, erzählte er, „aber nach ein paar Tagen fiel mir auf: Wo sind eigentlich die alten Menschen? Sind die alle zu Hause? Als er das seinen Kollegen fragt, schaute der ihn an und erklärte: Mein Lieber, die Leute werden im Schnitt knapp über 50 Jahre alt. Die Alten, die du suchst, die gibt es hier gar nicht.“

Mir haben beide Geschichten deutlich gemacht: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Maßstäbe verschieben. Allzu oft schleicht sich in die Diskussionen hierzulande ein schräger Ton ein. „Hilfe, wir werden alt“ oder „Lebenserwartung steigt dramatisch“, solche Überschriften prägen die Demographie-Warnlampen-Debatten. Sicherlich – viel mehr müssen wir uns, so wie hier und heute, auseinandersetzen mit einer sich verändernden Gesellschaft samt ihrer Kirchengemeinden, die aktiver ihre vorhandenen Stärken ins Gemeinwesen einbringen könnten. Das Vorzeichen aber muss doch das der Würdigung sein: Die Wirklichkeit wertschätzen. Es geht darum, den liebevollen Blick zu üben. Sehen, was geht und schön ist und nicht den Mauligen und Forderern das Feld überlassen. Ein Land mit vielen alten Menschen ist jedenfalls für mich genauso wenig ein Schreckensbild wie eine Gesellschaft mit vielen Einwanderern.

Wahrnehmen: Gesichter des Alters

Wäre es nicht schön, diese herausfordernd schön-alte Französin erzählen zu hören? Wie sie manch Winter überstanden hat und wer ihre Sonne war. Welchen Traum sie gehegt, welches Kreuz sie zu tragen hatte und welche Hoffnung sie trug. Ihr Gesicht gibt zu lesen auf. So, als wollte sie uns zurufen: Voilà, so ist das Alter. So viele Facetten wie Falten. Mit Härten und etlichen Weichen, die das Leben gestellt hat.

Das Alter hat viele Gesichter – auch, glaube ich, in uns. Sie aufzusuchen ist lohnend, weil sie starken Einfluss darauf nehmen, wie und welche Projekte wir als Kirche in Quartieren voranbringen oder warum wir es gerade nicht tun.

Albert Schweitzer hat einmal gesagt: „Mit zwanzig Jahren hat jeder
das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit vierzig das Gesicht, das
ihm das Leben gegeben hat, und mit sechzig das Gesicht, das er verdient.“

Nun denn, schauen wir uns um. Und an. Das Leben, wie es uns widerfahren ist, aber auch wie wir es entschieden haben, hinterlässt Spuren. Das kann man sehen, und mehr noch: man sollte es auch sehen. Denn es ist ein Verdienst, wenn ein Gesicht von der Schönheit, den Tragödien, dem Charme, dem Schmerz, dem Jubel und Begehren, der Angst und den Hoffnungen eines ganzen Lebens zu erzählen weiß. Zum Glück stehen Menschen heutzutage wieder stärker zu sich und zu ihrem Alter. Unser Thema heute berührt ja auch dieses: Die Sehnsucht vieler nach einem würdigen und selbstbestimmten Älterwerden. Alt soll bitte nicht gleich automatisch mit Stereotypen in Verbindung gebracht wie: Alt und krank. Alt und gebrechlich. Alt und – Ende.

Ganz deutlich wird das bei den so genannten jungen Alten, die nicht die Defizite des Altwerdens, sondern im Gegenteil fast mit einem gewissen Trotz dessen Potentiale in den Blick rücken. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!

Tina Turner war noch mit über 70 Jahren auf Welttournee.

Beinwunder ohne Venencreme.

Heutzutage geben die Menschen, auch in dem eben erwähnten Dorf, ihre Berufstätigkeit zu einem Zeitpunkt auf, an dem sie noch einmal richtig etwas anfangen wollen. Ganz anders als die 65-Jährigen vor 40 Jahren tut man etwas für sich, ist modisch gestylt, durch Reisen gebildet, durch Golfspiel (oder inzwischen Pilgern) körperlich fit, und in jeder Hinsicht ein interessanter Wirtschaftsfaktor. Doch nicht nur dies – sie sind auch die Zielgruppe mit einem hervorragenden bürgerschaftlichen Engagement.

