21. Mai 2018 | Hesselberg

Glaube erlaubt, zu sein, wie man ist

21. Mai 2018 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu Matthäus 17,1-9 anlässlich des 67. Bayerischen Evangelischen Kirchentages

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Ihr könnt euch nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, heute diesen Gottesdienst mit euch zu feiern: Geboren hinter einer schier unüberwindlichen Mauer, aufgewachsen in der Annahme: „Um Freunde und Verwandte im Westen besuchen zu können, musst du erst Rentner werden!“– stehe ich nun vor Ihnen im 70. Jahr der Partnerschaft unserer Kirchen, und wir alle sind Bürger eines Landes! Bürgerinnen und Bürger einer freiheitlichen Gesellschaft, die sich den Menschenrechten verpflichtet weiß – und kein Schuss musste dazu abgefeuert werden!  Ein Volk, das geübt und niedergehalten war in Anpassung – dieses Volk richtete sich auf und lebte den Traum der Befreiung. Auf alles war der Staatsapparat mit Lagern und Repressalien vorbereitet gewesen, aber nicht auf Kerzen und Gebete. „Vom Herrn ist’s geschehen und ein Wunder vor unseren Augen.“ (Ps 118,3)

Die Mauer fiel. Ich entsinne den Morgen danach. Mir war, als würde ein unsichtbares, bleiernes Kleid von mir genommen – eine Last, die ich wohl oft nicht bewusst wahrgenommen, aber ein Leben lang mitgeschleppt hatte. In der Erleichterung dieses Morgens spürte ich:

Es würde vorbei sein damit, dass Lehrer Kinder in der 2. Klasse aufstehen ließen, um sie wegen ihres Glaubens an Gott auslachen zu lassen.

Es würde ein Ende haben damit, dass Eltern ihren Kindern beibrachten: „Wir denken so, aber in der Schule musst du so und so sagen.“

Niemand würde mehr Angst haben müssen, als Flüchtling an der innerdeutschen Grenze erschossen zu werden oder in jahrelanger Haft Schaden an Leib und Seele zu nehmen.

Es würde vorbei sein mit der Bespitzelung eines ganzen Volkes und dem Verbiegen von Menschen.

Was für ein Aufatmen! Bei den Friedensandachten in den überfüllten Kirchen damals, bei den ersten Demonstrationen auf den Straßen spürten wir, welche Kraft in unserem Glauben liegt: Mit Gott an unserer Seite müssen die Verhältnisse nicht bleiben, wie sie sind!

Dabei sind die Verhältnisse in Ostdeutschland ja nicht sonderlich christlich. In Mecklenburg sind wir 17% Evangelische. Die übrigen sind nicht etwa katholisch, sondern allermeist ohne Konfession. Anlässlich einer Umfrage auf dem Leipziger Hauptbahnhof wurde eine Frau gefragt: „Sind Sie Christ oder Atheist?“ Sie antwortete: „Weder noch – ich bin normal.“

Wo das so ist, stellt sich die Frage nach Orten des Glaubens mit besonderer Dringlichkeit – können sie doch auch für Menschen ihre Kraft entfalten, die auf der Suche sind nach Wahrheit, nach einem Leben, das lebendig ist. Wenn ich an meine eigene Lebensgeschichte denke, kommen mir dafür verschiedene Orte in den Sinn:

Mit großer Prägekraft: Als Kind zu erleben, dass abends vor dem Einschlafen Vater oder Mutter mit uns beteten und sangen – und wir schliefen ein mit dem Gefühl, gut behütet zu sein. Welch tiefes Vertrauen zu Gott und dem Leben können Eltern ihren Kindern mit diesem kleinen Ritual vermitteln!

Gemeinschaftserfahrungen in der Jugend: Ich hatte das Glück, in einem großen Jugendchor unserer Kantorei mitzusingen. Im Sommer wanderten wir durch die malerische mecklenburgische Landschaft, badeten in den Seen, verliebten uns, übernachteten in Pfarrscheunen. Aber am meisten bewegte uns doch, abends in den Dorfkirchen zu singen und dabei zu spüren, wie unsere Musik Menschen berührte und glücklich machte.

