23. November 2017 | Mölln

Erinnerung ist eine starke Kraft

23. November 2017 von Kirsten Fehrs

Grußwort anlässlich des 20. Gedenktages des rechtsradikalen Brandanschlags in Mölln

Sehr geehrte Familie Arslan und Yilmaz,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Özoguz,
sehr geehrter Botschafter Aydin, lieber Herr Abgeordneter Yeneroglu,
sehr geehrter Herr Innenstaatssekretär Geerdts,
sehr geehrte Herren Küçükkaraca und Simsek,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Wiegels,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

25 Jahre, das scheint eine lange Zeit seit den Mordanschlägen in Mölln. 25 Jahre - das ist gar eine ganze Generation. Aber Zeit ist relativ. Für den einen liegt das Jahr 1992 weit zurück. Für den anderen ist es immer gegenwärtig. Für Sie, liebe Familie Arslan und Yilmaz, für die Opfer und Angehörigen dieses Verbrechens ist die Tat niemals nur Vergangenheit, sondern jeden Tag aufs Neue eine schreckliche, unerlöste Wirklichkeit – mit inneren Bildern des Grauens, die man Zeit seines Lebens nicht mehr los wird.

Es ist wichtig, diese beiden so unterschiedlichen Zeitempfindungen und Wirklichkeitserfahrungen zusammenzubringen. Gerade an diesem Tag. Dazu sind wir hier. Um gemeinsam mit den Opfern jener Nacht diese furchtbaren Momente, die einen immer wieder erschüttern, zu vergegenwärtigen und zu teilen. In Trauer, in Solidarität und in kämpferischem Protest. Wir stehen hier zusammen, um zu erinnern – also in unser Innerstes zu holen - , dass Menschen brutal aus dem Leben gerissen wurden. Getötet von blindwütigen Menschen, die von einer neonazistischen Hassideologie erfüllt waren.

Wer solche Gewalt erfahren hat, ist herausgeschleudert aus der bisherigen Welt. Nichts ist mehr so wie es war. Man ist wie auf der anderen Seite, und kann nicht mehr zurückkehren ins alte Leben. Zu einschneidend die Erfahrung unmittelbarer Schutzlosigkeit. So verletzt zu werden und gefangen zu sein in immer wiederkehrenden traumatischen Bildern, das verändert einen Menschen zutiefst. Und verändert seine Angehörigen, seine Freunde. Und so ist neben der Trauer und den Ängsten immer auch eine Wut spürbar, mal lauter, mal leiser, unstillbar und drängend. Trauer und Wut – beides ist hier im Raum. Aber auch dies: eine tiefe Sehnsucht nach Frieden. Ruhe. Gestilltem Schmerz.

Was mag hier helfen? Auf keinen Fall das Vergessen oder Verdrängen. Sondern allein die Erinnerung. Sie hilft, durch das Tal der Tränen und der Untröstlichkeit hindurchzugehen und der Angst die Macht zu nehmen. Indem man darüber spricht. Es anschaut. Nicht bagatellisiert. Den Schmerz würdigt.

Erinnerung ist eine starke Kraft, die Verhältnisse verändern kann.

Erinnerung - das ist zuallererst eine Erinnerung an die Opfer. Niemals wollen wir die  Namen derer vergessen, denen das Leben genommen wurde: Bahide Arslan, Yeliz Arslan, Ayse Yilmaz. Drei Menschen, die leben wollten, die geliebt haben und geliebt wurden.

Die Erinnerung gilt aber auch den Überlebenden, die bis heute gezeichnet sind von den Schrecken und den Zerstörungen jener Nacht. Die heute hier sind und ihre Stimme erheben, die ihre Trauer mit uns teilen. Die aber auch – und das ist so wichtig, lieber Ibrahim Arslan!  - das Schweigen durchbrechen, das in unserer Gesellschaft bezogen auf neonazistische Brandanschläge immer noch besteht.

Denn auch das erinnern wir heute, um es nicht zu vergessen: den politischen Zusammenhang, in dem die Taten von damals zu sehen sind. Der Rassismus, der Rechtsextremismus, die stillschweigende Hinnahme von Ausgrenzung, Pöbeleien und Gewalt gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderer Herkunft. Wir wissen, dass all das leider tiefe Traditionslinien in Deutschland hat. Wie ein gefährliches Virus, das im Körper schlummert, so sind völkisches Denken, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus seit vielen Generationen in unserer Gesellschaft präsent. Immer wieder bricht diese destruktive Energie hervor, hetzt, zerstört, verbrennt, tötet.

Laut Bundesinnenministerium gab es 2017 im Schnitt bisher nahezu einen Anschlag pro Tag auf eine Flüchtlingsunterkunft, darunter auch Brandanschläge. Jeden Tag droht also eine Wiederholung dessen, was 1992 hier in Mölln geschah, und dagegen müssen wir immer wieder aufstehen und etwas tun! Wach bleiben!

Darum ist das Gedenken heute wichtig - und an allen anderen Tagen im Jahr auch: Es gilt, bewusst und aktiv dieser Gewalt entgegenzuwirken. Dazu gehört ein klares Nein zu jeder Form der Menschenverachtung, ein klares Nein zum Rechtsextremismus in all seinen Formen!

Unser Gedenken hier in Mölln ist ein Baustein. Es hat die Stadt sichtlich mitgenommen, was damals geschah. Sie hat viel getan, um hier einen neuen Anfang zu machen – gewiss kein leichtes Unterfangen und schon gar kein perfektes, aber eben doch ein entschlossenes Handeln. Zugleich kann es aus Sicht der Opfer, der Betroffenen, der Überlebenden nie genug sein, denn drei Leben, sie lassen sich nun einmal nicht aufwiegen.

Und doch ist es heute ein wichtiges Zeichen, dass Sie sich, liebe Möllnerinnen und Möllner, politisch klar und deutlich gegen die feigen Anschläge positionieren, dass die Stadt sie in den Jahreskalender aufgenommen hat, dass besonders an diesem 23. November die Zeitstränge von Vergangenheit der Stadt und Gegenwart der Opfer zusammenkommen. Und dass damit auch die Fragen gemeinsam gestellt werden: Wie jetzt weiter? Was können wir in Zukunft tun, damit so etwas nie wieder geschieht?

In Mölln gibt es hoffnungsvolle Antwortversuche auf diese Fragen. Es gibt den Verein „Miteinander leben“ und etliche Projekte gegen Antisemitismus und für Demokratieförderung. Auch der Gottesdienst vorhin war für mich ein Hoffnungszeichen, mit den Gebeten von Christen und Muslimen, verschieden zwar, und doch einander so nahe. Vereint in einem gemeinsamen Willen: Dass nie wieder Leben durch fanatische Gewalttäter zerstört werde.

Unsere Religionen mahnen uns zur Erinnerung, so wie auch die Toten, um die ich heute hier mit Ihnen trauere. Lasst uns gemeinsam einstehen gegen Intoleranz und Hass, lasst uns einstehen für eine entschiedene Abwehr fremdenfeindlicher Gewalt und für eine demokratische und friedliche Gesellschaft. Heute. Und morgen auch. Dazu helfe uns Gott.

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