22. März 2017 | Hauptkirche St. Jacobi Hamburg

Den Opfern eine Stimme geben – Augen auf! Wehret den Anfängen!

22. März 2017 von Kirsten Fehrs

Tag der Kriminalitätsopfer mit dem WEISSEN RING Hamburg

„Liebe Gemeinde!

„Schaffe mir Recht, Gott“ – so hieß es im Psalm vorhin. Gesprochen von einem verwundeten Menschen, vor über 2000 Jahren. Er hat wie ja auch Christian Sievers schlimme Gewalt erlitten. Und nun sieht er sich bösen und falschen Leuten gegenüber, die ihn bedrängen und seine Würde mit Füßen treten. Und die anderen, die zu Gericht sitzen und ihm nicht glauben. „Schaffe mir Recht!“, fleht er.

Schaffe mir Recht, so mag auch mancher von Ihnen und Euch schon gedacht oder geseufzt haben. Als Opfer. Als Zeugin. Als Angehörige. Schaffe mir Recht gegen den Schläger, der mich so verletzt hat. Schaffe mir Recht gegen den Cyberstalker, der mein Leben in Angst und Schrecken versetzt. Schaffe mir Recht gegen den Mann, der meine Tochter gequält hat.

Und dann, ja dann ist das Recht erst einmal so faktisch. Und gerade als betroffener Mensch  ist es oft nicht einfach, anderen gegenüber ins rechte Licht zu bringen, was wirklich geschehen ist. Die Tatsachen zu nennen, die doch so stark verbunden sind mit Schmerz, Trauma und tiefer Ohnmacht. Ihr habt vom Weißen Ring oft erzählt, wie erleichtert die Betroffenen sind, wenn man ihnen glaubt. Wenn man sie für wahr-nimmt, buchstäblich.

Opferschutz – er gelingt nicht ohne diese Einfühlung. Ohne dies Gefühl, da werde ich – endlich - verstanden. Da ist so etwas wie Augenhöhe und kein Von-Oben-herab. Diese Ehrlichkeit im Miteinander, sie hilft der Seele im dunklen Chaos.

Sende dein Licht und deine Wahrheit, fleht deshalb auch der Psalmbeter. Licht und Wahrheit, das ist seine tiefe Hoffnung. Nur dadurch nämlich wird auch das Verbrechen aufgeklärt. Weil - Augen auf – jemand genau hinsieht und Licht in die Sache bringt. Denn wie es in der Bibel auch heißt: Nur die Wahrheit wird dich frei machen. Und so können wir grundsätzlich nicht existieren ohne Licht und ohne Wahrheit. Ohne Licht blieben wir im Dunkeln, gefangen im Tunnelblick ohne Aussicht, schrecklich. Und ohne Wahrheit werden wir irre. Wenn du nie weißt, was stimmt, verunsichert es jeden Schritt. Immer ist das Eis dünn. Immer ist alles gefährdet. Niemand kann auf Dauer in der Lüge leben. Keine Familie, ja auch keine Gesellschaft kann überleben, wenn in ihr die Lüge vorherrscht.

Die Washington-Post prägte vor kurzem den Slogan: „Democracy dies in darkness.“ – Wie recht sie hat – eine Zeit, in der „Fake News“ und „alternativen Fakten“ zum Alltag gehören, gibt es großen Anlass zur Sorge. Allein in den ersten 33 Amtstagen Trumps hatten die Medien 132 Lügen des amerikanischen Präsidenten aufgedeckt. Ob da immer noch weitergezählt wird, weiß ich nicht. In jedem Fall ist das Gefährliche nicht allein die Lüge an sich, sondern das Verschwimmen dessen, was Wahrheit ist. Wenn jemand sich einfach nicht um die Wahrheit schert, sondern das Gegenteil behauptet, dann sagen die Menschen irgendwann: Ich weiß auch nicht, wer Recht hat. Eigentlich gibt es ja auch gar keine Wahrheit. Jeder hat doch seine eigene.

