18. Juni 2017 | Greifswalder Dom St. Nikolai

Eine feste Burg ist unser Gott

19. Juni 2017 von Hans-Jürgen Abromeit

1. Sonntag nach Trinitatis, Predigt über Psalm 46 und das Lutherlied: „Ein feste Burg ist unser Gott“ im Festgottesdienst der Greifswalder Bachwoche

Liebe Gemeinde,

„Was glaubst du?“ fragt uns die ARD-Themenwoche in diesen Tagen. Vorgestern wurde das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter gut 1.000 Menschen mitgeteilt auf die Frage: „Welche Bedeutung haben Religion und Glaube für Sie?“
63 % der Deutschen haben darauf geantwortet: „Religion und Glaube habe für sie eine geringe oder gar keine Bedeutung“. Im Osten Deutschlands lag der Anteil sogar noch höher, fast 80 % haben hier geantwortet: „Religion und Glaube seien für sie bedeutungslos.“ In ganz Deutschland waren es 37 %, die dem Glauben eine sehr große oder große Bedeutung zumessen. „Was glaubst du?“

Ich bin mir ziemlich sicher, Johann Sebastian Bach würde im Grab rotieren, wenn er hören würde, wie wenig der Glaube heute den Deutschen bedeutet. Hat er doch gemeinsam mit den Texten des Librettisten Salomon Frank die Betonung des Gottvertrauens im Lutherlied noch einmal gesteigert. So singt zum Beispiel der Sopran: „Komm in mein Herzenshaus, Herr Jesu, mein Verlangen!“ Die menschliche Sehnsucht richtet sich auf eine enge Gemeinschaft mit Jesus Christus.

Was aber hat Martin Luther aus Psalm 46 gemacht, als er mit „Ein feste Burg ist unser Gott“ die Hymne der Reformation gedichtet und komponiert hat? Luther liebte die Psalmen. Er litt darunter, dass für die nun in der deutschen Sprache gefeierten Gottesdienste keine Gemeindelieder und keine singbaren Psalmen vorlagen. So hat er sich – gemeinsam mit manchen anderen Freunden und Mitarbeitern – daran gemacht, die Psalmen nachzudichten und möglichst viele von ihnen singbar zu machen. Psalm 46 ist – wir haben es gerade gehört – ein Ausdruck unglaublich großen Gottvertrauens: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“ (V. 2)

Eigentlich steht dort das Wort „Zuflucht“. Gott ist unsere Zuflucht. Eine Zuflucht ist ein Ort, wohin ich fliehen kann, wenn ich nicht mehr ein noch aus weiß. Wenn es zum Beispiel zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, wenn geschossen wird, muss ich irgendwo hin, wo ich Schutz habe. Aufgewachsen im recht sicheren Deutschland hatte ich über die Bedeutung eines solchen Zufluchtsortes noch nie nachgedacht. Erst als ich Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zum ersten Mal nach Israel kam, fiel mir auf, dass dort an vielen Unterführungen und Brücken jeweils das Hinweisschild stand: „Shelter“. Ich verstand zuerst gar nicht, was damit gemeint sein sollte. Dann wurde mir klar: „Wenn hier die Fetzen fliegen, kann man sich dort in Sicherheit bringen.“ Eine Zuflucht ist ein Ort, der Schutz bietet. Darum überträgt Martin Luther diese Vorstellung im Spätmittelalter durchaus zutreffend mit dem Wort: „Burg“. So kommt es, dass das Lied, das wie kein anderes zur Hymne des Protestantismus geworden ist, gerade am Anfang martialisch daher kommt. Da ist ja nicht nur die Rede von der Burg, sondern auch von der „guten Wehr und Waffen“. Das kommt heute nicht mehr so gut an. So sagte selbst Sarah Kaiser in ihrem Jazz-Konzert am Donnerstagabend, dass sie dieses Lied singt, aber ihr diese Worte doch nicht gefallen. Trotzdem hat sie es wunderbar jazzig gesungen. Andere haben wegen dieser vermeintlichen Waffensymbolik im Lutherlied sogar Kriegstreiberei gesehen (Christoph Bultmann). Doch das überbetont diese Wendung. Martin Luthers Choral ist in erster Linie ein Vertrauenslied, ein Vertrauenslied in einer Zeit, in der einem das Fürchten gelehrt wird.

Und zu fürchten gibt es mehr als genug: Trump und Terror, Konflikte und Krankheiten. Eigentlich gibt es so viele Gründe sich zu fürchten, wie es Menschen gibt.

