28. September 2016 Media Docks Lübeck

Eine Kultur des Abschieds

26. Oktober 2016 von Kirsten Fehrs

Grußwort auf dem 6. Lübecker Palliativmedizinischem Symposium

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr und es ist mir eine große Ehre, dass ich heute mit einem Grußwort dieses Symposium eröffnen darf. Seit langen Jahren schon ist mir die Thematik „Palliativmedizin“ in ihrer wissenschaftlichen Erforschung ebenso wie in ihrer ethischen Dimension ein großes Anliegen. Nicht zuletzt zeigte ja die Debatte des vergangenen Jahres zum – eigentlich unglücklich verkürzten Stich-wort - „Sterbehilfe“, wie dringlich es ist, die Wirkungen und Möglichkeiten von Palliativmedizin viel stärker als bisher in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben.

So ist es mir außerdem eine Ehre, mich als Schirmherrin und Botschafterin für das geplante „universitäre Zentrum für Palliative Care“ hier in Lübeck einsetzen zu können. Dieses Zentrum soll ja als Träger des „Hauses der Palliativmedizin“ ein Ort werden, an dem Forschung, Lehre und Krankenversorgung zusammen wirken. Das Besondere an diesem Konzept ist die Ganzheitlichkeit: Patientin-nen und ihre Angehörige, die Ärzte, Pflegepersonal, Sozialarbeiterinnen, Psychologen, Physiotherapeuten, Seelsorgerinnen, Apotheken, Studierende auch werden allesamt eingebunden in einer “Caring Community”, die in ein-fühlsamer Gemeinsamkeit die Chancen palliativer Medizin zum Tragen bringt. Auf Augenhöhe mit den Patient/innen, wissenschafltich interdisziplinär und sicherlich für jede und jeden, der sich hier auch auf unbekanntes Land wagt, persönlich enorm herausfordernd.

Mir ist dabei ein Gespräch jüngst im Stiftungsrat der Universität sehr nachge-gangen. Wir waren uns nämlich trotz unserer unterschiedlichen Sichtweisen einig, dass „gutes Sterben“ des gesellschaftlichen Rückhaltes bedarf. Der Schutz individuellen Lebens schließt die zugewandt-professionelle – und damit auch palliative – Begleitung im Sterben ein. Heißt also: Es bedarf über die Versorgung der unmittelbar Betroffenen hinaus einer gesellschaftlichen Haltung von menschlicher Grundsolidarität und Verantwortung. Dabei geht es dann auch um die Wiederentdeckung des natürlichen Todes, um die Sterbebegleitung, die eine Ur-Aufgabe für Ärzte und Seelsorger gleichermaßen ist. Und es geht um eine Kultur des Abschieds.

Gestatten Sie, dass ich nach dieser programmatischen Einleitung das Thema noch einmal aus persönlicher Sicht angehe. Als ich das erste Mal an einem Sterbebett stand, war ich 19 Jahre alt. Es war ein Versehen; gerade ange-kommen als Jüngste im Klinikseelsorge-Praktikum schickte man mich ins letzte Zimmer links, doch auf den falschen Flur.

Hinter dieser Tür lag Felicitas. Sie war so alt ich. Fee, wie sie sich nannte, hatte einen inoperablen Hirntumor, der ihr unglaubliche Qualen bereitete. Als ich in ihr abgedunkeltes Zimmer trat, das angefüllt war mit Atemnot und Schmerz, wurde mir schlagartig klar, dass das Sterben eines Menschen alles aus den Angeln hebt. Meine hehre Absicht, voller Glaubensüberzeugung von der ge-schenkten Lebensgabe Gottes zu sprechen, verstummte sofort angesichts dieser Zerbrechlichkeit der jungen Frau. Ich bin jeden ihrer letzten Tage zu ihr gegangen. Habe ihre unruhige Hand gehalten. Schweigend, als könnte ich der fliehenden Seele einen festen Halt geben. Wenigstens etwas. Und so hielten wir uns gegenseitig. Sie auf der einen, ich auf der anderen Seite des Lebens. Am Abend bevor sie starb, kitzelte sie mit ihrem Finger ganz leicht meine Handfläche. Keine Frage, wer da wen tröstete.

Das ist jetzt fünfunddreißig Jahre her. Inzwischen hat sich sehr vieles getan. Palliativstationen und Hospize sind häufiger anzutreffen, wenn auch gemessen am Bedarf immer noch viel zu wenig. Ärzte werden aufmerksamer ausgebildet, das bis an die Grenzen des Möglichen arbeitende Pflegepersonal ist oft sehr sensibel, und über das Sterben zu reden, ist kein Tabubruch mehr. Und dennoch: Im Umfeld der letzten Dinge des Lebens erreicht einen immer eine eigentümliche Stille, ja eine Sprachlosigkeit, die ganz oft eines ausdrückt: Furcht.

Ich bin überzeugt, dass es viel mehr als der Tod selbst das Sterben ist, das die Menschen heutzutage ängstigt. Es ängstigt der Schmerz, die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein. Es ängstigt die Aussicht, anderen zur Last zu fallen. Es ängstigt, nicht zu wissen, wie es wirklich ist, wenn es soweit ist. Im Sterben ist der Mensch im Bereich des Unverfügbaren. Da kann man eben genau das nicht, was wir alle sonst gewohnt sind zu tun: etwas in den Griff bekommen, theroretisch durchdenken, praktisch ordnen. Sterben ist ein einziger – weil letzter Ausnahmezustand.