Oder wenn wir als Jugendliche mit den Gleichaltrigen unserer Nürnberger Partnergemeinde in Tschechien Wildwasser fuhren, dann war das natürlich zunächst einmal eine erlebnisreiche Zeit. Ich z.B. habe in Ansätzen Jodeln gelernt – auch wenn ich mich heute frage, ob nun gerade unsere fränkischen ‚Lehrmeister‘ dafür die allererste Adresse gewesen sind. Aber zum Zusammenrufen meiner Konfirmanden in belebten Innenstädten hat  mein Jodeln immer noch gereicht.

Aber bei aller Gaudi  haben diese Jugendbegegnungen uns in unserem Christsein gestärkt. Daheim galten wir als Sonderlinge, als „Ewig-Gestrige“. Bei den Nürnbergern erlebten wir echtes Interesse an der Art und Weise, wie wir unseren Glauben zu leben versuchten. Davon haben wir in unserem Alltag gezehrt.

Zu meinen Orten des Glaubens zähle ich auch Erfahrungen geschwisterlicher Verbundenheit über große Entfernungen hinweg – in der weltweiten Ökumene wie in unserer Partnerschaft: Als ich meinen Dienst in meiner ersten Gemeinde antrat, lernte ich Ingrid Knobloch aus Veitshöchheim kennen. In den vorausgehenden drei Jahren der Vakanz war sie durch zahllose Briefe und viele Besuche eine echte Stütze der Gemeinde gewesen – und sie besucht die Leute dort bis heute! Und wenn ich bei unseren Begegnungen auf Leitungs-Ebene spüre, dass Ihr wirklich interessiert seid an unseren Versuchen, Kirche zu gestalten, dann gibt das Kraft.

Laufe ich Gefahr, meine Erinnerungen zu verklären? Mag sein. Aber deswegen die Momente unter Generalverdacht stellen, in denen Gott unser Leben berührt hat, in denen wir etwas gespürt haben von seiner Nähe und Kraft? Das will  ich nicht. Ich will Zuversicht schöpfen aus diesen Momenten, diesen Orten in der Zeit, da der Himmel uns nah ist. So wie es Jesus getan hat. Er war sich klar darüber geworden, dass sein Weg ins Leiden führen würde. Er sagte das auch seinen Jüngern, rief sie in seine Nachfolge und suchte sie zu stärken für das, was nun kommen würde. Matthäus berichtet davon so:

„Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!
Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“                                                                    
(Matthäus 17,1-9)

Lassen wir diesen Text für eine kurze Zeit in uns nachklingen und den Kanon singen „Sende deinen Geist aus“!

Singen des Kanons

Ein Gipfelerlebnis für Jesus:

Mose und Elia –
die großen Gestalten Israels,
erfahren mit dem Anspruch Gottes auf unser Leben,
erfahren im Leiden –
diese beiden weisen Jesus ein,
bereiten ihn vor,
stärken ihn für seinen Weg ans Kreuz.
Gott selbst bekennt sich zu seinem Sohn.
Der Geist der Ermutigung ist lebendig.
Dieser Berg, diese Begegnung –
ein Ort zum Vertrauenfassen,
ein Ort des Glaubens.

Ein Gipfelerlebnis war es auch für die drei Jünger:
Leuchtend ihr Meister,
die Großen der Tradition im vertraulichen Gespräch mit Jesus,
der Himmel so nah!
Da möchte man das Besondere festhalten,
auf Dauer stellen,
am liebsten Hütten bauen…

Menschlich ist das.
Wir kennen es –
wollen festhalten in Kirche und Gesellschaft an dem,
was wir als bewährt erlebt haben,
was uns vertraut ist.
Das hat sein gutes Recht –
solange es nicht dem Ruf Gottes im Weg ist.

