29. Juni 2016 | Hamburg

Evangelische Hochschule trifft Religionen

29. Juni 2016 von Kirsten Fehrs

Grußwort auf dem Sommerfest der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie – Impulsvortrag, Campus der Hochschule Hamburg

Ich freue mich bei Ihnen zu sein auf diesem Sommerfest und danke für die Einladung und – um gleich mit dem Thema in die Tür zu fallen – für die Gelegenheit, vor unserem Gespräch, lieber Herr Dr. Özdil, einige Gedanken zu dem Motto heute einzubringen: Evangelische Hochschule trifft Religionen. Religionen im Plural wohlgemerkt. Und im Dialog. Denn das ist es, was zur Zeit in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche dran ist: Wir erleben eine Wiederentdeckung der Religionen, in all ihren Facetten, den destruktiven wie den konstruktiven. Meine These dabei für heute ist: Religion wird im öffentlichen Diskurs viel zu oft als Teil des Problems gesehen. Und viel zu selten wird in den Blick genommen, dass sie gerade auch Teil der Lösung bei gesellschaftlichen Konflikten sein kann.

Eindrücklich für mich dazu ein Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Europäischen Kommission, Frans Timmermans. Ein gläubiger Christ. Mich hat diese Haltung beeindruckt, wie er aus einer ihm innewohnenden tiefen Hoffnung auf die Realitäten schaut. Und das bei einigermaßen krisenhafter Stimmung allerorten in Europa. Und ich dachte bei mir -  ja er hat Recht.  Es gilt, in Horizonten zu denken statt in den Grenzen dieses allseits um sich greifenden Kleinmuts. Auch angesichts eines Brexits. Und da mussten wir uns doch die vergangenen Wochen wirklich die Augen reiben. Medien, die manipulierten statt zu informieren, dreiste Lügen und Politiker, die die Regeln des Fairplay nicht mehr erinnerten. Ja Gewalt, die zum Tod einer Labour-Abgeordneten führt, nicht aber zum Innehalten.

Wenn wir dann noch lesen, dass es seit dem Brexit-Referendum vermehrt zu Attacken auf Muslime in Großbritannien kommt, dann wird umso deutlicher: Die Religionen dürfen sich nicht zurückhalten in diesen erodierenden Dynamiken – die die Rechtspopulisten derzeit auszunutzen verstehen, seien es Geert Wilders in den Niederlanden, Marine Le Pen in Frankreich oder auch die AfD hier bei uns.

Es gilt, die gemäßigten Kräfte in Europa zu stärken. Die Demokratie ist ein hohes Gut -  und zwar nicht nur als Wille der Mehrheit, sondern auch als Schutz der Minderheit. Genau dazu gehört die Religionsfreiheit. Auch sie ist immer wieder gefährdet, wird infrage gestellt. Zum einen von den Religionen selbst, wenn Fanatismus und Intoleranz nur einen Glauben als den einzig wahren Weg akzeptieren, dem sich alle unterzuordnen haben. Zum anderen aber von denen, die in der Religion nur eine feindliche Macht sehen: die Muslimen das Recht bestreiten, hier ihren Glauben zu leben oder die immer noch den Ungeist des Antisemitismus in sich tragen.

Beides, die destruktive und die aufbauende Seite, haben sich für mich verbunden, als ich in Brüssel vor dem Kerzen- und Blumenmeer gestanden habe, mit dem die Menschen der Opfer der Attentate im März gedacht haben. So viele Fotos der Ermordeten und Liebeserklärungen, aber auch Bekenntnisse zur Freundschaft der Kulturen. Und zur Freundschaft der Religionen! Immer wieder waren Herzen zu sehen - „Europa getroffen ins Herz“, stand da auf einem. „Aber glaubt nicht, dass unsere Herzen kalt werden!“ Daneben ein Bild von einem weinenden Kind an diesem furchtbaren Grenzzaun von Idomeni; mit den kleinen Fäusten panisch dabei, sich das Tränengas aus den Augen zu wischen...

Europa steht an einem Scheideweg. Dabei geht es eben nicht allein darum, ob es diesen unsinnigen Brexit gibt oder nicht. Es geht darum, die Grundwerte einer demokratischen Gemeinschaft zu verteidigen, ja den europäischen Traum von der Freiheit der Grenzen und der Vielsprachigkeit wach zu halten. Entgegen all der nationalen und rechtspopulistischen Irrungen, die doch tatsächlich meinen und sagen!, dass man sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen soll.

