22. Januar 2017 | Dom zu Lübeck

Es ist an uns, mitzugehen im Zug Jesu

22. Januar 2017 von Kirsten Fehrs

3. Sonntag nach Epiphanias, Predigt zu Matthäus 8, 5-13

Sprich nur ein Wort, Jesus.

Sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.

Du musst nicht mit in mein Haus kommen und unter mein Dach, es reicht, dass du da bist, hier und jetzt, in unserer Mitte. Sprich nur ein Wort, und ich kann aufatmen. Kann mich lösen von all dem, was einen so bedrücken oder auch so krank machen kann und ungerecht. Sprich nur ein Wort…

Jeden Sonntag beim Abendmahl sprechen wir genau diese Worte des Hauptmanns von Kapernaum, liebe Gemeinde. Um dann anschließend alle, ausnahmslos alle, von Norden, Süden, Ost und Westen, eingeladen zu sein, am Tisch des Herrn zu sitzen, respektive zu stehen und zu knien. Alle mit gleichem Recht, das Kind ebenso wie die alte Dame, der Manager und die Modische, das syrische Ehepaar und der Katholik aus München, der heute zufällig dabei ist. Alle, alle gehören wir an einen Tisch. Damit unsere Seele gesund wird….

…sprich nur ein Wort, sagt der Hauptmann. Mich berührt jedes Mal dieses Vertrauen, das darin liegt. Diese Gewissheit. Und Demut. Es ist wie ein „Sich-aus-der-Hand-Geben“. Der Hauptmann weiß, dass er wenig genug in dieser seiner Hand hat. Obwohl er als Offizier wahrlich nicht machtlos ist und über etliche Menschen Befehlsgewalt hat: Sie tun, was er sagt! Doch angesichts der wirklich wichtigen Dinge zwischen Leben und Tod kennt er genau seine Grenze. Und er weiß, dass dieser Jesus da vor ihm in ganz anderer Weise mächtig ist, als es die Welt sonst kennt. Kyrios, sagt er zu ihm. Herr, sprich du ein Wort.

Ich kann nichts mehr für den armen Knecht in meinem Haus – ist es sein Sohn? – tun!

Und mir geht durch den Sinn, wie nah das an unsere Lebenswirklichkeit herankommt. Viele unter uns werden das schon erlebt haben: an der Grenze der eigenen Möglichkeiten angekommen zu sein. Erschöpft davon, nichts tun zu können. Kaum auszuhalten, solch eine Ohnmacht, wenn jemand, den ich mag oder liebe, Schmerzen hat oder mir gar unter den Händen wegstirbt. Grenzsituationen sind das, die wie ein Riss durch die Normalität gehen und uns so sprachlos machen können. Deshalb: Sprich du, Jesus! Sprich nur ein Wort, dass es uns erlöst.

So einen Glauben habe ich noch nie gefunden, wundert sich Jesus. Er spricht das ersehnte Wort. Und nicht nur der Knecht, auch des Hauptmanns aufgewühlte Seele wird gesund.

Dieses Evangelium ist mehr als ein Heilungswunder, liebe Gemeinde. – Es ist auch eine Befreiungsgeschichte. Denn hier bekommt ein Mensch, der tief und innig glaubt, dass es mehr gibt als das Verstörende, Gottes Antwort: Ja, es gibt mehr als diesen furchtbaren Riss durch die Lebenswelt. Es gibt dahinter eine Wirklichkeit - gerade auch durch diesen Riss scheint sie auf! – die licht ist und klar. Gottes Wirklichkeit, die in Christus offenbar wird. Immer wieder. Deshalb ist er in diese Welt geboren. Dass er uns heilt. Versöhnt. Uns herausliebt aus unseren Verbohrtheiten und Verzweiflungen. Sein Wort hat tatsächlich die Macht, von Angst und Herzensenge zu befreien!