Doch Vorsicht. Augen auf. Wehret den Anfängen!

Die Verneblung der Fakten ist ja auch genau eine klassische Täterstrategie, wem erzähle ich das. Die Realität wird geleugnet und verdreht. Lüge wird auf eine Stufe gestellt mit der Wahrheit mit dem Kalkül, dass am Ende keiner mehr durchblickt. Oder dass zumindest ein Kompromiss dabei herauskommt: Du hast ein bisschen Recht, ich habe ein bisschen Recht, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, niemand kennt sie so richtig. „Ich habe eigentlich gar nicht fest zugeschlagen“, „er hat schließlich angefangen“, „sie wollte es so.“

Falsch! Wehret den Anfängen. Mit der Philosophin Hanna Arendt müssen wir unterscheiden zwischen Tatsachen und Meinungen.  Denn eine Tatsache ist das, was nachprüfbar ist. Eine Meinung ist das, was diese Tatsache interpretiert. Wer den Unterschied verwischt und hier Unklarheit zulässt, ist der Lüge schon auf den Leim gegangen.

Also Augen auf.

Oder um es mit dem ältesten Segens- und Hoffnungspsalm der Bibel zu sagen: Ich hebe meine Augen auf. Woher kommt mir Hilfe?

Ich hebe meine Augen auf – das ist ein bewusster Perspektivwechsel. Ich hebe meine Augen auf – und lasse sie nicht niedergeschlagen. Ich hebe die Augen auf – vom Smartphone. Der Angst. Dem Tunnelblick. Vom Flachbildschirm. Ich hebe die Augen auf  - in die Höhe und die Weite. Und ich sehe auf einmal, dass da ein Himmel ist. Mit viel Blau und viel Licht und Klarheit. Sehe, dass es eine größere Freiheit gibt, auch der Gedanken, all den Engstirnigkeiten der Parolenredner zum Trotz.

Ich hebe meine Augen auf und sehe das ganze, das wahre Leben, wenn man so will. Wahrheit – sie ist göttlichen Ursprungs, so wie das Licht. Und sie ist deshalb die Hoffnung, die über alles hinaussieht, was ist. Ein Raum zum Aufatmen für all die Entrechteten und Verängstigten unserer Tage. Sie ist das Wertezelt über unseren Gedanken. Deshalb kennen unsere westlichen Gesellschaften starke Institutionen, um der Wahrheit zum Recht zu verhelfen – und damit den Opfern. Da ist die Polizei, die unbestechlich Fakten protokolliert, auf denen die Rechtsprechung aufbaut. Da sind die Medien, die sich in ihren Berichten an Fakten orientieren. Wie oft bringen gerade sie Licht in den Lügennebel und ins Dunkel.

Also: Augen auf. Wehret den Anfängen. – Und deshalb müssen wir Mut zeigen, liebe Geschwister. Es ist keine Zeit in diesen Zeiten für vornehme Zurückhaltung. Im Gegenteil: Es ist dran, dass wir uns gerade machen gegen jede Gewalt, gegen Feindlichkeiten wie Homophobie und gegen all die Lügen, die drohen salonfähig zu werden. Es ist Zeit, dass wir Haltung zeigen für Demokratie und Feinsinn. Für das genaue Wort und die Ehrlichkeit.

Und es ist dran, dass wir zu denen halten, die – auch institutionell  - einstehen für die Gebrochenen und Verstummten. Wenn wir uns achselzuckend abwenden, wer sollte für sie die Stimme erheben?

Deshalb die alten Psalmen. So ein gütiges Wort wie: Der Herr behütet uns von nun an bis in Ewigkeit. Für mich liegt darin große Kraft und Zuversicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Sie allein macht frei. Das ist der Trost der Schwachen, das ist das Recht der Opfer und das ist unser aller Ansporn zum Tun des Gerechten.
Amen.

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