7. November 2017 | Evangelisch-Lutherische Diakonissenanstalt Alten Eichen in Hamburg

Dem Menschen zuliebe

07. November 2017 von Kirsten Fehrs

Gottesdienst zum Jubiläum 150 Jahre Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Alten Eichen, Predigt zu Römer 12, 9-18.21

Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt!

 

Liebe Festgemeinde –

150 Jahre Alten Eichen! Ich bin dankbar, bei Ihnen zu sein, und dieses Jubiläum mit Ihnen zu feiern. Zumal wir Protestanten in Punkto Feiern sowieso gerade so richtig in  Schwung sind... Ein feste Burg – mit vielen Wohnungen, in denen die Barmherzigkeit Einzug gehalten hat – treffender kann man die Arbeit in der Diakonissenanstalt Alten Eichen kaum beschreiben. Das macht mich zutiefst dankbar, und wenn ich hier in die Gesichter schaue, ist deutlich: Dankbarkeit ist die Musik, die uns heute eint.

Hingegen scheint Paulus in seinem Brief an die Römer jede Menge Anlass zu haben, NICHT dankbar zu sein. 22 Imperative in 11 Versen – Junge, Junge, der gibt seinen Mitchristen aber jede Menge zum Nachdenken… könnte man denken, wenn man nicht wüsste, dass Paulus immer seinen Dank VORHER ausspricht, vor allem anderen. „Zuerst danke ich meinem Gott für Euch alle…“ so heißt es ganz zu Beginn des Römerbriefes.

Und so bekommt der Predigttext auf einmal eine ganz andere Melodie. Hinter all den Appellen steckt nämlich ein unbeirrbar positives Vertrauen, dass wir fähig sind zu lieben und zu halten und zu hören und zu teilen. Paulus traut uns zu, großzügig zu sein, über den Schatten der Ungeduld zu springen und verzeihen zu können. Kurz: gut zu sein.  Damit sich ändert, was nicht gut ist. In Jesu Namen.

Dieses Zutrauen des Guten aus einer tiefen gemeinsamen Verbundenheit zu Christus heraus ist etwas ganz anderes als ein Mahnkatalog oder gar Belehrung von oben herab. Es ist eine Übung zur Güte, eine Lebenshaltung, die den anderen braucht, ja sucht. Und nicht befürchtet.

Das entscheidende Wort im Text ist „untereinander“. Einander helfen. Sehen. Lieben. Gastfreundlich sein. Wahre Hilfe beruht auf Gegenseitigkeit, ja man könnte sogar auch sagen: Solidarität. Das Leitbild bei Paulus ist eben die brüderliche, sprich natürlich: geschwisterliche Liebe, die den anderen mit hoher Achtung begegnet, gleich woher sie kommen.

Das war damals zur Zeit des Paulus alles andere als üblich. Zwar gab es in der Antike Armenhilfe, jedoch spendeten die Reichen und Adligen mit mildtätiger Gönnergeste von oben herab. Auch um das soziale Gefälle zu betonen.

Das totale Gegenteil fand in den christlichen Gemeinden statt: indem einfache Menschen anderen halfen, durchaus auch mit Kollekten, vollzogen sie selbstbewusst eine "Demokratisierung aristokratischer Wohltätermentalität". Gerade diese diakonische und solidarische Gemeinschaft machten die jungen christlichen Gemeinden so attraktiv für ihre Umwelt. Diakonie war also von Anfang an der Herzschlag des Christentums. Geschwisterliche Liebe, untereinander.

Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings – Sie merken, ich nähere mich rasant dem Jubiläum – stand es damit nun in Hamburg wahrlich nicht zum Besten.

Kirche war nämlich durch die allzu enge Verbindung mit dem Staat zu einer basisfernen Behörde erstarrt. All die Errungenschaften der Reformation, die der gute Bugenhagen-Spiekermann im Festgottesdienst vor einer Woche im Michel so plastisch vor Augen und Ohren geführt hat, also z.B. ein Armenwesen mit den Gotteskästen und eine geistlich erneuerte Kirchenstruktur – all das war hin. Von geschwisterlicher Liebe war in den Gemeinden wenig zu merken. Kein Wunder, dass unter dem Motto "Innere Mission" eine Bewegung entstand, in der Männer und Frauen den christlichen Glauben mit neuem Leben erfüllen wollten. Und das hieß: anpacken, hinschauen, beten, handeln. Denn da war so unendlich viel Elend in Hamburg und Altona. Hatten sich doch in Folge der Industrialisierung die Sozialstrukturen in der Großstadt komplett gewandelt.