Viele Menschen damals haben diese befreiende Kraft gesucht, ja Gottes Antwort ersehnt: Wundergeschichten, die die Gedanken frei machen. Allzumal in jenem heiligen, bis heute von Gewalt zerrissenen Land, dort am See Genezareth, an dem wie auf einer Perlschnur aufgereiht all die Orte liegen, an denen Jesus Wunder um Wunder tat. Im Oktober bin ich genau da entlang gejoggt – es sind ja nur wenige Kilometer vom Fischzug des Petrus zur Speisung der 5000, am Berg der Seligpreisungen vorbei hin nach Kapernaum. Und ich konnte mir auf einmal genau vorstellen, wie sie Jesus nachgeströmt sind. Zu Tausenden! Ich konnte mir genau vorstellen, wie damals - und ja doch auch heute! – all die Suchenden und Trudelnden, die Friedensstifter und Notleidenden, wie sie wie in einem großen Zug des Lebens ihre Sehnsucht an jenen Ort tragen. Ich ja auch. Es waren und es sind Unzählige, die in dieser Welt hungern und dürsten. Nach Brot und Leben. Nach Gerechtigkeit. Frieden. Nach Hoffnung, dass es besser wird. Alle sind wir im Zug des Lebens, die wir im Namen Jesu Würde wollen und Menschenrecht. Und die wir angesichts all der Nöte in der Welt auf Wunder warten und bitten: Sprich nur ein Wort…. auf dass wir frei werden!

Zugegeben – auf ein Wunder hofften sie vorgestern vergebens, die Hunderttausenden in Washington, die zum Boykott gegen die Amtseinführung Trumps aufgerufen hatten. Wenigstens hat es geregnet, sagten sie…

Er wurde eingeführt, Donald Trump, der in vielem mit dem bricht, was wir unter Freiheit verstehen. Der als erstes eine Mauer bauen wird als Bollwerk der Abschottung. Und der allerorten beunruhigt durch Brachialworte, die viel von der Wut und von dem Gestus apodiktischer Macht ausstrahlen und wenig von Werten. Ein kleines Wunder war‘s dann aber doch, als gestern wiederrum Hunderttausende beim Marsch der Frauen auf die Straße gingen, in rosa gekleidet. Es waren mehr Menschen auf der Straße als bei der Amtseinführung!

Unter den Protestierenden waren auch viele Protestanten, die sich in Erinnerung an einen besonderen Mann in diesen Zug eingereiht haben, den Bürgerrechtler Martin Luther King. Ihn ehrten die Amerikaner am Montag traditionell mit einem Feiertag zu seinem 88. Geburtstag.

Sein Name steht wie kein anderer für das andere Amerika, das auf sich hält und für das so viele Menschen gestern eingestanden sind. Ein Amerika, das die Freiheit ehrt und gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung kämpft. Martin Luther Kings Name steht für eine einmalige Befreiungsgeschichte, und zwar eine, die auch viel mit unserem Land und dem Wunder in Kapernaum zu tun hat. Eine Geschichte zudem, von der ich gar nicht wusste, wie genau sie in dieses Reformationsjahr 2017 passt:

Gerade fünf Jahre war der kleine Michael King alt, als sein Vater, der auch Michael King hieß und ein Baptistenpastor war, ihn 1934 zu einem Baptistenkongress nach Deutschland mitnahm. Nach dieser Reise änderte Michael King sen. seinen Namen und den seines Sohnes in Martin Luther King. Man vermutet, dass der Vater so stark beeindruckt war von Martin Luthers Leben und Werk, dass er sich mit seinem Namen, aber auch in seiner Haltung an ihn gebunden hat.  Eine Haltung des Mutes. Und der Freiheit. Und ich musste sofort daran denken, dass ja auch Luther selbst seinen Namen geändert hat. Von „Martin Luder“ in „Martin Luther“, abgeleitet von griechisch „E-leutheros“ – „der Befreite“ oder "der Freie“. Ein Name mit Programm, eben der Freiheit eines Christenmenschen.

