1. Januar 2017 | Dom St. Nikolai zu Greifswald

Ein neues Denken und mutige Taten

01. Januar 2017 von Hans-Jürgen Abromeit

Neujahrstag, Predigt zur Jahreslosung 2017, Ezechiel 36, 26

Liebe Gemeinde!

Die Kirchen im deutschsprachigen Raum stellen jedes Jahr unter ein Bibelwort, das uns als Jahreslosung in diesem Jahr begleiten soll. Die Jahreslosung für 2017 lautet: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“ (Hes. 36,26). Warum brauchen wir ein neues Herz?

Offensichtlich hält der Prophet Hesekiel den Menschen für so kaputt, dass er nicht repariert werden kann, sondern nur neu gemacht. Ein neues Herz und einen neuen Geist soll der Mensch bekommen. Da gibt es noch Hoffnung, aber nur nach einem Reset. Und diesen Neustart kann nicht der Mensch aus sich veranlassen, sondern Gott muss uns neu starten. Das ist radikal. Ein absoluter Neuanfang ist nötig, aber den können wir Menschen nicht machen, sondern nur Gott.

Im Bild gesprochen: Das kranke, bei Hesekiel „versteinerte Herz“ kann nicht mehr behandelt werden. Es muss ausgetauscht werden. Der diagnostizierte Zustand der Kardiosklerose (Herzenshärtigkeit) kann nur mit einer Herztransplantation behandelt werden. Sind wir so krank? Eine bevorstehende geistliche Herztransplantation macht ja auch Angst. Bin ich beim Austausch von Herz und Geist anschließend noch derselbe? Bin ich noch Ich oder muss ich mich aufgeben? Geliebte Gewohnheiten ändern, neues Denken praktizieren?

Schauen wir einen Moment in das Hesekielbuch und die Zeit Hesekiels. Wie war es damals? Was war passiert, dass Gott eine solch dramatische Therapie für notwendig hält? Gott hatte sein Volk Israel berufen, dass es sein Heil der Menschheit kund macht. Aber Israel hatte sich um Gott und seinen Auftrag nicht geschert, sondern getan, was es wollte. Die Menschen hatten ihren Vorteil gesucht, hatten dabei fremde Götter verehrt. Es ist anderen Götzen gefolgt. Da hat Gott sein Volk gerufen. Er hat um es geworben und seine Liebe gesucht. Aber Israel hat seinen Willen missachtet. Gott hat durch seine Propheten gewarnt: „Wenn ihr das tut, dann führt ihr euren eigenen Untergang herbei. Vertraut auf mich!“ Aber Israel vertraute auf sich und seine eigene Kraft. Schließlich kamen die Babylonier, eroberten das Land Israel und führten die Oberschicht als Vasallen und Sklaven nach Babylon. Zu den Weggeführten gehörte der Prophet Hesekiel. Er wirkte von ca. 600 – 560 vor Christus in Babylon. Seine Botschaft lautet: „Gott ist bei euch auch im Exil, auch in Babylon für euch da. Vertraut auf ihn und nicht euren mitgebrachten und den babylonischen Götzen! Verhaltet euch nicht gottlos, sondern mitmenschlich! Kümmert euch um Arme und Elende, handelt fair, sucht Gerechtigkeit!“

Aber Israel hatte aus der Geschichte nicht gelernt. Da geht Gott noch einen Schritt weiter. Hesekiel verkündigt im Namen Gottes, dass Gott selbst einen weiteren Schritt auf Israel zumacht. Er weiß, Israel wird es nicht schaffen, den entscheidenden Neuanfang zu setzen. Das Herz ist versteinert. Der Wille ist gebrochen, der Schritt zur Erneuerung wird nicht kommen. So wie die Menschen sind, können sie gar nicht umkehren. Nicht mit diesem Herzen und diesem Geist. Deswegen schenkt Gott ein neues Herz und einen neuen Geist. Diese Verheißung galt zuerst dem geschundenen Volk Israel. Gilt sie auch uns heute?

Wenn ich mir unsere Weltlage anschaue, dann fände ich ein neues Herz und einen neuen Geist super! In welch unruhigen Zeiten leben wir? Was geht in den Menschen vor? Ich nenne nur wenige Stichworte, die unsere politische Situation andeuten: Deutschland versucht zu helfen, um 2 Millionen Flüchtlingen ein Überleben zu sichern, und dies nutzt ein islamistischer Terror, der jetzt auch Deutschland erreicht hat, aus. Da blühen in Europa die Nationalismen wieder auf, obwohl eigentlich alle wissen, dass sämtliche Probleme nur grenzübergreifend zu lösen sind. Wir leben in einer globalisierten Welt und profitieren davon. Wir freuen uns über billige Kleidung, die in Bangladesh, Pakistan oder Bulgarien gefertigt wurde, wir essen gern die leckeren Früchte aus Brasilien, Ghana oder Südafrika. Leider zahlen wir keinen fairen Preis. Wir verbringen unsere Urlaube mit Vorliebe in Ländern, in denen viele Menschen ums Überleben ringen. Aber natürlich wollen wir alle Privilegien der reichen Industrienationen behalten und nicht teilen. Das wird nicht gehen.