Das gilt auch für Luther ganz persönlich. Er hat sich vielfach gefürchtet. „Ein feste Burg“ ist wohl in den Jahren 1527 oder 1528 entstanden. In diesen Jahren erlebte Luther Tiefpunkte seines bisherigen Lebens. War er bis Mitte der 20er Jahre von einer erstaunlichen guten Gesundheit gewesen, so trat nun eine Reihe von Krankheiten auf. Am 6. Juli 1527 streckte ihn eine unerklärliche Ohnmacht mehrfach nieder. Darüber haben wir einen genauen Bericht. Es war gegen Abend, Justus Jonas und seine Frau kamen zum Abendessen. Aber Luther war von starkem Sausen im linken Ohr geplagt und wollte sich zu Bett legen. Doch es wurde ihm schlecht und er bat Jonas: „Wasser her…, oder ich vergehe.“ Ihm wurde heiß und kalt und er meinte, seine letzte Stunde sei gekommen. In einem lauten Gebet ergab er sich in Gottes Willen, sprach das Vaterunser und zwei Bußpsalmen und war bereit zu sterben. Dann betete er zu Gott: „Mein allerliebster Gott, du hast mich in die Sache geführt, du weißt, dass es dein Wahrheit und Wort ist.“ Er wandte sich an den Herrn Jesus als seinen Mittler und Heiland, der ihn bisher wunderbar bewahrt habe und doch auch weiterhin bewahren könnte. Ein Arzt wurde gerufen und Luther bat die Anwesenden um Fürbitte. Immer wieder fiel er in Ohnmacht. Dann sagte er: „Mein allerliebster Gott, du bist ja ein Gott der Sünder und Elenden.“ Er nahm von seiner „allerliebsten Käthe“ Abschied. (Die beiden waren zu diesem Zeitpunkt ja erst seit zwei Jahren verheiratet.) Luther musste weinen, er bedauerte, dass er leichtfertig und mit seinen Worten manchmal zu scharf geurteilt hatte. Er fragte nach seinem Sohn Hänschen, befahl das Kind und Käthe Gott an. Käthe versuchte, Luther zu überzeugen, dass außer ihr und ihrem Kind noch viele fromme Christenleute Luther brauchen würden. Schließlich schlägt die Behandlung an und Luthers Kräfte kehren wieder.

Diese Mischung aus psychischer und physischer Erkrankung ist ein Ereignis, das den 42 Jahre alten Luther zutiefst erschüttert hat. Er fühlt: Ich stehe an der Pforte des Todes.

Aber es gab ja noch viel mehr, was es zu fürchten gab. In gleichen Zeitraum bricht die Pest in Wittenberg aus. Viele verlassen die Stadt. Es wird einsam. Mancher aus dem Umfeld Luthers zieht auch in das Schwarze Kloster und wird hier mitversorgt. Das tut auch mit Hanna Rörer, die Schwester von Johannes Bugenhagen. Doch sie stirbt an der Pest. Auch Luthers Sohn Hans erkrankt, kann aber wieder genesen. Diese existentiellen Erschütterungen durch Krankheiten haben Luther stark bewegt. Dagegen singt er an mit seinem Vertrauenslied „Ein feste Burg ist unser Gott…, mit unserer Macht ist nichts getan…, es streit für uns der rechte Mann.“

Dazu kommt auch noch eine geänderte Grundstimmung in der 2. Hälfte der Zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts. War Luthers geistliche Revolution am Anfang im Einklang mit der öffentlichen Meinung des Volkes, so ist diese breite Zustimmung nach den Bauernkriegen und Luthers Stellungnahme zugunsten der Fürsten weggebrochen. Es wurde einsamer um die „Wittenbergisch Nachtigall“. Nun drohte sogar noch die reformatorische Bewegung zu zerfallen. Am stärksten bewegte es Luther, dass selbst beim Abendmahl, beim innersten Kern des christlichen Glaubens, die Evangelischen nicht einer Meinung waren. Für ihn war es alternativlos, dass Jesus Christus selbst in Brot und Wein anwesend ist.

Bei so viel Gegenwind schien es Luther klar zu sein: „Da muss der Teufel dahinterstecken.“ Das ist der „alt böse Feind“. Ja, er hat „groß Macht und viel List“. Luther nennt ihn sogar den „Fürsten dieser Welt“. Aber er flüchtet sich in diesem Vertrauenslied zu Gott. Doch es ist nicht einfach Gottvertrauen, was Luther aus seiner Depression hilft, sondern konkretes Zutrauen zu Jesus Christus.

