11. Januar 2016 | Hamburg, Ökumenisches Forum Hafencity

Das Recht erfrischt und erhält uns

11. Januar 2016 von Gerhard Ulrich

Einführung der Kirchengerichte der Nordkirche mit einer Andacht zu Amos 5, (22-23) 24

Liebe Schwestern und Brüder!

Artikel 19 der Verfassung der Nordkirche beschreibt das der Kirche anvertraute Amt der Verkündigung des Evangeliums als das eine Amt, das sich in verschiedene Dienste gliedert. „Die in diese Dienste haupt-, neben- und ehrenamtlich Berufenen tragen die Verantwortung dafür, dass jeweils in ihren Aufgabenbereichen der Auftrag der Kirche wahrgenommen wird. Damit dienen sie der Einheit der Kirche.“

Das ist so wunderbar evangelisch, nämlich vom Evangelium her gedacht – da sind ganz unterschiedliche Menschen, die sind getauft worden und die haben sich anstecken lassen von der frohen Botschaft des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus – und die sind nun berufen, in der Freiheit eines Christenmenschen selbst und eigenverantwortlich weiter zu bezeugen das Evangelium in Wort und Tat – frei im Glauben und dienstbar in der Liebe zugleich, wie Martin Luther unübertroffen formuliert und eben – auch dies Martin Luther: aus der Tu gekrochen kommt dieser Dienst.

Das, liebe Schwestern und Brüder, ist unser aller Auftrag in der Kirche, dass wir bezeugen die frohe Botschaft in Wort und Tat. So sagt es die Präambel unserer Verfassung. Jede und jeder mit den Gaben, die Gott ihr oder ihm geschenkt hat. Darum können und wollen wir heute den neuen Mitgliedern der kirchlichen Gerichte ihr besonderes Ehrenamt in unserer Kirche übertragen und von ihnen das Gelöbnis für ihren besonderen Dienst erbitten.

Der Prophet Amos schreibt im 5. Kapitel, Vers 24: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach!“

Das Recht: wie Wasser, Schöpfungselement. Ohne Wasser kein Leben. Das Recht erfrischt und erhält uns. Lässt uns atmen und bewegen. Wasser bringt Wachsen und Gedeihen.

Die Zwillingsschwester des Rechts: Gerechtigkeit. Wie ein Bach. Der Bach ist sozusagen die Bahn, die das Wasser transportiert: Gerechtigkeit ist das Fluss-Bett des Rechts. Und dieser Bach trocknet nicht aus – von Gott her. Das Recht sprudelt aus der Quelle. Es ist uns gegeben. Und die Gerechtigkeit sorgt dafür, dass es überall dorthin gelangt, wo es gebraucht wird und sie verteilt das Element.

Auch die Gerechtigkeit Gottes ist von ihm selbst geschaffen. Seine aktive Gerechtigkeit ist entstanden durch seine Aussöhnung mit sich selbst im Kreuzestod Jesu. Vom Kreuz fließt uns Gottes Gerechtigkeit zu als Strom des Lebens. Jesus selber zeigt, wie das Recht durch Gerechtigkeit transportiert wird, wie es die erreicht, die in ihrer Schuld verstrickt und gefangen sind; die vertrocknen, weil ihnen der Bachlauf abgeschnitten ist, an ihnen vorbei geleitet das Recht, abgelöst von der Gerechtigkeit, die immer alle Menschen und alle Geschöpfe gleichermaßen meint; wie es jene erreicht, die im Finstern sitzen und im Elend; die auf der Flucht sind vor Gewalt und Hass. Und auch jene, die Schuld auf sich geladen haben und auf Unrecht mit Unrecht und auf Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit reagieren.

Der Bach ist nicht die Quelle, aber mit ihr beginnt er. Ohne die Quelle ist der Bach kein Bach – nur eine Bahn. Gott selbst setzt das Recht. Alles Recht in der Welt ist abgeleitetes Recht, verlangt Rechenschaft ihm gegenüber. Er ist der Richter. Bei ihm lernen wir das richtende Geschäft, und die Unabhängigkeit, die dafür nötig ist, haben wir von ihm. Wir sind nicht die Quelle – sein Wort ist es, das Wort von der Gnade und der Vergebung. Gott will uns brauchen.

Durch uns transportiert Gott alles, was Recht ist.

Zum Bach, der uns die Gerechtigkeit Gottes erklärt, gehören auch Kieselsteine. Sie sind geprägte Originale, harte Widerstandskerne, belastbare Fundamentsteine. Gewaschener, geschliffener Grund.  Jesus selbst hat hart an sich arbeiten lassen, bis er die Reife hatte zu sagen: Ich bin das Brot des Lebens, ich bin der gute Hirte und die Auferstehung und das Leben. Er hat seine Stirn hart gemacht wie einen Kieselstein, als er die Gerechtigkeit Gottes durchsetzte. Mal tat er das gegen die, die zum Steinigen bereit standen, mal tat er das gegen die Selbstgerechten. Jesus suchte und fand Menschen, die wie vom Bach geschliffene Kieselsteine sind. Menschen wie Du und ich, die die Festigkeit geschliffener Kieselsteine haben, sind das Flussbett der Gerechtigkeit Gottes.