Ich hatte ein denkwürdiges Erlebnis auf einer Marokkoreise 1985. Irgendwo in einer Oase in Südmarokko sprach mich ein 15-,16-jähriger Junge an: „Du kommst auch aus Deutschland? Das muss ja ein wunderschönes Land sein, wo die Menschen nicht arbeiten müssen und trotzdem genug zu essen haben und so viel Zeit haben, dass sie hierher kommen können und zum Spaß durch das Land reisen. In diesem Land möchte ich auch leben.“ Wenn du täglich ums Überleben kämpfst und siehst, den Leuten in Deutschland geht es viel besser, die brauchen das nicht, dann willst du auch dort leben. Da wurde mir schlagartig klar – 1985 – sie werden zu uns kommen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Wir werden die Mauern gar nicht hoch genug bauen können, um das auch in Zukunft zu verhindern. Nur ein rigeroses Teilen der Güter dieser Erde bis alle ein Leben in Würde führen können, wird der gegenwärtigen Völkerwanderung ein Ende setzen. Gleichzeitig muss ich feststellen: Die Bereitschaft zu einem solchen fairen Teilen ist nicht gegeben. Wir brauchen ein neues Herz und einen neuen Geist, ein Herz für ein faires Miteinander auf dieser Erde, einen Geist, der in der Lage ist, die dazu notwendigen Schritte auch zugehen.

Als Jugendlicher habe ich mich daran gestoßen, dass Gottes Urteil über die Menschheit am Anfang der Bibel, in der Sintflutgeschichte lautete: „Alles Dichten und Trachten ihres Herzens war nur böse immerdar“ (1. Mose 6,5). Nun gut, es gibt viel Bosheit auf der Erde, aber „nur böse immerdar“? Gibt es nicht auch viel Schönes, was man erleben kann – Hilfsbereitschaft, Liebe und Wohlwollen? Ja, das ist so. Es gibt die ermutigende Erfahrung, dass Menschen für einander da sind, Schönes schaffen und zur Versöhnung fähig sind. Aber es gibt leider auch das abgrundtief Böse. Und das leider nicht nur in der Vergangenheit, bei Hitler, Stalin und Konsorten. Menschen, die als Kinder in der Nachbarschaft spielten, schließen sich in Syrien und Irak dem IS an und werden zu Monstern. Das so etwas in Berlin, Hamburg und Frankfurt passiert ist, hätten wir uns doch nicht träumen lassen. Ein Paar, das sich vor wenigen Jahren heiß geliebt hat, macht sich heute das Leben zur Hölle. Eltern tun ihren Kindern etwas an, für das es keine vernünftige Erklärung gibt. Und das Schlimmste ist: Keiner kann für sich selbst die Hand ins Feuer legen. Als Seelsorger kann ich sagen: Es gibt nichts, was man bei einem Menschen prinzipiell ausschließen kann. 

Die Sünde hängt uns in unserer Existenz. Zum Glück machen nicht alle alles, zu dem sie fähig sind. Aber viel zu viel Leid ist es doch, das sich Menschen gegenseitig antun. Aus dem Innersten des Menschen, dem Herzen, kommen Dinge hervor, das hätten wir uns nicht träumen lassen. Das nennt Hesekiel das versteinerte Herz. Das ist nicht zu reparieren. Darum brauchen wir ein neues Herz. Wir benötigen einen neuen Geist, der von ganz allein nach dem Willen Gottes lebt und nur noch das tut, was dem Nächsten dient.

Mittlerweile hat Gott die Möglichkeit einer neuen Existenz geschaffen. Deswegen ist Gott in Jesus Christus Mensch geworden und hat ein Leben in der ungeteilten Hingabe an Gott und den Menschen  vorgelebt. Er will es auch uns ermöglichen, ein Leben zu führen, das für andere und uns selbst nur gut ist. Dafür brauchen wir ein neues Herz und einen neuen Geist. Mit der alten Verfassung des Menschen ist das nicht zu machen. Wer sich und sein Leben Jesus Christus anvertraut und sich taufen lässt, darf von ihm ein neues Herz erwarten, ein Herz, das den Willen Gottes gern tut. Der Apostel Paulus nennt das „eine neue Kreatur“. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden“ (2.Kor. 5,16). So schenkt uns Gott ein neues Herz und legt einen neuen Geist in uns. Wir werden zu einem neuen Denken und einem mutigen Handeln fähig.

