30. September 2017 | St. Petri Hamburg

Das Wunderbare jedes Lebens

30. September 2017 von Kirsten Fehrs

Andacht zur Übergabe der Erntekrone in St. Petri, Ansprache zu Psalm 104

Liebe Erntedankgemeinde,

jedes Jahr an diesem Sonnabend vor Erntedank denke ich: Was ist das für ein wunderbares Fest! Ich freue mich sehr, dass wir hier in der Hauptkirche St. Petri wieder zusammen feiern, mit Ihnen, liebe Landfrauen, und mit Euch, liebe Kinder von der Vierländer Speeldeel. Gerade für uns in der Großstadt ist es so wichtig, dass wir immer wieder erinnert werden, woher unsere Lebensmittel eigentlich stammen. Dass die Äpfel von Bäumen gepflückt werden müssen, die wiederum gepflanzt werden wollen und gehegt und gepflegt und geschützt vor Insekten. Und dass die Milch nicht einfach einem Tetrapack entspringt, sondern gemolken werden muss aus einer Kuh, die wiederum gepflegt werden muss und der es gut gehen soll, weil sie ein lebendiges Wesen ist und keine Maschine.

Gerade in dieser Zeit ist diese sinnliche und empfindsame Seite von Erntedank wichtig, finde ich. Denn wir erleben ja, dass durch die Digitalisierung Arbeit immer schneller, wenn auch einfacher wird. Ein Fingerwischen auf dem Display, und schon werden komplizierte Abläufe und Rechenvorgänge in Kraft gesetzt. Man kann mit dem Handy einkaufen, die Bankgeschäfte regeln, die Hausheizung in Gang setzen. Viele Steuerungsvorgänge in der Industrie laufen über das Smartphone oder das Tablet. Auch auf Bauernhöfen hat diese Technik längst Einzug gehalten, und das erleichtert die Arbeit dort genauso wie an anderen Arbeitsplätzen.

Und doch ist die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern anders. Denn sie ist nie nur technisiert. Sie hat direkt mit dem Leben zu tun und dem Wachstum. Und wer dies hautnah erlebt so wie Sie, der ist sich doch mit Demut bewusst, dass wir von vielen Dingen abhängig sind, die wir nicht in der Hand haben – in diesem Jahr war´s ja bei allem Segen doch arg viel Regen...

Heißt ja: Wir können mit Fleiß pflügen und streuen, aber wie‘s wächst und gedeiht, liegt in des Himmels Hand. Denn auch, wenn der Mensch viel weiß; wie das Leben wirklich wird, das weiß er nicht. Er weiß viel über Saatgut und Dünger, über Evolution und Photosynthese. Doch er weiß nichts vom Geheimnis des Lebendigen. Dass aus Samen und aus Zellen neues Leben wächst, bleibt doch geheimnisvoll und wunderbar und nur zu bestaunen. Es entzieht sich unserem Wissen, was wir nicht sehen können. Und gerade dies berührt uns oft am tiefsten. Denn was ein Geheimnis zu einem Geheimnis macht, ist die Erfahrung, dass es bei näherem Hinsehen ein Geheimnis bleibt. Alles Forschen und Rätseln macht es eher noch faszinierender, größer. Ein Geheimnis lässt mich nicht los, so wie mich ein geliebter Mensch auch nach vielen gemeinsamen Jahren nicht los lässt. Denn auch Liebe geschieht, man weiß nicht wie.

Die Bibel findet im 104. Psalm wunderschöne Worte dafür: „Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich…Du machst das Land voll Früchte, die du schaffst. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst.“ Alles, was wächst, weist hin auf den Schöpfer dieser Gaben. Und damit immer auch auf das Wunderbare jedes Lebens. Wir müssen es nur sehen wollen. Und achten. Darum geht es dem Psalmist: dass wir einen Zusammenhang herstellen von Saat, Wachstum und Ernte, von Gottes Wundern und menschlicher Arbeit.

Und das ist bitter nötig. Ich habe jüngst von einer Studie gelesen, in der mehr als 1200 Kinder über Naturzusammenhänge und Landwirtschaft befragt wurden. Jedes fünfte Kind konnte nicht eine einzige Getreideart aufzählen. Die Hälfte wusste nicht, wie man ein weibliches Schwein nennt. Und zwei Drittel wussten nicht, in welcher Himmelsrichtung die Sonne aufgeht. Seufzend schreiben die Forscher über die 12- bis 15-jährigen Schüler und Schülerinnen: „Nicht wenige gehen davon aus, dass Früchte, die es im Supermarkt gibt, einfach im Wald gesammelt werden können. Dass diese von Obstbauern auf Plantagen oder Feldern angebaut werden, scheint ihnen nicht bewusst.“