Allein im Gebiet der Hauptkirche St. Trinitatis lebten 42.000 Gemeindemitglieder, die von drei Pastoren versorgt oder eben: Nicht versorgt wurden. So trafen sich am 12. November 1866 in der Wohnung von Emma Poel, der Leiterin des kirchlichen Frauenvereins, die Altonaer Pastoren, der damalige Bischof und einige städtische Honoratioren und beratschlagten, was zu tun sei. Et volià:  Man gründete - ganz modern - eine Diakonissenanstalt. Die allerdings bestand zunächst nur aus zwei jungen Frauen, die im städtischen Krankenhaus halfen und in einer Art Wohngemeinschaft lebten. Kurz darauf waren‘s neun. Dann kam er. Pastor Theodor Schäfer – er blieb 39 segensreiche Jahre. Unter seiner Leitung entstand ein Krankenhaus für Frauen, das Mutterhaus für 24 Diakonissen, ein Pastorat, später eine Kirche. Und etliche neue Arbeitszweige wurden aufgenommen.

Wie zum Beispiel zunächst die Ausbildung von Diakonissen für ganz Schleswig-Holstein. Mit dem besonderen Schwerpunkt Gemeindepflege: Eben dieser oft immer noch vermissten Krankenpflege zu Haus. Wer erinnert nicht die Fahrrad fahrende Schwester, die eine einzige christliche Sozialarbeit auf zwei Rädern war?!

Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr – tatsächlich wurde aus ganz bescheidenen Räumlichkeiten in kürzester Zeit ein riesiger Gebäudekomplex mit Krankenhaus, Kita, Ausbildung. Ganz in Paulus´ Sinne: Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Bis zu zweihundert Diakonissenschwestern schließlich lebten diese Nächstenliebe und eine ganz neue Kranken- und Armenpflege wurde geboren!

Die Geschichte geht aufregend weiter - und da ich weiß, dass mit Hans-Peter Strenge nachher der kundigste Detailkenner von allen aufwartet, halte ich mich hier – ganz dem Predigttext gemäß – nicht selbst für klug und also kurz wie möglich.

1898 kam das so genannte „Krüppelheim“ dazu. Im medizinischen Bereich baute man eine Unfallheilstätte und die Orthopädie. Ab 1901dann im Landhaus Alten Eichen konnten Jugendliche eine Schul- und Berufsausbildung erhalten. Damit sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienten. Hilfe zur Selbsthilfe, schon damals. Man komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor, gerade auch den jungen Menschen. 

Grausam dann die Nazizeit. Sie veränderte vieles in Alten Eichen zum Unguten. Es wird nun zum Ziel erklärt, „bildungsfähige Krüppel… als nützliche Glieder in die Volksgemeinschaft einzugliedern“. Mag sein, diese Erklärung diente auch dazu, die Arbeit mit Behinderten überhaupt aufrecht zu erhalten. In jedem Fall bildeten die behinderten Jugendlichen in Alten Eichen eine eigene Gruppe in der Hitlerjugend, den Bann K (für „körperbehindert“) – so absurd. Oder war‘s ein geschickter Schachzug, um den Jugendlichen mehr Akzeptanz zu verschaffen?

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude in Altona und in Alten Eichen weitgehend zerbombt. Man zog ins unzerstörte Kindererholungsheim in Bad Oldesloe. Unzählige Obdachlose und Flüchtlinge haben die Diakonissenschwestern in den letzten Kriegsmonaten dort versorgt. Doch dann der schwärzeste Tag der Diakonissenanstalt: Zwei Wochen vor Kriegsende wird bei einem amerikanischen Bombenangriff das Heim völlig zerstört, 24 Menschen, die meisten davon Diakonissen, starben unter den Trümmern, viele wurden schwer verletzt.

