12. März 2017 | Hauptkirche St. Michaelis

Der Hoffnung ein Zeichen setzen

12. März 2017 von Kirsten Fehrs

Reminiszere, Predigttext: Matthäus 12, 38-42

Predigttext: Da antworteten ihm einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.

Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.                                                             

 

Liebe Gemeinde,

ein Wettbewerb scheint in Hamburg ausgebrochen. Um das wahre Wahrzeichen. Als hätten wir nicht gerade höchst feierlaunig die „Elphi“ eingeweiht, – übrigens freundlichst von unserem Hauptpastor Röder willkommen geheißen als großartigen Raum der Kultur – , kaum also ist sie da, kommt nun ein neues Projekt um die Ecke, respektive an die Elbbrücken. „Hamburg plant ein neues Wahrzeichen“ hieß es begeistert vor ein paar Tagen. Ein Wolkenkratzer, 200 Meter hoch – mindestens.

Offenbar braucht das die Welt. Wahrzeichen – wofür stehen sie? Die Elbphilharmonie dafür, dass in dieser Stadt Kunst und Kultur zu Hause sind? Der Michel dafür, dass diese Stadt christlich geprägt ist, und zwar nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart? (Wenn das bitte so ist, dann kann man gar nicht genug Wahrzeichen haben!)  Und: wofür steht ein 200-Meter-Turm. Für wirtschaftliche Stärke? Oder gute Architektur?

In jedem Fall zeigt die Diskussion: Menschen brauchen Zeichen. Wir suchen in der Welt etwas, das den Sinn unseres Tuns bündelt und sichtbar macht. So auch im Predigttext: „Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen.“ Die lateinische Bibel übersetzt hier „Signum“. Meister, gib uns ein Signal! Am besten etwas ganz Besonderes, das dich und damit auch uns heraushebt aus dem Alltag. Mit Strahlkraft, an der wir teilhaben können. Ein Wunder oder Zauber oder sonst ein Zeichen der Stärke.

Allzu fremd ist uns das heutzutage offenkundig nicht! Wie oft höre ich: Hier müsste die Kirche doch mal ein Zeichen setzen! Ob gegen den Klimawandel oder gegen Rechtspopulismus, gegen schwindendes Traditionsbewusstsein oder gegen Altersarmut: Die Menschen sehnen sich nach Eindeutigkeit und Wahrheit, gerade in diesen Zeiten. Nach klaren Signalen in einer unübersichtlichen Zeit. Und ich verstehe das so gut! Und sage dann immer: Ich tue mein Möglichstes...

Tja, und dann lese ich diesen Predigttext: Nur „ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert Zeichen“ grollt Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten an. Nun gut, auf die ist er wirklich nicht gut zu sprechen, wollen sie ihn doch fortwährend auf’s Glatteis führen und provozieren. Denn letztlich halten sie ihn, den Gottessohn, für unglaubwürdig – wenden sich von ihm ab und damit ja auch von Gott selbst. Böse… kann das ausgehen. Zugleich aber spiegelt der Text auch einen menschlichen Konflikt wider, der seit jeher den Menschen umtreibt: Was ist Glaube? Wer oder was ist glaub-würdig? Worauf soll man vertrauen? Nach welchen Zeichen kann man sich richten?

„Es wird kein Zeichen geben“, sagt Jesus, „außer…, außer dem des Propheten Jona.“ Jesus lenkt also ein. Ihnen zuliebe, die wie wir heute Zaungäste der Geschichte sind und vielleicht genauso mit dem Glauben und unseren Zweifeln ringen. Die wir fragen: Wie zeigt sich Gott in meinem Leben? Ja, zeigt er sich überhaupt? Für viele bleibt er im Dunklen...

Für Jona ist Gott genau da: im Dunklen. Sie kennen vielleicht die Geschichte von Jona. Er ist ein kleiner Prophet und hat so einen immerwährenden Zorn in sich, einen Widerstand, glauben zu sollen, dass das Gute sich in bösen Menschen durchsetzt. Das glaubt er einfach nicht! Und so will er nicht in diese verdorbene Stadt Ninive, wie Gott es von ihm verlangt, und flieht vor Gott. Als ob das gelänge... Er gerät in Seenot und die ängstlichen Seeleute werfen ihn schließlich in die stürmische See. Alle überleben. Auch Jona. Ihn schluckt ein großer Fisch. Und da sitzt er nun. In diesem dicken, dunklen Walfischbauch. Gerettet und zugleich in tiefer Finsternis. Zwischen Leben und Todesschatten. Drei Nächte und drei Tage. Wie sehr es da in seiner Seele wühlt und arbeitet! Er betet, klagt, hofft, sehnt sich nach Licht und Leben.  Am dritten Tag  wird er vom Walfisch an Land gespien. An das Ufer neuen Lebens. Als verwandelter Mensch.