Das gilt auch für mich als Christenmensch. Auch wenn ich mich im Tode von meinem Schöpfer aufgehoben weiß, habe ich Ängste. Verlustängste. Angst vor dem Sterben derer, die ich liebe. Angst vor einer so genannten Apparate-medizin, die so segensreich sein und zugleich das Leben allzusehr über den natürlichen letzten Atemzug hinaus verlängern kann.

Es geht also vor allem darum, Angst vor dem Sterben zu nehmen. Schmerzen und Atemnot zu lindern. Menschen nicht allein zu lassen. Gerade wenn es schwer auszuhalten ist, auch miteinander. Sterbebegleitung ist eher mein Wort statt Sterbehilfe: Das heißt konkret: Wir brauchen Palliativstationen und wir brauchen die Forschung und Lehre, damit palliativ bestmögliche Versorgung stattfindet. Und die ist durchaus angelegt auf einen längeren Zeitraum. Palliativ heißt ja nicht automatisch: Sterbensnah. Sondern den Schmerz ummantelnd. Eine Leibsorge, die eben ganzheitlich angesetzt ergänzt wird von einer Seelsorge, die den inneren Schmerz begleitet, das Abschiednehmen von der Liebe des Lebens und gemeinsamer Zeit.

Wir haben ja im vergangenen Jahr in Deutschland eine über weite Strecken gute Debatte um diese Themen geführt. Sowohl die Diskussion selbst als auch ihr Ergebnis hat mich bestärkt und zuversichtlich gestimmt für unser gemein-sames Ziel, das Sterben wieder zu einem normalen Bestandteil des Lebens werden zu lassen. Es war weithin klar, dass wir das Tötungsverbot keinesfalls aufweichen dürfen, weil dies  alte, schwache und kranke Menschen einem ungeheuren Druck aussetzen würde. Wer sich ohnehin schon allein sieht und das Gefühl hat, anderen zur Last zu fallen, der darf nicht auf einen Gedan-kenweg gedrängt werden, sich selbst zu töten. Allzu bedrückend dazu jüngste Nachrichten aus Belgien: auch vor Jugendlichen macht die Euthanasie nicht halt. Denn inzwischen wünscht sich der  Vorsitzende der belgischen Eutha-nasie-Kommission noch eine weitere Liberalisierung - weil psychische Leiden von Minderjährigen anders als bei Erwachsenen bisher nicht berücksichtigt würden...

Der Beschluss des Bundestages nun aber, und auch das finde ich wichtig, differenziert sehr klug zwischen Medizinern, die in Grenzsituationen nach ihrem Gewissen handeln und anderen, die es darauf anlegen, geschäftsmäßig, mit Absicht und fortwährend die Suizidbeihilfe zu fördern. Mich hat vor allem der direkte Diskurs mit Palliativmedizinern gelehrt: Extreme Situationen, die auch die Palliativmedizin nicht bewältigen kann, wird es immer geben, wenn auch relativ selten. Inwieweit schmerzlindernde Mittel und das Abstellen einer unnötig Leid verlängernden Behandlung hier tatsächlich den Tod beschleunigen können und sollen, gehört in das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient. Dieses darf nicht durch neue Dogmen und Verbote eingeschränkt werden und das Gewis-sen des Einzelnen belasten. Vielleicht ist das der spezifisch protestantische Beitrag zu der Debatte: Mit Augenmaß für die Realität. Ohne die Demut zu ver-gessen. So wie einer unserer Krankenhausseelsorger neulich sagte: “Uner-träglich leidenden Menschen in absoluten Grenzsituationen ihr Sterben zu ermöglichen, kann auch ein Gebot der Nächstenliebe sein.”

Ich persönlich habe in der Sterbebegleitung vor allem eines gelernt: Kein Mensch weiß vorher, was ihn oder sie im Moment des Sterbens bewegt. Was jemand fühlt und wie er es bewertet. Ob er nicht vielleicht doch länger leben will. Obwohl andere es als Qual sehen. Kein Mensch weiß von einem anderen, wie er stirbt. Und deshalb kann man es auch nicht sagen. Es liegt Würde darin, das Sterben eines Menschen unbeschreiblich sein zu lassen. Sie können als Palliativmediziner/innen alles erdenklich Lindernde tun, Schmerz und Atemnot nehmen, und Entspannung geben. Ich kann als Seelsorgerin nahe sein, die Wut mitfühlen, kann Segen sprechen. Den letzten Schritt aber geht jeder Mensch für sich. Würdiges Sterben braucht diesen Raum der Individualität. Es braucht Zeit, Zuneigung, Gespräch, Beziehung. Immer also den Dialog, mit und ohne Worte. Es braucht, dass wir uns aussetzen und nicht fliehen.

Und vielleicht ist es im Zusammenhang all der ethischen Feinabstimmungen das eigentlich Neue: Sich dem eigenen Sterben stellen und diesen Teil des Lebens nicht aus der eigenen Perspektive auszublenden. Eine Art ars moriendi für das 21. Jahrhundert, die den Mut hat zu wissen, dass dieses mein Leben endlich ist, trotz aller Forschung und Medizin. Ein Wissen, das einem Haltung gibt: dass man das Leben lebt und nicht verschiebt.

Lebensnah also, die Gedanken beflügelnd möge das Symposion sein. Ich  freue mich auf die Begegnungen und danke Ihnen.

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