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 

Christus im Herzen galt es für diesen Frieden zu arbeiten. Gutes zu tun in böser Zeit. Sich der Nöte anzunehmen – in der Nachkriegszeit in Hamburg glich das einer Sisyphosarbeit. Eine starke Frau war´s, die den Wiederaufbau Alten Eichen in die Hand nahm: Oberin Charlotte Lehmann. Danach gründete man die Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik und baute ein neues Krankenhaus mit 230 Betten. Es sind starke Frauen, liebe Alt-Oberin Renate Buhr, die Diakonissen: Beharrlich im Gebet und fröhlich in der Hoffnung geben sie den Menschen Zuversicht und Trost. 1967, zum 100. Jubiläum sind es noch über hundert Diakonissen und Verbandsschwestern. Heute gibt es nicht mehr viele von ihnen, jedoch immer Menschen, die die Arbeit in ihrem Geist weiterführen. Dafür seien Sie, liebe Oberin Astrid Kapels, stellvertretend genannt: Gott segne Sie in Ihrem Dienst, den Sie in diesem Jahr ganz neu angetreten haben!

In Alten Eichen mit seinen alten Eichen. Sie erinnern bis heute an die Standfestigkeit, die man braucht, um in sozialen Berufen zu arbeiten. „Dem Menschen zuliebe“, das ist das Ziel. Bis heute. Immer aktuell in den Wandlungen der Zeit. Auch nach der Fusion zum Diakonieklinikum in Eimsbüttel. Dem Menschen zuliebe – vor allem aktuell mit Tagespflege und Altenheimen sowie Häusern für betreutes Wohnen, aber auch mit Diakoniestationen, einem Ambulanten Hospizdienst, Kindertagesstätten – die Aus- und Weiterbildung für soziale Berufe nicht zu vergessen.

Mir ist bei dieser ganzen bewegten Geschichte der Diakonissenanstalt nachgegangen, wie wichtig sie für unser aller Zukunft ist. Denn es ist ja eine Vision, die Paulus uns mit seinen Worten ins Herz hineinsenkt. Und diese Vision ist hier konsequent versucht worden zu verwirklichen: nämlich tatsächlich eine mitfühlende, auch mit-leidende, also sympathische, weil aufmerksame Gemeinschaft zu werden. Und dies eben nicht allein in kirchlicher Abgegrenztheit, die sich moralisch zu den Besseren zählt. Sondern in Solidarität, in geschwisterlicher Liebe zu denen, die unsere Stadtwelt gestalten in Politik, Wirtschaft, Verbänden.

Denn eine Gesellschaft, liebe Geschwister, ist nur so klug, wie sie achtsam ist. Wie sie sorgsam und  liebevoll gegenüber all denen ist, die nicht (mehr) beheimatet, unversehrt, vermögend sein können; die zu tragen haben an ihren Ängsten und Schwächen, Schmerzen und Fragen. Mittragen, was zu tragen, und verändern, was nicht mehr zu ertragen ist –  dafür hat Alten Eichen über 150 Jahre lang  in dieser Stadt Zeichen gesetzt. Von ganzem Herzen danke ich Ihnen dafür! Danke für diese Nächstenliebe, die so pragmatisch, herzlich, ja sinnhaft ist!

Und so ende ich, wie ich begonnen habe, liebe Festgemeinde: mit dem Dank. Danke, liebe Schwestern und Brüder, für all Eure Liebe, Euer Tun und Beten und Zuneigen und Erkennen und Achtsamkeit. Über 150 Jahre hin. Bis in dieses 21. Jahrhundert. Wobei einer noch einmal gesondert Dank verdient, hat er ja selbst sein Jubiläum, lieber Torsten Schweda: Seit 1997 sind Sie der 6. Rektor von Alten Eichen. Danke für Dein segensreiches Tun. Dem Menschen, ja vielen Menschen zuliebe….

Sie eint uns, diese Liebe, die die Kraft hat, Zerbrochenes zu heilen und das Böse zu überwinden.  Liebe, die uns geschenkt ist in Jesus Christus,  der Liebe in Person. Es ist diese Liebe, die Kraft voller Unvernunft, die uns fähig macht zum Guten. Immer wieder. Jeden Tag neu.

Gott segne Euch dazu – auch die nächsten 150 Jahre.

Damit der Friede wachse. Er, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 

Datum
07.11.2017
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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