Das Zeichenhafte in unserem Zusammenhang: Auch Jesus wird nach drei Tagen und Nächten aus dem Dunkel auferstehen – zu neuem Leben.

Nachdem er das Kreuz auf sich genommen. Das Kreuz, dem wir in dieser Passionszeit gerade ja nicht ausweichen. Es ist das Zeichen von uns Christen. Nicht unbedingt sichtbar wie dort am Altar. Sondern das Kreuz, das wir in unserem Leben auf uns nehmen. Mit dem Leid, das wir tragen. Mit der Trauer um einen anderen. In der Fürsorge für einen kranken Angehörigen. In den äußeren und inneren Verletzungen, die wir erlitten haben mögen in unserem Leben – einem Leben, das wir ja dennoch weiterleben. Ahnend, dass da noch so viel auf uns wartet! Nach unseren drei Nächten und Tagen. Denn bei vielen scheint auf einmal eine alte Erinnerung auf, selbst bei ihnen, die schon lange nichts mehr mit Gott und Glauben zu tun haben wollen: Alte Worte der Geborgenheit wie „Der Herr ist mein Hirte.“ Oder ein Lied wie: Weißt du wieviel Sternlein stehen? Oder… mir erzählte jüngst ein Militärpfarrer von dem Auslandseinsatz in Afghanistan, wie einer der hartgesottensten Soldaten sich die gesamte linke Brustseite hatte tätowieren lassen mit den betenden Händen von Dürer. Darauf angesprochen, sagte der Soldat, es würde ihn an seine Großmutter erinnern, die immer gebetet hat, wenn es mit ihm schwer war. Glaube, das sei nicht seins, aber die Kraft der Großmutter stärke sein Herz… Es sind dies alles Zeichen, liebe Gemeinde. Zeichen einer Kraft, die stärker ist als Leid, Schmerz, Tränen und Tod.

Erinnere dich. Reminiszere, heißt dieser Sonntag. Erinnere dich deines Glaubens, an diese Kraft, die dich durch’s Leid hindurchtragen will. Dafür steht das Kreuz! – Jedes Jahr zur Ansgarvesper, wenn am 3. Februar alle christlichen Konfessionen und Kirchen aus aller Herren Länder Gottesdienst feiern – allein der Einzug der Zweihundert dauert gefühlt eine halbe Stunde - da laufen fröhlich und jede Ordnung durchbrechend immer die Eriträer voran. Dunkelhäutig, angetan mit weißen Gewändern, selbst gebastelten roten Mitras und vor allem: riesigen Kreuzen, die sie vor sich oder an sich tragen. Kreuze, fast so groß wie sie selbst. Sie können eben nicht klar genug zeigen, dass sie Christen sind. Wegen dieses Kreuzes wurden sie verfolgt, gefoltert, sind geflohen.

Reminiszere, es ist der Sonntag, an wir der verfolgten Christen in aller Welt gedenken. Wissend, dass es Länder gibt, in denen fast keine Christen mehr leben. In Syrien und im Irak etwa. Unvorstellbare Grausamkeiten haben sie unter der Herrschaft des IS und anderer islamistischer Milizen erlitten. Ein Architekt erzählte, wie er 2013 die armenische Kirche von Mossul gebaut hat – einen Monat vor ihrer Einweihung wurde sie gesprengt und er musste mit seiner Familie fliehen. - Nicht wenige geflohene Christen leben in Hamburg. Und was mir im Gespräch immer wieder auffällt: Keiner dieser Menschen denkt an Hass oder an Rache oder an Vergeltung. Das orientalische Christentum ist vermutlich eine der friedfertigsten Ausprägungen unseres Glaubens. „Der Krieg ist stets eine Sünde“, betonen die syrischen und irakischen Christen immer wieder. Es käme nur den allerwenigsten in den Sinn, sich mit Waffengewalt zu wehren, „weil wir wissen“,  so würden sie mit dem Römerbrief vorhin sagen, „weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt,Geduld aberBewährung, Bewährung aber Hoffnung…“

Schläge, Vergewaltigung, Vertreibung – das haben viele Christen erlebt, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Wer mit ihnen redet, merkt schnell: Sie tragen die Narben dieser Bedrängnisse an Leib und Seele. Natürlich sind es nicht allein Christen, die im Nahen Osten leiden. Aber sie gehören zur größten Gruppe. Weil sie kein geschlossenes Siedlungsgebiet haben, in das sie sich zurückziehen könnten. Weil sie als westliche Agenten gelten. Weil sie oft vergleichsweise gebildet und wohlhabend sind.