Diese Gemeindeältesten in Hamburg heißen nun auch noch „Oberalte“… Sie sind von den Hauptkirchen ehrwürdigst gewählt in dieses Amt und übernehmen (meist bis zum 75. Lebensjahr) die anspruchsvolle Aufgabe, die größte Seniorenanlage Hamburgs zu leiten. Und hier ist´s wie anderswo: Ohne diese jungen Alten keine ehrenamtliche Hospizbewegung, keine Synoden und Flüchtlingsnetzwerke, ohne sie keine Lesehilfe für Migrantenkinder, keine Tafel, kein Sportverein. Ihre Erfahrung, ihr Kenntnisreichtum und ja, auch ihre Sinnsuche sind elementar für das soziale Gesicht unseres Landes. Und das wissen Politik und Kirche zu schätzen – hoffentlich mehr statt weniger. Denn ohne diese Menschen könnten wir manche Dienste gar nicht aufrechterhalten. Altwerden hat Potential. Und die Aktivität von Älteren ist ein Potential. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite, gern verdrängt, sind die Grenzen, die der alt werdende Körper und Geist dem Menschen aufgibt zu verkraften. Ab dem 30. Lebensjahr beginnt der körperliche Abbau, und früher oder später fühlt man ihn auch. Die einen mit 60, andere erst mit 80 Jahren. Meistens peu à peu, sukzessive. Potential und Grenze liegen immer dichter beieinander. Ich sehe etwa meine Mutter vor mir, die bei jedem Faschingsfest für die Senioren als Queen Mum aufgetreten ist, um die „alten Leute“ zu vergnügen. Dies wäre in ihrem 85. Lebensjahr fast gescheitert, weil sie wegen der schmerzenden Knie kaum die Treppe zur Bühne hochkam.

Das Alter bringt eben körperlichen Abbau mit sich: Die Brillengläser werden immer stärker, Hörgeräte nötig, auf dem Einkaufszettel steht Tena-Lady, und Erinnerungslücken häufen sich. Dies alles macht ängstlich und unsicher und hemmt die Freude, sich zu bewegen, gemeinschaftlich etwas zu unternehmen und etwas Unvertrautes zu riskieren. Der Lebensradius wird kleiner, die Einsamkeit größer.

Und spätestens, wenn man das erste Mal gefallen ist, über sich selbst oder die Teppichkante, treibt einen die bange Frage um, wie lange man womöglich noch allein in den eigenen vier Wänden zurechtkommt.

Diese Verzagtheit ist gar nicht so einfach zu verstehen, wenn  man sich auf den Körper noch gut verlassen kann, wenn man laufen, springen, sehen kann.

Es sei denn, man macht in der Kirchengemeinde ganz bewusst z.B. einen Konfirmandenunterricht, der dies Altsein erlebbar macht.

Das vergisst kein Konfi, wie es sich anfühlt, wenn man eine Taucherbrille auf der Nase, einen Hörschutz auf den Ohren und mit so einem Simulationsanzug Zusatzgewichte von 15 Kilo am Körper trägt. Alle Sinne sind eingeschränkt, die Gelenke muss man gegen dicke Klettbänder anbeugen. Will man Schuhe anziehen, gerät man ins Schwitzen. Auch Zeitung lesen gelingt nur mit Lupe – Generationenverständigung braucht manchmal ungewöhnliche Experimente. Und da ist die Kirchengemeinde im Quartier absolut naheliegender Lernort!

Wie?

Handlungsoptionen: Kirchliche Arbeit im Quartier 

Was nun folgt aus diesen Wahrnehmungen? Welche Rolle kommt den Kirchengemeinden zu, damit vor Ort sorgende Gemeinschaften aufgebaut werden können?

Angesichts der  demographischen Entwicklung mitsamt den Prognosen bis hin zum Pflegenotstand hat man vor allem im letzten Jahrzehnt grundsätzlicher in Diakonie, Politik und Kirche neue Wege zu beschreiten versucht. Wege, mit denen die Autonomie der Älteren und Alten stabilisiert werden soll, ohne dass dies zu Vereinzelung führt. Wege, die die Würde des einzelnen – wohlgemerkt in jedem Alter! - bewahren hilft, indem man Teilhabe ermöglicht, Teilhabe an gesellschaftlichem Diskurs, an Kultur, Nachbarschaft und sozialer Gemeinschaft. Mit dieser Zielsetzung war es naheliegend zu schauen, wie man nachhaltig die Generationen verbindet, wie man Solidarität fördert zwischen Alt und Jung.-        

Die Idee der Mehrgenerationenhäuser bzw. der generationsübergreifenden Wohngemeinschaften als Win-Win-Situation war sozusagen eine natürliche Geburt.

Sie, wir sind uns doch in vielem so ähnlich, die Jungen und die Alten, warum sollten wir also nicht zusammen halten, was zusammen gehört?

