Hamburg erinnert an die Ermordung Behinderter in der NS-Zeit
15. Januar 2014
Hamburg. Mehr als 3.000 behinderte oder psychisch kranke Menschen aus Hamburg sind zwischen 1940 und 1945 durch Giftgas, Medikamente oder Unterversorgung ermordet worden. Im Hamburger Rathaus eröffnet die Ausstellung "Euthanasie", die an die Opfer erinnert. Zahlreiche Veranstaltungen begleiten die Ausstellung, die bis zum 7. Februar zu sehen ist.
Insgesamt wurden in der NS-Zeit bis zu 300.000 Menschen Opfer des Euthanasie-Mordprogramms. Sie galten als "psychisch krank", "behindert", "asozial", "minderwertig" oder "gefährlich". Erster Schritt war 1933 ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das Zwangssterilisationen ermöglichte. Mehr als 35.000 Menschen wurden dazu in Hamburg erfasst - ohne die bis 1937 selbstständigen Städte Wandsbek, Altona und Harburg-Wilhelmsburg. In 15.816 Fällen ordnete das Gericht die Sterilisation an.
629 behinderte Menschen wurden aus den "Alsterdorfer Anstalten" deportiert
Eine unrühmliche Rolle spielten die damaligen "Alsterdorfer Anstalten": 1937 verweigerten sie erstmals die Aufnahme eines jüdischen Kindes. 1938 verlegten sie ihre jüdischen Bewohner in staatliche Heime. Im August 1943 wurde ein Großteil der "Alsterdorfer Anstalten" geräumt, um Platz für Ausgebombte und Zwangsarbeiter zu schaffen. 629 körperlich und geistig behinderte Menschen wurden deportiert, 550 von ihnen wurden in den Vernichtungslagern getötet.
Ähnlich erging es Bewohnern der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, der heutigen Asklepios-Klinik Nord in Ochsenzoll. Im September 1940 wurden 153 jüdische Männer und Frauen aus Langenhorn nach Brandenburg (Havel) abtransportiert und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft durch Giftgas ermordet. Gut ein Jahr später wurden 203 Männer und Frauen in die Gauheilanstalt Tiegenhof im heutigen Polen abtransportiert, wo sie durch Aushungern oder mit Medikamenten ermordet wurden.
Ermordung durch Aushungern oder mit Medikamenten
Besondere Grausamkeit zeigt die Ermordung behinderter Kinder. Anfang 1941 nahm die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn erstmals Säuglinge und Kleinkinder auf. Mehr als 50 Kinder der "Kinderfachabteilung" Langenhorn wurden für das Euthanasie-Programm gemeldet. Von ihnen wurden 22 in Langenhorn getötet. 32 Kinder wurden, meist auf Verlangen ihrer Eltern, entlassen. Fast alle übrigen Kinder kamen in anderen Anstalten um. Im Krankenhaus Rothenburgsort wurden 56 Säuglinge und Kleinkinder ermordet.
Verantwortlichen Ärzte konnten ihre Karriere nach Kriegsende fortsetzen
Es sei beschämend, wie über den staatlich organisierten Massenmord viele Jahrzehnte lang geschwiegen worden sei, schreibt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) zur Rathaus-Ausstellung, die von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme entwickelt wurde. Die verantwortlichen Ärzte und Verwaltungsbeamten konnten ihre Karriere nach Kriegsende nahezu bruchlos fortsetzen. Anders als etwa jüdische Opfer wurden die Patienten noch bis in die 70er Jahre nicht als NS-Opfer wahrgenommen oder gar entschädigt. Die Ev. Stiftung Alsterdorf und die Asklepios-Klinik haben mittlerweile ihre Geschichte selbstkritisch aufgearbeitet.
Selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte
Zahlreiche Veranstaltungen in den Stadtteilen erinnern in den kommenden Wochen an die Rolle der medizinischen Einrichtungen vor Ort. So werden Rundgänge zum ehemaligen Krankenhaus Rothenburgsort angeboten. Angehörige von Euthanasie-Opfern berichten über ihre Erfahrungen. Die Bezirksversammlung Altona erinnert am 24. Januar an die Opfer der "Irrenanstalt" Norderstraße (heute Virchowstraße).
Info
Eröffnung der Ausstellung im Hamburger Rathaus: Freitag, 17. Januar 2014, 11:00 Uhr
<link http: u.epd.de link-extern>Veranstaltungen der Hamburger Bürgerschaft zum Thema
<link http: www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de _blank link-extern>www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de