Der Prophet wusste, welches Bild er benutzen musste, damit die Menschen ihn verstanden. Die Bäche in Israel, wie z.B. Kidron und Krith, Jabbok und Besor haben zwei Charaktere: einen in der Regenzeit und einen in der Trockenzeit. Es sind meist kurze Bäche, die für wenige Wochen riesige Wassermassen vorantreiben und große Felsbrocken herabstürzen. Sie münden nach wenigen Kilometern in den Jordan oder ins Mittelmeer, oder aber sie verschwinden unter Felsbrocken im Wüstensand.

Beides findet sich in Bibeltexten: Die Angst, von den Felsbrocken eines Gebirgsbachs erschlagen oder von einem „Trugbach“ um eine Überlebenshoffnung gebracht zu werden. In der Regenzeit sind die Bäche Sinnbilder der Urgewalt der Natur. Dann lernen wir von einem Bach, dass er größte Hindernisse wegdrücken kann. Wut und Zorn, Kränkung und Traumata, Kriegserlebnisse und ähnliche Bilder lösen sich nicht auf ins Nichts, sondern werden zur Seite gedrückt. Wenn die Bäche der Gerechtigkeit Gottes zusammenfließen und ein Meer bilden, können unfassbare Brocken auch absinken. Es gibt dieses Bild für die Vergebung: Gott warf unsere Sündenbrocken ins äußerste Meer. Amos würde sagen: Gottes Gerechtigkeit kann wie ein Sturzbach Geröllmassen wegschieben. Damit sind aber nicht nur die Trümmer unserer Fehlplanungen gemeint, sondern auch die zentnerschweren Lasten Anderer und die tonnenschweren Barrieren, die quer zum Leben stehen.

Amos weiß, dass das Recht recht angewandt werden muss oder – anders herum – dass es missbraucht und gebeugt werden kann:

„Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!“ So lautet die harsche Kritik des Propheten an der sozialen Ungerechtigkeit des Volkes und seiner Mächtigen. Da gibt es einen Widerspruch zwischen dem frommen Getue und der Realität. Gott aber ist ein unbeirrbarer Richter. Für ihn ist klar: wer Recht hat, bekommt es auch. Er lässt sich nicht täuschen. Sein Recht gibt es nicht ohne Wahrheit und Klarheit: Darum „…ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Jeder Bach kommt von seiner Quelle und drängt zu seiner Mündung hin. Die Gerechtigkeit Gottes hat auch ein Ziel, auf das sie zu drängt. Gottes Gerechtigkeit kommt zur Vollendung, wenn das Reich Gottes errichtet wird, das Reich seiner Gerechtigkeit. Mit einem anderen Motiv aus der Natur wird das so umschrieben: Alles fließt in das Meer seiner Gnade. Gnade heißt ja nicht: alles gut, alles easy. Gnade ersetzt nicht das Recht, sondern ist Teil des Rechts selbst. Der gnädige Gott, unser Lebensrichter, weiß und schreibt uns in die Gerichtsakten: niemand, kein einziger Mensch geht auf in dem, was er oder sie tut; geht nicht auf in seinen Guttaten, geht nicht auf in seinen Untaten. Die Gnade als Teil des Rechts rechnet damit, dass jeder Mensch immer wieder neu anfangen kann, umkehren nennt das die Bibel. Ohne die Gnade als Teil des Rechts gibt es menschliches Zusammenleben nicht. Und dem Zusammenleben der Menschen dienen Recht und Gerechtigkeit. Und durch uns will hindurch fließen alles, was Recht ist. Darin ist Ihr Dienst als Richterin oder Richter Teil des einen Amtes das der Herr seiner Kirche gibt: dem der Verkündigung. Denn das Wort Gottes sucht sich sein Flussbett und will nichts anderes, als dass Menschen in Frieden und gerecht miteinander leben und beieinander wohnen als Gottes Hausgenossen.

Liebe Schwestern und Brüder,

an Recht und Gesetz gebunden und in richterlicher Unabhängigkeit werden Sie, die Richterinnen und Richter, in unseren kirchlichen Gerichten Ihren Dienst tun. Das ist Ihr besonderer Dienst an dem einen Auftrag der Verkündigung, der uns allen in der Kirche von Christus aufgegeben ist. Sie werden im Fluss halten das Recht. Wir erbitten heute für Sie alle den Segen und die Hilfe unseres Gottes für Ihr Tun. Und das tun wir miteinander als Christenmenschen, die betend einstimmen in die Worte des 36. Psalms: „Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Licht sehen wir das Licht“. (Verse 8-10).

Amen.

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