Tatsache aber ist: Bei der Umsetzung solcher großen Projekte zeigt sich mancherorts, wie schwer es ist, dass Alt und Jung nicht nur koexistieren, sondern sich auch kennenlernen, verbinden und nützen. Es geht um mehr als neue Wohnformen und Stadtteilprojekte, es braucht, davon bin ich überzeugt, auch ganz bewusste, neue Kommunikationsformen, die das Gespräch der Generationen gezielt aufbaut.

Glücklicherweise gibt es dazu in Einrichtungen der Diakonie oder in Kirchengemeinden wunderbare Initiativen. Kleine und feine. Nicht immer das große Konzept. Gemeinsam mit den Senioren zum Beispiel backen und kochen Kita-Kinder im Stadtteil-Center, im benachbarten Seniorenheim funktioniert ein Erzählcafé mit Konfirmanden, und mit ursprünglich kirchlichen Initiativen wie „Wellcome“ werden ehrenamtliche Großeltern an junge Familien vermittelt, denen das Neugeborene gerade das Haus auf den Kopf stellt. Bei all dem geht es um Kommunikation in dem Bewusstsein, dass das Alter nicht nur Einschränkung und das Kind-Sein nicht nur Entwicklung bedeutet; der Dialog der Generationen zielt geradezu darauf, bei dem einen das Kind und bei dem anderen die Weisheit zu entdecken.

Ganz neu und beispielhaft ist auch ein Kirchenkreisprojekt "Leben und Sterben, wo ich hingehöre" einer Kirchengemeinde in Hamburg. Dort begleitet ein Gemeindepastor neue Versuche der Seniorenarbeit im Quartier mit dem Ziel, eine altersgerechte Stadtteilkultur aufzubauen. Er erzählt: "Bei den ersten Schritten ist mir bewusst geworden, wie wichtig Kirche als Initiatorin und Moderatorin sein kann. Zugleich gehört aber auch der Mut dazu, das Gemeindehaus zu verlassen und die eigene Seniorenarbeit durch neue Partner zu verändern." Auf diese Weise sollen Begegnungen zwischen den Generationen ermöglicht und Nachbarschaften angeregt werden. Konkret heißt das zum Beispiel: Sich vor Ort mit den Wohnungsbaugenossenschaften über altersgerechtes Wohnen auszutauschen. Themenabende z.B. zu "Gesundheit" oder "Demenz" gerade nicht nur für Ältere anzubieten. Und: sorgsam wahrnehmen, was bereits da ist: Es sind viele Ressourcen im Stadtteil vorhanden, manches muss nur gebündelt und bekannt gemacht werden.

Es sind sieben Erkenntnisse, die sich aus Projekten solcher Art gewinnen lassen:

1.) Es muss mit den Nachbarn klappen! Gute Nachbarschaft erhöht die Lebensqualität. Das gilt für alle Generationen. Wo Begegnung auf dem Hausflur oder am Gartenzaun geschieht, wird ein Stück Leben geteilt: Man sieht sich, feiert gemeinsam, spielt, hilft sich aus. Wo das gegeben ist, bleiben alte Menschen nachweisbar länger in ihrem Zuhause.

2.) Gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen ohne Familie alt werden oder wo sich die Angehörigen über die ganze Weltverteilen, ist es wichtig, Menschen in der Nähe zu haben. Auch wenn sie aus fernen Ländern kommen. Wenn die Kreise im Alter kleiner werden, wird dieser Aspekt immer wichtiger. Alt fühlen sich Menschen, wenn die Mobilität weniger wird, wenn man das Auto gegen den Rollator eintauscht und die Angewiesenheit auf Hilfe steigt. Allerdings aktiv um Hilfe zu bitten, ist gar nicht so einfach. das merken wir an uns selbst. Es braucht ein freundliches Gegenüber, eine Kultur der guten alten Nachbarschaft, die einfühlsam ist und Akzeptanz ausstrahlt.

3.) Im Prozess des Älterwerdens brauchen Menschen selten "schlagartig" Hilfe, sondern es geht um ein Hilfesystem, das sich an die jeweilige Lebenssituation anpasst. Oft braucht es nur wenige Handgriffe, die es möglich machen. Voraussetzung ist wiederum: gute Nachbarschaft, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit einübt, einander um einen Gefallen zu bitten.

4.) Menschen wollen in der Regel zu Hause alt werden. Wenn dieses Zuhause an den eigenen vier Wänden endet und nicht in eine Nachbarschaft eingebettet ist, kann es zu einer Einsamkeitsfalle werden. Diese Gefahr besteht, je älter Menschen werden.

