„Die Diskussion um das Paritätsmodell muss politisch geführt werden“
27. November 2014
Kiel. Die Beauftragten für Geschlechtergerechtigkeit und die Fachstelle Familien der Nordkirche haben heute (27. November) ins Kieler Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Scheidung und die Folgen“ eingeladen. Gut 40 Gäste aus Politik, Kirche und Fachverbänden waren der Einladung gefolgt und diskutierten über das Paritätsmodell hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Kinder und Familien aus juristischer, psychologischer und soziologischer Sicht.
Nach dem Paritäts- oder auch Wechselmodell werden nach der Trennung von Paaren Regelungen geschlossen, um gemeinsame Kinder in beiden Haushalten zeitgleich annähernd gleichwertig zu betreuen. Dabei bieten beide Elternteile dem Kind ein Zuhause, in dem es sich abwechselnd aufhält.
Während der Veranstaltung referierte Anne Loschky, Diplom-Psychologin und Familientherapeutin aus Bremen, über die Problematik nach psychologischen Gesichtspunkten. Ihr Vortrag stand unter dem Titel „Meine Eltern haben mein Herz in zwei Teile geteilt“. Sie machte deutlich, dass Kindern Raum und Zeit gegeben werden müsse, damit diese ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken können. „Wir sind alle aufgefordert, uns da zu bemühen, dies zu tun“, so Loschky und weiter: „Dies ist eine Bewältigungsleistung, die die ganze Familie erfüllen muss.“ Ein Kind brauche Zeit, um herauszufinden, was passe beziehungsweise welche Lösung für sich - also das Kind - die beste ist. „Dafür ist Aufmerksamkeit und Kooperation von den Erwachsenen notwendig“, verdeutlichte Anne Loschky. Hinsichtlich des diskutierten Wechselmodells sagte sie: „Das Modell, das die Familie gemeinsam findet, ist das beste.“
Sigrid Andersen, Wissenschaftliche Referentin beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV, Berlin) argumentierte aus soziologischer Perspektive: „Die Situation in der Familie vor der Trennung hat starke Auswirkungen auf die mögliche Gestaltung nach der Trennung. Eine paritätische Kinderbetreuung nach der Trennung führt nicht automatisch dazu, dass für beide Elternteile gleiche Erwerbschancen bestehen.“ Weil das Wechselmodell auf den ersten Blick so paritätisch anmute, dürfe es nicht zu der Annahme verführen, es werde immer den Bedürfnissen aller Beteiligten, insbesondere der Kinder, gerecht und löse zusätzlich auch noch alle Ungleichheiten auf, die bedingt durch die Gestaltung des Vortrennungsfamilienlebens ganz unterschiedliche Ausgangslagen für die Beteiligten schaffe.
Susanne Rutz, Richterin am Oberlandesgericht Schleswig, erörterte die Thematik aus juristischer Sicht. Rechtlich sind zum Thema Wechselmodell noch viele Fragen offen. Ob auf der Grundlage des geltenden Kindschaftsrechts ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann, wird unterschiedlich bewertet.
„Die fachübergreifende familienpolitische Diskussion hat gezeigt, dass das Wohl des Kindes bei allen Entscheidungen, ob familiär, gesellschaftlich oder gesetzlich, immer an erster Stelle steht. Es ist ungewiss, ob es aufgrund der Vielschichtigkeit der Problematik nur Einzelfall-Lösungen geben kann“, sagte Thomas Schollas, Beauftragter für Geschlechtergerechtigkeit. „Es bleibt insofern abzuwarten, inwiefern eine Gesetzeslage geschaffen werden kann, die den Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern nach einer Trennung und dem Wohl des Kindes mit den notwendigen Zeitfaktoren Rechnung trägt. Wir befinden uns in einem Prozess und in einer Diskussion, die insbesondere in der Politik, aber auch gesamtgesellschaftlich, geführt werden muss“, so Stephanie Meins, Beauftragte für Geschlechtergerechtigkeit.
Margit Baumgarten, Leiterin der Fachstelle Familien der Nordkirche, fasste abschließend zusammen: „Wenn ein Paar sich trennt, beschließen dies die Erwachsenen. Aber es trennt sich eine Familie, die bisherige Welt der Kinder zerbricht. Es braucht Aufmerksamkeit, Liebe und Verantwortung seitens aller Erwachsenen, ihnen zu helfen, eine neue Welt aufzubauen.“ Das müsse auch gesetzlich gesichert sein.