Europa braucht neue Gemeinschaft und neuen Zusammenhalt – um all dies zu halten, was nicht nur uns Christenmenschen wert ist und gefestigt in langer Tradition: Humanität. Herz. Freiheit. Frieden. 71 Jahre schon. Und die Religionen haben hier eine aktive Aufgabe. Nicht allein aus moralischer Pflicht. Sondern weil es in ihren Traditionen tief verwurzelt ist, das Böse mit dem Guten zu überwinden. So findet die biblische Regel: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch“, im Koran ihre Entsprechung in Sure 24: „Sie sollen verzeihen und nachlassen. Liebt ihr selbst es nicht, dass Gott euch vergibt?“ Jede Religion trägt in sich diesen goldenen Kern, der auch durch noch so viel ideologische Verkleisterung der Heiligen Texte nicht beeinträchtigt wird und der in sich das Potenzial hat, auch nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten der Verdunklung strahlend wieder hervorzubrechen. Heißt also: Es gibt eine intrinsische Motivation, wenn gläubige Menschen konsequent weltzugewandt für Gewaltlosigkeit stehen und Nächstenliebe und Demut vor dem Leben.

Und das hat unerhörte Kraft. Positive, bindende Kraft. Weil es den toleranten, solidarischen Blick auf den anderen übt und nicht den eifersüchtigen. Oder eifernden. Allerdings – diese Kraft der Religion wird in unseren zunehmend religionsunkundigen und säkularen westeuropäischen Gesellschaften fast schon ängstlich gemieden. Aus der dem Staat natürlich wichtigen Religionsneutralität wird geradezu Religionsängstlichkeit.  Ich bin hingegen sicher, dass es zum Gelingen der allseits im Munde geführten Integration nicht ausreichen wird, etwa für die Geflüchteten in unserer Stadt allein für Unterkunft, Verpflegung, Arbeit und rechtliche Anerkennung zu sorgen, so wichtig das alles ist. Es braucht auch die Religion – in ihrer nicht fundamentalen Form, versteht sich.

Denn nicht wenige Flüchtlinge lassen mit ihrer Heimat auch ihre bisherigen Glaubensgewissheiten hinter sich. Aber auch das Gegenteil: religiöse Zwangssysteme, die bislang restriktiv in ihr Leben eingegriffen haben. Hochinteressant die Gespräche etwa mit Iranern oder Afghanen, die  - wohlgemerkt nach einem längerem Glaubenskurs  - Christen werden wollen. Die nicht Strafe, Schuld, Zwang, sondern mit der Religion Liebe, Zuwendung, Flüchtlingshilfe verbinden und erleben. Das Fazit lautet dabei  nicht: Wer Christ wird, bekommt schneller Asyl. Vielmehr sind viele Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, religiös auf der Suche. Und gehen hier in unsere  Kirchengemeinden – und bringen sie nicht unerheblich durcheinander. Gut so.

Es ist religiös sehr viel in Bewegung geraten – in den einzelnen Menschen ebenso wie in der gesamten Gesellschaft. Und das hat Konsequenzen. Wir werden nun noch einmal ganz deutlich auf die Tatsache gestoßen, dass wir eine pluralistische Gesellschaft sind. Und dass wir daher auch in unseren Institutionen etwas ändern müssen. Wir diskutieren diesen Wandel gegenwärtig unter dem Stichwort Interkulturelle Öffnung. In dem Maße, in dem wir einen Dienst an der gesamten Gesellschaft leisten wollen, müssen wir anerkennen, dass diese eben keine ausschließlich christlich und erst recht keine evangelisch geprägte Gesellschaft ist. Diese Fragen stellen sich – Sie wissen das - vor allem im Zusammenhang der Diakonie – natürlich hat der Dienst immer schon allen Menschen gegolten, in unseren Krankenhäusern und Sozialberatungen wurden immer auch Menschen versorgt, die keine Christen waren. Aber von denjenigen, die dort tätig sind, wird eben eine Identifikation mit den christlichen Werten verlangt. Bisher vor allem über das äußere Kriterium der Mitgliedschaft. Doch sagt die bloße Mitgliedschaft etwas aus über die innere Einstellung eines Menschen?