Etliche haben sich hierher nach Norddeutschland aufgemacht, wo länger schon Freunde und Verwandte leben. Denn so ist es ja: Das orientalische Christentum ist durch die vielen Jahre der Verfolgung längst zu einer internationalen Gemeinschaft geworden. Sie leben in Europa, in den USA, in Australien. Und eben auch in Hamburg.

Ihnen gilt heute am Sonntag Reminiszere unsere besondere Achtung. Und am liebsten nicht nur an diesem Sonntag. Heißt: es zählen jetzt Signale. Keine großen Zeichen, kleine Gesten reichen. Mich beschäftigt schon länger, ob und wie wir als Kirchen viel aktiver auf unsere Glaubensgeschwister zugehen können. Das bedeutet wohlgemerkt nicht, dass wir Geflüchtete anhand ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln. Jeder Mensch, der bei uns Asyl findet oder als Kriegsflüchtling aufgenommen wird, hat das gleiche Recht auf Unterbringung, Verpflegung, Bildung. Ob er nun Christ oder Muslim oder Jezide ist. Nächstenliebe – so sagt es unser Christentum - ist universal! Und genau diese Nächstenliebe stellt uns in die große Aufgabe der Integration. Hier haben wir die großartige Chance (und Pflicht!), als Kirche unseren Glaubensgeschwistern gegenüber Offenheit und Gastfreundschaft zu signalisieren. Die christlichen Flüchtlinge haben keine Lobby und keine Anwälte außer uns!

Wie also wäre es, (wenn Sie es nicht längst tun), wenn wir in die Flüchtlingsunterkünfte gingen und die Christen dort zu unseren Gottesdiensten einladen? Mit allem Respekt, versteht sich. Oder wenn wir einmal im Monat einen speziellen Gottesdienst mit und für Geflüchtete anbieten? Mit Lesungen in Farsi und Plattdeutsch, und hinterher wird gemeinsam gegessen? Lassen Sie uns kleine Zeichen der Mitmenschlichkeit, der Geschwisterlichkeit setzen. Denn das ist auch ein gesellschaftliches Signal: Dass wir unbeirrt mit dem Guten rechnen – trotz all der Bösartigkeiten und Lügereien, trotz fremdenfeindlicher Parolen, trotz wütender Despoten. Zeigen wir, dass wir das Gute hoffen. Auf innere Verwandlung hoffen trotz aller Bosheit. Der Hoffnung ein Zeichen setzen, das ist dran! So wie Jona. Der ging ja tatsächlich nach Ninive. In dem sich tatsächlich das Gute durchsetzte!

Der Hoffnung ein Zeichen zu setzen, dazu ermutigt uns unser Evangelium heute. Tröstlich finde ich das und zugleich lebensnah. Denn natürlich können wir nicht immer glauben, was wir nicht sehen, sind vielleicht sogar zornig auf Gott, weil wir nicht verstehen, was in der Welt geschieht an Leid und Not und Tod. Dieses Zweifeln ist ja auch im Zeichen des Jona enthalten - und sagt: es gibt selten einen geraden Weg zu Gott. Oft ist es der Umweg durch die Tiefe und manch Todesschatten, der uns das Leben neu verstehen lässt. Und würdigen.

Deshalb braucht es unseren liebenden Blick auf die, die Schmerzen leiden und die ihre Kreuze tragen. Und es braucht unsere Courage, zu unterscheiden, welche Kreuze man tragen und welche man zerbrechen muss. Es liegt an uns, dass Hoffnung kein leeres Wort bleibt. Achten wir uns selbst und sehen, wie jede und jeder auf seine/ ihre Weise Teil einer Zeichenkette werden kann, die von Barmherzigkeit zeugt und der unbeirrbaren, großen Güte Gottes.

Damit der Friede wachse, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen

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