2. Februar 2016 | Hamburg

Gemeinsam in die Zukunft denken

02. Februar 2016 von Kirsten Fehrs

Tagung der Synoden der Kirchenkreise Hamburg-Ost und Hamburg-West/Südholstein, Patriotische Gesellschaft Hamburg - Impuls von Bischöfin Kirsten Fehrs

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede

Ich bin auch sehr glücklich (Bezug zur Rede von Intendant Joachim Lux). Glücklich, dass sich so viele hierher aufgemacht haben, um an diesem Experiment einer „Doppel-Synode“ teilzunehmen und nach vorn zu denken, in die Zukunft. Gemeinsam mit Ihnen, lieber Erster Bürgermeister und lieber Herr Lux.

Leid tut´s mir also rein gar nicht, dies angezettelt zu haben - allzumal nach diesen anregenden Impulsen mit Quergedanken und Zuneigungen und Anfragen, Infragestellungen auch, von allen Seiten. Von Stadt und Kultur und eben auch zur – uns gemeinsam gestellten – Frage: Wie soll sie sein, die Stadtkultur der Zukunft? Damit sie uns zusammenhält?

Mir liegt das Thema schon lange am Herzen. Weil es so viel Potential birgt. Und zugleich durchaus ambivalent ist: Kirche und Stadt haben manchmal eben auch widersprüchliche Interessen, sind unterschiedlich aufgestellt und doch vereint in einer gemeinsamen Verantwortung für die Gesellschaft der Stadt. Auch deshalb ist es für uns von besonders großem Wert, dass Sie – lieber Olaf Scholz und Joachim Lux – , so unkompliziert und spontan zugesagt haben, den Weg zu begleiten, den wir als kirchliche Organisation in Hamburg gehen. Die ja zudem wirklich nicht leicht zu durchschauen ist…

Als evangelische Kirche sind wir ein vielfältiges und verzweigtes Gegenüber. Da ist die Diakonie mit ihren Aufgaben, da sind die Kirchenkreise, die sich heute hier zu der – historisch! –   allerersten Doppelsynode treffen und die gut 125 evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden auf dem Hamburger Stadtgebiet. Dass es trotzdem gelungen ist, sich abzustimmen und eine gemeinsame Vision für eine funktionierende Stadtgesellschaft zu entwickeln, haben wir vor allem Frank Düchting  zu verdanken. Der erste Schritt bei diesem von ihm begleiteten Prozess war  - unvergessen! - der Open Space vor einem Jahr in der HafenCity-Universität. Viele von Ihnen sind dort gewesen und haben mitdiskutiert, Themen entwickelt und nach einer Richtung gesucht. Nachgegangen ist mir dabei, dass auch viele Sorgen zu Tage traten. Sorgen über die zunehmenden Aufgaben für uns als Kirche bei gleichzeitigem Rückgang der Mitglieder – dieses Thema können wir nicht beiseite legen! Wir brauchen die Solidarität unserer Mitglieder, um Gutes für die Stadt mit voranzubringen!

Die Vorbereitungsgruppe, der ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte, hat in einem weiß Gott intensiven Diskurs unsere Rolle als Kirche in der Stadt beschrieben. Wir haben dabei bewusst die theologischen Aspekte kurz gehalten (- und über diese Entscheidung kann man durchaus streiten, lieber Herr Lux.). Gerade deswegen möchte ich an dieser Stelle deutlich machen, was insgesamt für unser Selbstverständnis wichtig ist. Denn als Kirche sind wir ja mehr als eine Organisation unter anderen, mehr als ein "Verein zur Pflege christlichen Brauchtums". Kirche, das ist die Gemeinschaft derer, die sich zu Christus bekennen und die in seiner Nachfolge leben wollen. Die dazu berufen sind, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein und der Gerechtigkeit Gottes auf die Welt zu helfen. Nichts weniger. Insofern sind wir mehr Bewegung als Verein. Mit allen Unzulänglichkeiten, mit allen Fehlern, aber auch Möglichkeiten. Weltweit vernetzt und doch in ganz unterschiedlicher Gestalt. Kirche eben… Das muss man wissen, wenn man mit uns zu tun hat. Und so haben wir versucht zu ordnen, was wir konkret in dieser Stadt daraus machen können. Sie alle haben die Erklärung, die wir heute zur Diskussion stellen, mit der Einladung erhalten. Sie liefertzum einen ein Bild, das uns intern in unserer Arbeit orientieren kann und zum anderen richtet sie eine klare Botschaft an unsere Partner.