So entwickelt Luther die im Refrain des Psalms dreimal genannte Aussage: „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jacobs ist unser Schutz,“[1] weiter zu einem Gottesbild, das ausdrücklich Jesus Christus meint. Er ist der „rechte Mann“, der „für uns streitet“. Gott selbst hat ihn erkoren: „Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesu Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott.“ In all seiner Not empfindet sich Luther bei Jesus gut aufgehoben. Auch Jesus hat gelitten, auch er kennt das Leid. So wagt es Luther, das jüdische Gottesbild des „umscharten Herrn“ (denn das heißt Herr Zebaoth) weiter zu entwickeln in das christliche Gottesbild des in Jesus Christus Mensch gewordenen Gottes. Das bedeutet aber nun für Luther: Gott leidet nicht nur mit, sondern das Leiden kommt in Gott vor. Gott selbst leidet. Auf diesem Hintergrund versteht man auch, warum Martin Luther der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus einen so großen Sinn beigemessen hat. Seine Weihnachtslieder drücken dies wunderbar aus. Und: Das Wort vom Kreuz, die Tatsache, dass das Leiden in Jesus Christus vorkommt, spielte für Luther in seiner Theologie die tragende Rolle. Das ist die intensivste Art und Weise, Trost zuzusprechen. In all deiner Not – und es gibt auch unter uns schreckliche Krankheiten – ist Gott in Jesus an deiner Seite. Mag das schlimmste, was du dir vorstellen kannst, auf dich zukommen, du wirst es durchstehen, denn du bist nicht allein. Und: Am Ende kommt Gott zum Ziel.

Mit dem Kreuz Jesu, seinem Mitleiden und seinem stellvertretenden Leiden für uns, findet Luther auch den Grund der Zuversicht. Die Strophen 2 bis 4 des Chorals enden deswegen mit Worten großer Glaubenszuversicht: „ Das Feld muss er behalten.“ „Ein Wörtlein kann ihn fällen.“ „Das Reich muss uns doch bleiben.“ Angesichts alles dessen, worüber man sich fürchten kann und muss, sei es Krankheit, Not, persönliches Verlassensein, dürfen wir uns in Gottes großer Macht geborgen fühlen.

Es gibt allerdings eine Perspektive des Psalms, die hat Martin Luther Lied nicht aufgenommen. Das hat man ihm in letzter Zeit vorgeworfen. Damit hätte er den Missbrauch seines Liedes als nationalistischen Kriegsgesang mitverursacht. (Sie müssen ja nur einmal die Fassung von „Ein feste Burg ist unser Gott“ durch Ernst-Moritz-Arndt in der Einleitung von Jochen Modess zu diesem Festgottesdienst lesen). In Vers 10 vom Psalm 46 wird Gott gepriesen als der, „der den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.“ Zu dem Wort vom Kreuz gehört auch diese andere Seite, die der predigende Jesus so benannt hat: „Selig sind die Sanftmütigen/ Gewaltlosen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mat 5, 5+9). Der Gott, der die große Geborgenheit schenkt, macht gleichzeitig allem Kriegsgerät und aller Kriegswut ein Ende.

Wir wollen es Luther und Bach nicht vorwerfen, aber heute wollen wir es deutlich sagen:
Es tröstet uns sehr, dass die Kirche bleibt, auch in diesen unruhigen Zeiten. Es wird auch in Zukunft eine Gemeinde Jesus Christi geben. Das ist tröstlich. Doch darüber hinaus gilt auch: Es kommt die Zeit, in der nicht Waffen und Hass, sondern die Gewalt der Gewaltlosen, die Macht der Ohnmacht und die Liebe der Geliebten siegen werden. „Das Reich muss uns doch bleiben.“

Wir sind nicht naiv. Wir schließen die Anwendung von Gewalt auf dieser unerlösten Erde nicht prinzipiell aus. Die Kirche Jesu Christi hat gelernt, dass im Extremfall auch die begrenzte Anwendung von Gewalt möglich sein muss, um der unbegrenzten Gewalt zu wehren. Dietrich Bonhoeffer hat uns in seiner Mitwirkung am Aufstand gegen Hitler den Weg gewiesen. Aber Gewalt taugt nicht zur Auseinandersetzung von Nationen, sie kann als ein allerletztes Mittel in sehr engen Grenzen eingesetzt werden, wie es zum Beispiel im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat und anderem Terror geschieht. Aber Krieg, so sagen wir es mit der ganzen Ökumene „soll nach Gottes Willen nicht sein“.

Der Teufel fällt, weil Jesus Christus für uns streitet. Ein „Wörtlein kann ihn fällen“. Im Glauben an Jesus Christus liegt heute, wie vor 500 Jahren wiederentdeckt, eine ungeheure Kraft. Aus Gnade schenkt uns Gott Anteil an der Ewigkeit. Damit stattet er uns gleichzeitig aus, aus den Aporien unserer gegenwärtigen Welt herauszukommen. Auch, wenn viele Deutsche gesagt haben, dass Religion keine Bedeutung für ihr Leben hat, dann sage ich: Das liegt daran, weil sie die Kraft des Glaubens an Jesus Christus noch nicht geschmeckt haben. Es geht nicht nur um Religion im Allgemeinen. Es geht um den Glauben an Jesus Christus. Der gibt Geborgenheit und Orientierung. Insofern ist die Frage der ARD heilsam: „Was glaubst du?“
Amen.

 


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