Die andere Seite: Gestern haben wir auf der Landessynode einen faszinierend dynamischen Gottesdienst mit Jugendlichen gefeiert, die parallel ihre Klimasynode abhielten. Annalena, eine von den Jugendlichen, die mit mir gepredigt haben, erzählte ganz beeindruckend, dass die Pfadfinder vom VCP sind schon lange mit unserer Aktion „Verschwenden beenden“ unterwegs sind. Heißt: sie retten Lebensmittel, die sonst weggeschmissen worden wären, um daraufhin leckere Gerichte für jeden zu zaubern. Sie erzählt: „Nach einer Rettungsaktion haben wir oftmals mehrere Kisten Brot, Obst, Gemüse oder sogar mehrere Kilo Süßigkeiten. So vieles, was nur durch uns, vor der Tonne gerettet wurde. Genau an diesem Moment, ist man seinem Traum ganz nah. Doch dann kommt der ernüchternde Gedanke: Was ist mit Morgen? Morgen werden auf der ganzen Welt wieder Tonnen von Lebensmitteln weggeschmissen, die nicht von uns gerettet werden können.“

All die Jugendlichen haben uns Hoffnung gemacht. Weil sie gezeigt haben: Wir bleiben dran am Thema. Verschwenden beenden! Sie haben so Recht, liebe Gemeinde!

Heißt also: Jammern hilft nicht. Stattdessen hinschauen, was man besser machen kann. Und also: rausgehen mit den Kindern und Jugendlichen. Am besten in den Wald. Oder in den Garten. Oder einen Ihrer Bauernhöfe besuchen. Ich denke, wir brauchen mehr als die – ja sehr schönen – Schulgärten, damit gerade auch Kinder aus sozial schwachen Familien an die Natur herangeführt werden.

Besonders freut es mich, dass auch Kirchengemeinden hier mitziehen. Seit einigen Jahren gibt es den Luthergarten in Bahrenfeld, eine grüne Oase in der Stadt. Beete, Gewächshäuser und Bienenstöcke auf 14000 Quadratmetern. Familien aus der Gemeinde ackern hier Seite an Seite mit Flüchtlingen, mit straffällig gewordenen Jugendlichen, mit Pfadfindern. Alle eint das Erfolgserlebnis: Hier wächst etwas, was wir gepflanzt haben. Oder die Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst, die gemeinsam mit anderen Einrichtungen aus dem Stadtteil den „Matthäus-Garten“ angelegt haben. Im Sommer haben sie Hochbeete gezimmert, vor kurzem dann die ersten Radieschen geerntet und sich riesig gefreut. Denn Ernte ist Freude. Für Hobbygärtner genauso wie für Berufslandwirte. Auch wenn die Freude in manchen Jahren kleiner und in manchen Jahren größer ist. In diesem Jahr vielleicht eher ein bisschen kleiner…

Ich bin überzeugt: Wer nicht mehr weiß, wo die eigene Nahrung wächst, verliert am  Ende auch den Sinn dafür, wie wertvoll, besonders und zerbrechlich das Leben überhaupt ist. Nicht ohne Grund steht am Anfang der Bibel ein Garten, der Garten Eden. Von ihm geht das Leben aus. Und auch wenn der Mensch aus diesem Paradies vertrieben wurde, so ist doch die Sehnsucht danach allen noch eingewurzelt. Die Vision vom gelingenden Leben, vom Paradies hat immer auch mit der Vorstellung vom wunderbaren Garten zu tun. So wie auch das Reich Gottes aus einem Senfkorn erwächst und nicht etwa aus einem Stein gemeißelt wird oder von einem Computerprogramm erzeugt.

Und dieses Reich Gottes, es ist mitten unter uns, sagt Jesus. Unter uns, die wir uns heute mit dem Blick auf den Altar und die Früchte des Lebens bewusst werden, dass wir haben, was wir zum Leben brauchen. Wissend, wie privilegiert wir sind, oder? Schauen wir nach Afrika, so furchtbar dieser Hunger. Alles mitten unter uns. Wer all das bedenkt, was einem geschenkt, kommt ins Bedanken. Danken ist ein tiefes Gefühl. Im Schauen auf die Kinder, im Lachen und Tanzen, im Gebet, im ganz Praktischen, beim Deutschlernen mit Flüchtlingen, beim Gärtnern, im Begehren, in der Liebe. Überall dort, wo ich mich hinein-, ja hin-gebe. Da wächst Sinn und Segen. Und es wird nicht aufhören, sagt Gott. Es wird nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Wachsen und Gedeihen, Gott mitten unter uns. „Gott is bi di. Wees man nich bang.“

Denn sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt jeden Augenblick unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

 

Datum
30.09.2017
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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