Auch als Kirche der Reformation können wir das „kleine Format“  - wir haben diesmal nicht 95 Thesen, mit denen wir uns befassen dürfen, sondern nur 5. Das reicht auch, denn sie umreißen das Entscheidende. „Kirche und Stadt sind in ihrer politischen Verantwortung klar getrennt und zugleich aufeinander bezogen.“ Diese Einleitung der ersten These ist Grundlage des Verhältnisses, das wir miteinander haben. Dabei war es historisch betrachtet ja durchaus mühsam, wie wir uns über die Bugenhagensche Kirchenordnung von 1529, über die Verfassung von 1870 und schließlich auch die Veränderungen im 20. Jahrhundert entflochten haben, als Kirche und Stadtstaat. Heute können wir freundlich- entspannt miteinander umgehen, finde ich. Unsere Rollen sind verschieden, doch die Aufgaben und Herausforderungen sind dieselben: Das Beste zu suchen für die Stadt.

Unsere spezielle Aufgabe als Kirche ist es, so heißt es in der zweiten These, Orientierung zu bieten. Das ist eine Aufgabe, die der Staat aus guten Gründen an Religionsgemeinschaften, Parteien, Vereine, kurz: an die Zivilgesellschaft delegiert hat. Orientierung heißt dabei ja nicht, Werte vorzuschreiben. Schon als Jugendliche war für mich faszinierend und bindend, wie wir in der evangelischen Gemeinde nachdenklich, glaubend oder auch nichtglaubend Verantwortung für das Leben, auch das politische Leben!, übernommen haben. Gemeinde habe ich erlebt als Raum der Erlaubnis. Einen Lernort der Freiheit. Nirgends sonst konnte man mutig oder unmutig darüber reden, was einen existentiell angeht. Für mich war die Kirche deshalb auch der Raum, der Identität ermöglichte. Nun gut, das war auf einem Dorf in Dithmarschen – aber gilt das in der Stadt nicht genauso? Identität finden? Und zwar nicht in einer imaginären christlich-abendländischen Kultur, sondern in einer Kirche, die kritische Auseinandersetzung und Diskussion ermöglicht. Eben Orientierung, abgeleitet von Orient, die Ausrichtung auf das Morgenland – auf das Licht hin. Für diese Wahrheitssuche braucht es einen eigenen Ort, einen Lernort, der einen auf Gedankenwege nimmt. Es braucht diese Lernorte der Freiheit, in der Kita und im Religionsunterricht, in denen schon die Kinder Nächstenliebe buchstabieren und Toleranz, ja mehr noch: Akzeptanz. Gerade in einer Stadt, die geprägt ist von religiöser und kultureller Vielfalt und aktuell vor der großen Herausforderung steht, Integration voranzubringen. Die schnelle Einrichtung von Integrationskursen ist dabei unabdingbar; wie die aktuelle Diskussion zeigt. Wir müssen dafür sorgen, dass Zuwanderer unsere Werte und Regeln kennen und anerkennen. Zugleich braucht es ganz gezielt und dringend Begegnungsorte der Gegenseitigkeit. Wie die Lessingtage etwa; es lebe die lange Nacht der Weltreligionen! Aber auch in den Kirchengemeinden nehme ich wahr, wie klar sie sich hier in der Mitverantwortung sehen!  

Es geht entscheidend darum, das Gemeinwesen zusammenzuhalten, so haben wir die dritte These überschrieben. In unseren Kirchengemeinden kommt per se zusammen, was sonst auseinander driftet, in unserer Gesellschaft der Spaltungen mehr denn je: Alt und Jung, diejenigen, die Armut kennen und um Achtung ringen wie die, die in vielerlei Hinsicht vermögend sind. Wir sind seit paulinischen Zeiten, wenn man so will, trainiert, die Heterogenität zu achten und Integration zu denken – ein Leib und viele Glieder, dasBild von der Urgemeinde hat heutzutage Hochkonjunktur. Und auch hier gilt: Mehr Bewegung als Verein. Wir wollen nicht unter uns bleiben. Ökumene wird deshalb besonders großgeschrieben, in Hamburg allemal. Morgen erinnern wieder alle christlichen Kirchen in St. Petri an den Heiligen Ansgar, der vor 1200 Jahren das Evangelium in diese Stadt brachte. Und längst haben wir uns auch, bei allen Unterschieden im Glauben, interreligiös auf den Weg gemacht, im Religionsunterricht sowieso, aber auch in der Diakonie und in vielen anderen Zusammenhängen.