Hier möchte ich noch eine Konkretion anschließen, die sich gerade heute nahelegt, wo wir über ein Wort des Propheten Hesekiel nachdenken, das in Babylon gesprochen wurde, einer Region, die für die Kulturgeschichte der Menschheit außerordentlich wichtig ist. Hier liegen rechtliche und religiöse Wurzeln unserer Zivilisation. Im 18. Jahrhundert v.Chr., also vor 3800 Jahren entstand hier der Kodex Hammurabi, eines der ältesten Gesetzbücher der Menschheit. Der Region, dem heutigen Irak, entstammt Abraham und dort stand das Grab des Prophet Jona, bis die Terrorbanden des IS es vor 2 Jahren zerstörten. Jahrtausende lang lebten hier neben vielen anderen religiösen und kulturellen Gemeinschaften auch Juden und Christen. Bis auf kleinste Reste sind die Juden nach der Staatsgründung Israels Ende der Vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts vertrieben worden. Mit dem 2. Irakkrieg, den die USA und Großbritannien 2003 vom Zaun gebrochen haben, setzte die Vertreibung der Christen ein. Die Zukunft der Christen im gesamten Nahen Osten könnte 2017 zu einem Thema von solcher Tragweite werden, dass uns unsere Kinder und Enkel später einmal fragen: „Warum hat niemand geholfen? Warum hat die Welt zugeschaut, als das orientalische Christentum ausgelöscht wurde?“

Der Nahe Osten ist die Wiege des Christentums: Seit Jesus von Nazareth, seit 2000 Jahren leben dort Christen und war das Christentum ein bedeutender Faktor. Seit dem Aufkommen des Islam im 7. Jahrhundert haben es die Christen, die Gemeinden und Kirchen nicht leicht gehabt, aber sie hatten den Status einer geduldeten Minderheit. Damit sind die Christen gemeinsam mit anderen religiösen Minderheiten wie den Jesiden, den Mandäern und den Baha‘i die letzte Bastion gewesen, die den ganzen Nahen Osten vor einer monolithisch islamisch geprägten Kultur bewahrte.

Beispiel Ägypten: Von den 89 Millionen Ägyptern sind etwa zehn Prozent Christen. Seit Jahren werden die Kopten und andere Christen immer wieder durch Islamisten bedrängt, ja sogar ermordet. Zuletzt wurden durch einen Brandanschlag auf die zentrale Kirche des koptischen Papstes in Kairo vor zwei Wochen 24 Menschen getötet. Viele Christen versuchen, das Land zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Beispiel Syrien: Seit 2010 haben ein Viertel der vormals zwei Millionen Christen Syrienverlassen, aus Angst vor der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die mit unvorstellbarer Gewalt Christen ermordet, verschleppt und foltert. Fast alle Kirchen und Klöster wurden zerstört.

Ebenfalls schlimm hat es den Irak getroffen. Innerhalb von 15 Jahren hat sich die Zahl von 1,2 Millionen Christen auf heute noch 250 000 verringert. Eine Nagelprobe auf die Zukunft der Christen im Irak wird die Situation in Mossul sein. Gerade ist die irakische Armee dabei, die Stadt vom „Islamischen Staat“ zurück zu erobern. Daran, ob vertriebenen Christen eine Möglichkeit eingeräumt wird zurückzukehren oder nicht, wird sich entscheiden, ob die im Irak verbliebenen Christen im Lande bleiben oder in den Westen auswandern. „Warum lasst ihr uns im Stich?“, fragten mich Bischöfe aus dem Irak bei einer Begegnung im Oktober 2015.

Warum gibt es keinen Aufschrei in der westlichen Welt? Warum tun wir nicht alles dafür, unseren ins Abseits gedrängten, diskriminierten und verfolgten Schwestern und Brüdern im Orient zu helfen? Müssten nicht alle, Regierungen, Menschenrechtsorganisationen und Kirchen mit moderaten Muslimen und jüdischen Organisationen sich zusammentun, um diesem Christozid im Orient Einhalt zu gebieten? Ich habe nicht den Eindruck, dass hier das Menschenmögliche getan wird. Eine Religion wird vertrieben, eine Kultur vernichtet und Menschen ihre Existenz entzogen. Vor unseren Augen.

Vielleicht ist der Mensch, so wie er ist, nicht in der Lage, von sich abzusehen und sich in die Situation der Christen im Nahen Osten zu versetzen. Vielleicht müssten wir dazu das „neue Herz“ und „den neuen Geist“ erhalten, von dem die Jahreslosung 2017 spricht: „Gott spricht, Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ (Hes. 36,26) Wir brauchen 2017 auch in dieser und anderen Fragen Mitgefühl, Erbarmen und den Mut, uns mit scheinbar Unveränderbaren nicht abzufinden.

Für 2017 haben wir mit der Jahreslosung eine wegweisende Ausrichtung. Die Verunsicherung ist ja groß. Wir wissen nicht, was in diesem Jahr auf uns zukommt, aber mit durch Jesus Christus erneuerten Herzen und einem neuen Geist sind wir gut ausgerüstet. Wir haben die Chance zu einem neuen Denken und mutigen Taten. Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Jahr 2017!
Amen.

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