25. November 2016 | St. Lorenz Travemünde

„Freiheit braucht Mut und Furchtlosigkeit“

25. November 2016 von Gothart Magaard

Predigt im Synodengottesdienst zum Thema „Freiheit/Reformation“

Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Freiheit ist ein vielschichtiges Phänomen. Sie ist je nach Situation Wirklichkeit oder Hoffnung. Manchmal Sehnsucht, manchmal Erinnerung.

Freiheit, liebe Schwestern und Brüder, kann genutzt, verspielt und missbraucht werden. Nicht jede Freiheit lässt sich verwirklichen, nicht jede Freiheit verträgt sich mit dem Zusammenleben und dem Recht auf Freiheit anderer. Und nicht jeder Weg zur Freiheit lässt sich rechtfertigen.

In unserer Geschichte lassen sich vielfältige Beispiele für die Vielschichtigkeit des Phänomens Freiheit finden. Eines, das mich bis heute sehr bewegt, ist die Freiheit, die im Jahr 1989 errungen wurde:

Freiheit wurde Wirklichkeit, auf einem Weg, den sich Menschen nicht hätten träumen lassen. Gerade diejenigen unter uns, die die Unfreiheit der DDR und der früheren sogenannten Ostblock-Staaten sehr bewusst erlebt und gespürt haben, kommen beim Nachdenken über dieses Wort sicherlich immer wieder an ganz alte Gefühle, tief verborgen in unseren Herzen und Seelen, heran.

Freiheit braucht Mut und Courage – und nicht nur diese Freiheitsgeschichte lehrt mich, dass wir nicht schweigen dürfen, wenn die Freiheit bedroht ist, bei uns oder andernorts. Wie sehr uns das herausfordert, spüren wir in diesen Tagen und Monaten.

Wie viel Kontrolle muss es geben, wenn Terroristen Freiheit bedrohen? Wie sehr schränken wir uns selbst ein, aus Angst, aus Resignation?

Wie sehr dürfen, ja müssen wir uns einmischen, wenn die Freiheit in Ländern wie der Türkei oder Ungarn bedroht scheint, die uns doch eigentlich so nahe sind?

 

Liebe Schwestern und Brüder,

eine zweite Freiheitsgeschichte verbindet sich mit dem Menschen Martin Luther.– An die Hammerschläge an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg und seinen Auftritt vor Kaiser und Papstgesandten erinnern wir uns bis heute: „Ich kann nicht anders. Hier stehe ich, Gott helfe mir. Amen“.

Die Entdeckung der Gewissensfreiheit gehört zum Erbe der Reformation. Das, was den Menschen unbedingt angeht, was ihm Hoffnung gibt, was ihn im Innersten bewegt, kann und darf ihm kein Mensch durch Zwang streitig machen.

Es ist eine Freiheit zur Religion, die hier entdeckt wurde. Eine Freiheit, die Menschen aufrichtet und ihnen Freiräume eröffnet. 

Liebe Schwestern und Brüder und genau das ist es auch, was mir mein Glaube schenkt. Er schenkt mir Freiheit, weil Gott mich sieht. Weil  ich ihm am Herzen liege. Weil er an meiner Seite ist. Ganz gleich, ob mir mein Tagwerk gelungen ist oder ob ich gescheitert bin.

Mein Glaube schenkt mir die Freiheit, mich am Ende nicht abhängig zu machen, von dem, was andere über mich sagen und denken. Und als Bischof heißt das auch, bei aller Verführung, die natürlich auch für mich darin liegt, mich nicht abhängig zu machen von Presseberichten und Fotostrecken, von der Anzahl der Einladungen, die sich auf meinem Schreibtisch stapeln und einem übervollen Terminkalender, der mir das Gefühl einer unglaublichen Bedeutsamkeit geben könnte und am Ende dann doch nur eine große Leere überdeckt.

Nein, mein Glaube schenkt mir die Freiheit, im Alltagsgeschäft innezuhalten und zu bedenken, was wirklich wichtig ist vor Gott und den Menschen. Wozu uns das Evangelium der Menschenfreundlichkeit Gottes befreit. Und Termine abzusagen, Schwerpunkte zu setzen, mich nicht durch mein eigenes Leben jagen zu lassen und alle, die mich begleiten, dienstlich und privat, mit mir.

Mein Glaube schenkt mir Freiheit, dort wo Gottes Liebe mir die Angst nimmt: vor Veränderung, vor Neuem, ja auch vor Fremdem und Fremden. Er schenkt mir die Freiheit, mich für andere zu engagieren: für meinen Nächsten und meine Nächste, für Menschen und Tiere und die Schöpfung.