5.) Ergo: Kirchengemeinde kann einen Beitrag leisten, dass alte Menschen mit ihrer Nachbarschaft im Dialog bleiben, ja auch dialogfähig bleiben. Doch da helfen die klassischen Altennachmittage und Seniorenkreise nur bedingt, weil man wieder unter sich bleibt und daran festhält– auch am festen Sitzplatz. Generationen- und Gemeinwesenarbeit hat Konjunktur! Gern auch mit kleineren Aktionen; es müssen wahrlich nicht immer die vielseitigen Konzepte sein.

So geschehen in einer Gemeinde im nicht ganz einfachen Stadtteil Steilshoop. Hier  haben sich viele junge Geflüchtete aus dem Iran taufen lassen, dies wohlgemerkt nach einem monatelangen Glaubenskurs. Eines Tages laden sie gemeinsam mit dem Pastor die Gemeinde zu einem persischen Neujahrsfest ein. Es kommen … - die Alten. Und setzen sich auf ihren Platz. Was für ein Bild: Auf der einen Seite des Raumes die jungen Iraner, auf der anderen Seite die älteren und alten Damen! Plötzlich kommt ein Iraner auf die Idee und fordert eine der alten Damen zum Tanz (nach persischer Musik) auf, Rollator hin oder her. Und binnen weniger Minuten tanzen alle, zu zweit, dann in großer Runde, der Rollator immer hin und her….

6.) Chancen haben Gemeinden deshalb, weil sie an sich bereits ein Nachbarschaftsnetz sind. Oft sind sie eines der am besten funktionierenden und organisierten Systeme im Quartier. Doch leider wird die schwer auszuspielende Karte "Vernetzungsarbeit" selten gezogen. Oft überwiegen in den Kirchengemeinden Angebote und Veranstaltungen für bestimmte Zielgruppen. Man nutzt zwar die gleichen Räume, aber die einen nachmittags, die anderen abends. Orte der Begegnung, Kontaktbörsen sind nach wie vor selten. 

7.) Und schließlich: Seelsorge. Als Kirche können wir sie als unser Spezifikum in die Stadtteile und Quartiere einbringen. Sie ist die Muttersprache der Kirche. Sie ist uns mitgegeben - von dem Moment an, in dem Jesus den Verwirrten beruhigt hat, die Kranken berührt und ja gerade von der fremden Kanaanäerin selbst viel lernt. Mit Gestus, Wort und Ritual ist die Seelsorge eine vielschichtige Sprache der Zuwendung, die Menschen hilft, sich selbst zu verstehen, unlösbare Fragen auszuhalten und sich in den Grenzsituationen des Lebens getragen zu fühlen. Und so ist sie die Sprache, die wir als Kirche in die Gesellschaft einbringen. Und, wie ich finde, die wir vermehrt einbringen müssen. Professionell. Sensibel. Zeitgemäß und zuverlässig. Ganz so, wie es der Prophet Jesaja von Gott beschreibt: „Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan und ich werde heben und tragen und erretten.“ Heißt: Die Gnade bleibt. Die Gnade bleibt, wenn der Mensch wird, wächst und vergeht. Sie bleibt, wenn er träumt, zweifelt, denkt, wenn er liebt und begehrt, wenn er rennt und hinfällt, sie bleibt, wenn einem Hören und Sehen vergeht. Die Gnade bleibt. Welche Kraft ist diese Botschaft der Seelsorge in einem Gesellschaftsspiel, in dem die Karten manchmal allzu ungnädig verteilt scheinen.

Wi sünd all dor – mit einer unerhört guten Botschaft. Und Kraft. Dazu eine letzte kleine Geschichte aus einer Kirchengemeinde mit ebenfalls vielen jüngst getauften Iranern. Die Gemeinde hat sich total verändert und der Kirchengemeinderatsvorsitzende erst recht. Was war passiert?  Nach einem furchtbaren Unfall, bei dem seine Frau und seine Kinder umgekommen waren, war er lange allein und zurückgezogen. Alles kam ihm sinnlos vor. Und dann hat er, Manager der er war, mit 65 Jahren sein Ende geplant und ist in ein Altersheim gezogen. „Zufällig“ lernt er eine 50-jährige Iranerin kennen, eine orientalische Schönheit, sie verlieben sich, verloben sich, sie feiern seinen 70. unter freiem Himmel an der Elbe mit Wein und Käse. Tags darauf zieht er aus dem Altersheim aus, wird KGR-Vorsitzender, und ist mit seinen 75 Jahren so verliebt und vielleicht lebendiger denn je. Vielleicht wäre das auch ein Bild für unsere Kirche? Für eine Kirche der Zukunft!  Raus aus dem Rückzug, hinein ins Leben!

So wünsche ich mir die Kirche – als eine Kraft, die hebt und trägt und rettet, weil sie die Liebe wieder gefunden hat.

Und ihren Schwung.

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