Denn manchmal weist dieser Ruf
einzig auf eins hin, das nottut –
auf Jesus, den Christus: „Den sollt ihr hören!“
Ruf, der herausruft aus den Heimatstuben unserer Gewohnheit,
Ruf, der zu Aufbruch und Neubeginn ermuntert,
eine Stimme, die weiß:
Der Ort aller Orte des Glaubens ist unser Weg zu Gott  –
ein Weg mit Rastplätzen und Quellen der Kraft, gewiss,
aber eben auch ein Weg, der gegangen sein will.

Die Geschichte von Jesu Verklärung ist eben nicht mit dem Gipfelerlebnis zu Ende. Sie führt auf den Weg vom Berg hinab. Dahin werden wir gesandt, wo wir unsere Aufgaben haben, mitten im Leben. Dahin, wo es Jesus nachzufolgen gilt, werden wir geführt – und erfahren dabei: Orte des Glaubens sind auch jene Situationen, in denen wir unseren Glauben zu bewähren haben:

Vielleicht nicht so wie bei meiner Einschulung, als mein Vater zu mir sagte: „Nutze deine Gaben! Sie sollen nicht denken, dass wir  an Gott glauben, weil wir dumm sind.“ Mit diesem Auftrag und einer zum Glück großen Schultüte zog ich los… Die Verhältnisse sind heute anders, Gott sei Dank! Und doch gibt es vermutlich auch in eurem Alltag immer wieder Situationen, wo es gut ist, nicht zu verschweigen, woran du glaubst, wo es vielleicht auch ein wenig Mut braucht, von dem zu reden, was deinem Leben Kraft gibt. Und sei es, dass deine Kinder und Enkel an dir erleben: Vater betet! Großmutter ist ihr Glaube wichtig.

Unser Glaube hat sich zu bewähren, wenn Gerüchte und Fake News nach Aufmerksamkeit gieren. Dann gilt es, zu prüfen, was Fakt ist, und für die Wahrheit einzutreten. Denn: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden!“

Er hat sich zu bewähren, wenn Wahlkämpfer – welcher Partei auch immer – Ängste schüren und Ressentiments verstärken gegen Menschen, die anders sind. Dann gehört es zu unserer Verantwortung, deutlich zu machen: „Nicht in meinem Namen!“ – ob am Stammtisch oder in der Wahlkabine. Denn auf Jesus sollen wir hören, der uns gelehrt hat, im Fremden die Schwester, den Bruder zu entdecken.

Unser Gottvertrauen ist gefragt, wenn das Leben in ländlichen Räumen immer schwieriger wird – als Mecklenburger können wir ein Lied davon singen: In strukturschwachen Regionen zusammenzuhalten; einander beizustehen, wenn es heftig kommt; Bilder einer lebenswerten Zukunft zu entwickeln, die von sorgenden Gemeinschaften getragen werden – das kann gelingen! Gott stärkt uns den Rücken dabei.

Unser Glaube hat sich zu bewähren, wenn das Interesse an Gott abnimmt. Im Leben einer Kirchengemeinde kann etwas erkennbar werden von der Zuneigung Gottes! Menschen nehmen an einer Gemeinde sehr wohl wahr, wenn auch nach außen hin transparent wird:

Hier lebt eine Gemeinschaft.
Da ist ein guter Geist am Werk.
Wie die da miteinander umgehen – das wünscht man sich eigentlich auch.
Es sind Menschen, die lassen sich berühren von Not und Leid anderer Leute.
Sie schauen nicht weg, flüchten nicht in Betäubung.
Da werden die wichtigen Fragen gestellt – nach dem Sinn des Lebens, was die Liebe gelingen lässt, und was sein wird, wenn scheinbar alles aus ist.
Ihre Hoffnung hat langen Atem und ist stark.
Und ihr Glaube erlaubt, zu sein, wie man ist.

Gipfelerlebnisse sind wichtig. Wir leben von diesen göttlichen Momenten. Sie bewegen, nehmen uns mit auf den Weg – dahin, wo Gott uns heute braucht, auf den Weg zu ihm selbst. Wir haben guten Grund, seiner Führung zu vertrauen – auch dann, wenn seine Wege uns ungewohnt sind, nämlich neu.
Amen.

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