Genau 30 Jahre später kam der inzwischen berühmte Martin Luther King Jr. erneut nach Berlin. Die Stadt war geteilt, eingeladen hatte ihn Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister. King sprach 1964 in der Waldbühne in West-Berlin vor 20.000 Menschen und begeisterte sie mit den Worten: „Überall, wo Menschen trennende Mauern niederreißen, erfüllt Christus seine Verheißung. In diesem Glauben werden wir gemeinsam für die Freiheit aufstehen in der Gewissheit, dass wir eines Tages frei sein werden.“

Sprich noch ein Wort!!, dachten alle.

Am Abend dann wollte King auch in Ostberlin predigen. Davon riet die US-Stadt-kommandantur ihm dringend ab, war doch tags zuvor ein DDR-Flüchtling an der Mauer erschossen worden. Vorsichtshalber behielt die Behörde gleich seinen Pass ein. King fuhr trotzdem zum Checkpoint Charly und zeigte dort einfach seine Kreditkarte vor… Er predigte tatsächlich in der Marienkirche vor 3000 Menschen. Und als der Kirchenchor dann den Spiritual sang „Go Down, Moses“ – und als es immer wieder hieß:„Let My People Go“… da hatte jeder verstanden, was gemeint war. Noch heute sagen Menschen, die dabei waren: Die Erinnerung an diesen Moment hat mir 1989 Mut gegeben.

Was für eine Geschichte!  Als Fünfjähriger nahm Michael King den großen Namen Martin Luther aus Deutschland mit. Als 35-Jähriger brachte er nach Deutschland etwas zurück: Worte der Hoffnung. Und seinen Traum: Trennende Mauern niederzureißen. Und es dauerte noch nicht einmal 25 Jahre, bis diese Vision Wirklichkeit wurde! Die Mauer fiel – nicht mit Gewalt. Sondern mit Schweigen. Kerzen und Gebeten. Es ist ein Wunder, sagen wir bis heute.

Solche Geschichten der Befreiung – sie gehören zum Reformationsjubiläum! Geschichten unseres Lebens. Die mit uns zu tun haben und mit unseren Möglichkeiten, dem Wunder zu vertrauen.

Es ist an uns, liebe Gemeinde, uns einzureihen in den Zug derer, die den alten Verheißungen vertrauen und ihnen neue Worte geben. Auch und gerade in dieser säkularen Welt, die ihre Grenzen bei den wirklich wichtigen Dingen zwischen Leben und Tod zwar irgendwie spürt, aber nicht weiß, wie sie auf die existentiellen Ängste reagieren soll.  Mit jeder Mauer, die gebaut wird – ob aus Steinen oder Worten – ist doch zu merken, wie viele Menschen in unserem Land sich nach Gewissheiten sehnen. Danach, wieder vertrauen zu können. Sprich nur ein Wort, meine Seele wird sonst nicht gesund!

Es ist an uns, mitzugehen im Zug Jesu. Um in seinem Namen zu bezeugen, dass wir inmitten dieser irrsinnigen Welt diese Wirklichkeit glauben, die über, in und hinter den Dingen ist. Eine Wirklichkeit, die trägt. Die einen wie der Hauptmann von Kapernaum gewiss macht, dass alles was wir sind, unsere Zeit, unser Streben, unser Glück, das Lieben und das Leben  – dass all dies nicht in der Hand von machthungrigen Despoten liegt, seien sie  diesseits oder jenseits des Atlantik. Sondern dass all dies in den zärtlichen Händen eines allumfassend ewigen Gottes liegt mit einem unerhört freundlichen Angesicht.

Und der antwortet uns, er sagt: Geh hin, dir geschehe, wie du geglaubt hast.

Und wir können befreit aufatmen. Und gehen. Aufrecht, ins Leben hinein.

Und wir merken: Dieses Leben ist zum Wundern schön.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt ja unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
22.01.2017
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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