Zur Struktur: Auch wenn das Netz unserer Kirchengemeinden grobmaschiger wird, so bleibt es doch ein Netz, das die ganze Stadt überspannt. Die Kirchen sind vielerorts wichtige Akteure im Stadtteil. Das ist die vierte These. Und das gilt erst recht dann, wenn die Kirchengemeinden sich anderen Initiativen und Bewegungen öffnen. Wir sehen das in diesen Monaten insbesondere bei der Flüchtlingshilfe. Genau in diesem Sinne gehört Religion in die Gesellschaft und gehört die Kirche mit Gemeinden und mit Diensten und Werken  in die Sozialräume einer Stadt wie Hamburg. Tätige Nächstenliebe gehört dazu, etwa in Form von Beratungen, Obdachlosenarbeit, Kleiderkammer für die ZEA oder Gedenkgottesdiensten für Kriminalitätsopfer. Aber auch kulturelle Auseinandersetzung ist ein Thema – durch Kunst, Theater, Kirchenmusik, nicht zu vergessen Gedenkstättenarbeit – gerade jetzt in St. Jacobi die selbstkritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Letztlich geht es immer darum, dass die Kirche einen Raum bietet für all das Nichtsagbare, das Tabuisierte, das, was Mühsal macht und Bedrängnis und was Menschenrecht gefährdet. Aber auch für das, was innerlich berührt, was Sprache sucht, Hoffnung nährt, an Liebe glaubt und an Träume auch.

Und schließlich, und das ist die fünfte und letzte These, braucht es unbedingt die Zusammenarbeit auf Stadtteilebene – zwischen Kirchengemeinde, Diakonie, Zivilgesellschaft auf der einen Seite sowie Politik und Verwaltung auf der anderen Seite. Wir erleben vielfach, dass die Ressourcen weniger werden, die Aufgaben zunehmen und die Koordination oft nicht ausreicht. Auch hier ist das Flüchtlingsthema ein gutes Beispiel. Ich halte es für dringend notwendig, dass wir unsere Kapazitäten besser bündeln – immer im Bewusstsein dessen, was ich zu Anfang erwähnte: Dass wir verschiedene Rollen haben, oft aber dieselben Aufgaben.

Wenn wir gemeinsam als Kirche und Stadt einen guten Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen möchten, dann ist es unabdingbar, dass wir uns synchronisieren.

Sind Sie mal Tandem gefahren? Kennen Sie dieses Schlingern, wenn das Tempo unterschiedlich ist? Wenn Lenken und Treten nicht aufeinander abgestimmt sind und man statt vorwärts zu kommen damit beschäftigt ist, nicht aus der Bahn zu fliegen? Darum geht es hier und heute. Um gemeinsam wirken zu können, brauchen wir eine gewisse Trittsicherheit. Abstimmung. Eine gute Einteilung und also Koordination der Kräfte. Ich bin sicher, dass wir in den Zielen gar nicht weit auseinander liegen. Die menschengerechte Stadt, das gute Leben für alle in der Gesellschaft. Mit unserer Erklärung, die wir heute zur Debatte stellen, beschreiben wir, was wir als unsere Rolle und Aufgabe ansehen und welche Erwartungen wir an die Stadt, an ihre Regierung haben. Ein Versuch, Klarheit zu schaffen. Nach innen in unsere Organisation hinein und nach außen in die Stadt Hamburg. Es ist gute Synodaltradition, sich dann in den Diskurs begeben, um zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen, manchmal es gar zu erringen, und ich bin sehr gespannt auf Ihre Reaktionen, liebe Synodale. Auch deswegen, weil es ein neues und ungewohntes Format ist, dass sich zwei Synoden treffen, um über das zu reden, was sie gemeinsam betrifft.

Wie es dann weitergeht? Zunächst ist für mich diese Synode ein wichtiger Meilenstein. Denn mit dem Beschluss der Erklärung machen wir einen Aufschlag in Richtung Stadt und spielen den Ball in aller Freundschaft ins Feld von Senat und Bürgerschaft, dann aber auch die Bezirke. Wir würden uns über eine Antwort freuen. Vielleicht wäre es ja einmal eine Idee, gemeinsam mit der Bürgerschaft – wir würden da auch glatt ins Rathaus kommen, lieber Olaf Scholz, oder ins andere Theater, lieber Herr Lux, – um mit der Bürgerschaft den Dialog fortzusetzen. Warum sollten wir uns nicht Gedanken machen über ein Forum, ein Format, in dem Bürgerschaft und Synoden gemeinsam diskutieren und Gedankenräume öffnen? Einen Open Space sozusagen mit unseren beiden „Parlamenten“, Bürgerschaft und Synoden. Das wäre doch mal eine neue Form von gemeinsamer, demokratischer Verantwortung! Mich würde diese Aussicht durchaus begeistern… So aber ist´s auch schon sehr, sehr gut: die Aussicht auf Kooperation und Gespräch an diesem Abend. Ich freue mich darauf und danke für die Aufmerksamkeit.

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