Im Engagement für Demokratie und Menschenrechte auf der ganzen Welt. Er schenkt mir die Freiheit, mich aufzurichten und mich aufrichten zu lassen. Hilfe nicht als Almosen zu verstehen. Gemeinschaft als Geschenk zu begreifen. Das Leben zu lieben und zu leben.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

diese Freiheit, die Gottes Liebe uns schenkt, ist es wert, sie laut und klar und fröhlich zu verkünden. Dazu gehört, alte Formen zu pflegen und weiterzugeben. Gebete und Lieder in vertrauter Sprache. Musik, die von Gott erzählt, wie Johann Sebastian Bach oder Matthias Claudius es tun. Und damit auch Menschen, die aufgehört haben zu sprechen, wieder zum Singen zu bringen, so wie es zum Beispiel in Gottesdiensten mit demenziell Erkrankten geschieht.

Dazu gehört, Neues zu entdecken. Dazu gehören auch neue Bibelübersetzungen, wie wir sie dieser Tage überall in Gebrauch nehmen. Denn es versteht sich ja keineswegs von selbst, heilige Texte einer „Revision“ zu unterziehen;

sie also neuerlich zu sichten, sich noch einmal anzusehen und dort, wo aus sprachlichen oder sachlichen Gründen erforderlich, anzupassen und zu verändern. Denn normalerweise nimmt man von allem, das sich irgendwie „heilig“ nennt, an, dass es unveränderlich sei.

Nein, zur Freiheit eines Christenmenschen gehört es, Worte zu prüfen und Übersetzungen zu verändern, wenn es der Botschaft dient.

Zu unserer Freiheit gehört auch, neue Sprach- und Musikformen und -stile zu entdecken, mit denen Menschen das Evangelium hören und sprechen und singen und spüren, so wie es unsere Popularkirchenmusikerinnen und -musiker tun. Und damit stellt sich auch die Frage, in welcher Tonlage, mit welcher Haltung wir uns äußern.

Vor vielen Jahren war ich mit einer Gruppe von Vikarinnen und Vikaren im theologischen Seminar der protestantischen Kirchen auf der Insel Kuba. Vermittelt durch Bischöfin Wartenberg-Potter. Gegen Ende der Zeit wurden wir zu einem Gottesdienst zum Reformationstag eingeladen. Kurz vor dem Gottesdienst fragte uns der Pastor, ob wir das Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott“ im Gottesdienst singen wollten. Nach kurzer Rekonstruktion des Textes (Gesangbücher hatten wir nicht dabei), begann der Gottesdienst und unser Auftritt nahte.

Wir sangen die erste Strophe, so wie wir sie kannten. Plötzlich unterbrach uns der Pastor mit dem Hinweis, so wie wir könne man das Lied nicht singen.

Es sei doch ein Befreiungslied, ein Bekenntnis, und in der DDR sei das ganz anders, nämlich kämpferisch gesungen worden. Spontan stimmte er das Lied auf Spanisch als Fanfare an. Wir waren überrumpelt und etwas beschämt.    

Dieses Erlebnis habe ich nicht vergessen. Wie verkündigen wir die Freiheit, die uns der Glaube schenkt? Klingt sie wirklich nach Freiheit? Fühlt sie sich wie Freiheit an? Wir werden es im Anschluss an diese Predigt einmal ausprobieren!

Liebe Schwestern und Brüder,

ich bin davon überzeugt, dass all die Feierlichkeiten, die sich mit dem großen Reformationsjubiläum im Jahr 2017 verbinden, viele bedenkenswerte gesellschaftliche Fragestellungen unserer Zeit aufnehmen werden. Für mich gehört dazu auch das Uns-Herantasten an das ökumenische Reformationsgedenken, das wir als Nordkirche gemeinsam mit dem Erzbistum Hamburg und den Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACKs) der Regionen begehen und das wir morgen in Schleswig mit einem besonderen musikalischen Lichtergottesdienst eröffnen werden.

Ich freue mich, es im kommenden Jahr singen und klingen zu hören. Ich freue mich auf Diskussionen und Auseinandersetzungen. Ich freue mich auf die Fahrten mit dem Nordkirchenschiff und die Begegnungen mit den Menschen in den Häfen. Ich bin gespannt darauf, welche (Freiheits-) Erfahrungen wir hoffentlich auf diesem Weg allein und miteinander machen dürfen.

So möchte ich Sie, liebe Schwestern und Brüder, ermutigen, an Ihren Orten mitzumachen, teilzunehmen und an diesem großen Projekt der „Freiheit“ mitzuarbeiten, dessen Spielräume Martin Luther in seiner großen Schrift denkbar prägnant abgesteckt hat:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Frei, weil Gott sich mehr aus uns macht, als wir zu träumen wagen, und befreit dazu, füreinander Mensch zu sein.

Noch einmal Zitat Luther:

Siehe, das ist die rechte geistliche christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten.
Amen
.“

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