Ein Missionsreisender, der Mauern überwindet
18. November 2013
Hamburg. Klaus Dörner setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, Menschen aus geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen herauszuholen und ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Der Arzt und Psychiater gilt als Mitinitiator der Reformbewegung in der Psychiatrie und leistete Pionierarbeit für die Integration psychisch Kranker außerhalb von Klinikmauern. Heute fordert er, psychisch Kranke, Behinderte, Alte und Pflegebedürftige zu integrieren anstatt auszugrenzen. Am 22. November wird Dörner 80 Jahre alt.
In den vergangenen 15 Jahren hat Klaus Dörner 2.000 Reisen im deutschsprachigem Raum unternommen. Als Missionsreisender, wie er sagt, um Überzeugungsarbeit zu leisten, zu beraten und zu vernetzen. In seinen beiden jüngsten Büchern - "Leben und sterben, wo ich hingehöre" (2007) und "Helfensbedürftig. Heimfrei ins Dienstleistungsjahrhundert" (2012) -, die Dörner selbst als "Reiseberichte" bezeichnet, porträtiert er alternative Wohnformen für Ältere und Hilfsbedürftige. Seine Vision: Menschen im Kiez, in der Nachbarschaft und Kirchengemeinden betreuen an der Seite von professionellen Fachkräften Pflege- und Hilfsbedürftige. Stationäre Einrichtungen werden überflüssig.
Integrieren statt auszugrenzen
Dörner kommt am 22. November 1933 in Duisburg zur Welt. "Mein Vater war Familienarzt und Geburtshelfer, meine Mutter von Beruf Arztfrau", erzählt er. Dem Abiturienten Dörner schwebt eher ein Philosophiestudium vor, aber dann fügt er sich dem sanften Druck des Vaters, studiert Medizin und promoviert 1960.
Die Anfänge der 68er Bewegung erlebt der junge Vater in Berlin, wieder eingeschrieben für Philosophie, Geschichte und Medizinsoziologie. Nach seiner zweiten Promotion macht er in Hamburg seinen Facharzt in Psychiatrie: an der ersten norddeutschen psychiatrischen Tagesklinik, die er mit aufbaut und später auch leitet. Mit seinem Team beginnt er, auch Angehörige der Patienten in die Behandlung einzubeziehen: "Der Austausch zwischen Professionellen, Kranken und Angehörigen, der Psychiatrische Trialog, ist mein origineller Beitrag zur Psychiatrie."
1980 geht Dörner nach Ostwestfalen und übernimmt die Leitung der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Gütersloh. Er besetzt den Lehrstuhl für Psychiatrie an der anthroposophischen Universität Witten/Herdecke und wird Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie.
Betroffene und Angehörige psychisch Kranker mit ins Boot holen
Die Forderung, das psychiatrische Versorgungssystem grundlegend zu reformieren, liegt bereits in der Luft. "Es war der erste Verband, der nicht von Berufsinteressen und -egoismus geprägt war, sondern Professionelle, Betroffene und Angehörige mit ins Boot holte. Im Mittelpunkt standen die Interessen der Patienten", erinnert sich der Experte.
Klaus Dörner reicht das jedoch nicht. Er nimmt sich in der Folgezeit der "chronischen Patienten, der Ausgegrenzten und Übriggebliebenen" an. Jenen Menschen, die schon 10, 20 und 50 Jahre im Heim gelebt haben und als austherapiert galten. Ihre Zukunft: lebenslanger Klinikaufenthalt.
Doch Dörner macht das scheinbar Unmögliche möglich: Nach 17 Jahren Überzeugungs- und Bildungsarbeit sowie "Klinken putzen in den Gemeinden" leben sämtliche 435 Klinikinsassen seiner Einrichtung alleine oder in Wohngemeinschaften: "Alle Irren, auch die aus der forensischen Psychiatrie, konnten ambulant betreut werden. Heime als Daueraufenthalt waren nicht nötig." Dass das Gütersloher-Modell erfolgreich war, ist für ihn heute noch das "schönste Geschenk".
Engagement im Präsidium des Evangelischen Kirchentages
2003 ruft ihn Margot Käßmann an, um ihn für das Präsidium des Evangelischen Kirchentages zu gewinnen. Dörner nimmt ohne zu zögern an und engagiert sich hier bis vor kurzem. Drei Monate im Jahr verbringt der Jubilar mit seiner zweiten Frau in Australien. Dort und auf den vielen Bahnreisen hierzulande holt er nach, "was er an Weltliteratur verpasst hat". Seine wenige freie Zeit widmet der fünffache Vater und zehnfacher Großvater seiner Familie.
Glückwunschmails zu seinem 80. Geburtstag erreichen Dörner nicht, er nutzt weder Computer noch Internet. Seinen Schriftverkehr erledigt der emeritierte Professor einmal in der Woche - mittels Postkarten.
Buchtipp
Klaus Dörner: Leben und sterben, wo ich hingehöre: Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. Paranus-Verlag, Neumünster 7. Auflage 2012. 19,95 Euro
Klaus Dörner: Helfensbedürftig. Heimfrei ins Dienstleistungsjahrhundert. Paranus-Verlag, Neumünster 2. Auflage 2012. 19,95 Euro