Die Evangelische Hochschule hat, und das finde ich hochinteressant, ihre Aufnahmebedingungen geändert. Während es früher schlicht hieß, dass ein Bewerber/eine Bewerberin im Regelfall einer christlichen Kirche angehören soll, heißt es jetzt: „Die Ev. Hochschule leitet ihren Auftrag aus der christlichen Tradition und der biblischen Botschaft ab…Bewerber/innen in den Studiengängen erklären mit ihrer Bewerbung die Bereitschaft, die evangelische Orientierung der Hochschule zu respektieren und  sich themenbezogen mit interreligiösen und ethischen Grundfragen vor dem Hintergrund christlicher Glaubensaussagen und der christlichen Kirche auseinanderzusetzen.“ Das ist eine solche Aussage, die es auch Muslimen, Buddhisten oder Atheisten ermöglicht, hier zu studieren – mit der Aufgabe, in diesem religiösen Diskurs das evangelische Profil zu klären und gerade ja zu pointieren.

Solche Prozesse, in denen Öffnung gerade nicht bedeutet, man könne nicht ganz dicht sein - sie laufen gegenwärtig in der Diakonie und in Kirchengemeinden, Kirchenkreisen, Diensten und Werken. Fragt man sich doch schon in mancher Kita mit einem hohen Anteil muslimischer Kinder, was eigentlich daran unevangelisch ist, eine muslimische Erzieherin einzustellen? Es ist eine – neu zu fassende -Aufgabe für uns als Kirche: Die interkulturelle Öffnung ermöglichen. Einladend sein für Menschen anderer Sprache, anderer Hautfarbe, anderer Tradition. Das gibt es schon bei Einwanderern, die schon länger hier sind und sich zur evangelischen Kirche halten, im Ihnen verbundenen Afrikanischen Zentrum Borgfelde etwa. Doch es wird viel wichtiger in Zeiten, in denen wir die Ankunft so vieler Flüchtlinge hier erleben - offen zu sein für diejenigen, die hier den Anschluss suchen. Mit durchaus positiven Irritationen: Wenn etwa plötzlich ein nennenswerter Teil der Gottesdienstgemeinde nicht mehr Deutsch spricht, sondern Farsi. Wenn der angestammte Platz besetzt ist durch eine durchaus froh gestimmte betende Familie aus dem Iran.

Interkulturelle Öffnung hört sich so einfach an. In Wahrheit ist es einer der aufregendsten Veränderungen, die wir nicht beobachten, sondern die wir mit gestalten sollten.

Dazu gehört der Interreligiöse Dialog. Er ist wohlgemerkt nicht das Gleiche – und zielt nicht darauf ab, dem Fremden den Eintritt in meine Glaubensgemeinschaft zu erleichtern. Er will vielmehr respektvoll den Unterschied erkennen und auf die eigene Sichtweise beziehen. Dazu gehört das Hören auf die Geschichten und Traditionen des Anderen, das Verstehen – aber auch das achtsame Akzeptieren der Grenzen. Man muss nicht auf Biegen und Brechen gemeinsame Gottesdienste feiern oder gemeinsame Gebetsformeln finden. Es ist schon eine wichtige Errungenschaft, Verständnis für das Anderssein des Anderen aufzubringen. Ja, Zuneigung dafür zu entwickeln, dass einem Muslim, einer Jüdin, einem Buddhisten etwas anderes heilig ist als mir selbst. Bei uns in Hamburg lernen ja bereits die Kinder im Religionsunterricht für alle, diese Haltung der Zuwendung – also: zu erkennen, wo wir gerade nicht etwas Gleiches glauben und dennoch in einem Raum friedlich beieinander bleiben können. Diese Lerngemeinschaft in einem Raum – sie ist ein schönes Bild für das, was uns gesamtgesellschaftlich derzeit herausfordert und bereichern wird. In diesem Lernraum Deutschland ist der interreligiöse Dialog unabdingbar und allemal mehr als wohlfeile Reden und Grußworte der Religionsführenden: Die Übung, den Unterschied nicht zu befürchten, sondern sich mit ihm zu befreunden  - um uns so gemeinsam klar und erkennbar zu positionieren gegen Hass und Terror und Radikalismus aller Couleur. Damit wir den Frieden halten - in dieser Stadt und in Europa sowieso.   – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

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