8. September 2019 | Kirche Tessin

Hefata - tu dich auf!

08. September 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

12. Sonntag nach Trinitatis, Predigt Regionalgottesdienst zu Mk 7, 31-37

Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.

I

Wunderbares geschieht.
Einem, dem zuvor Ohren und Mund verschlossen waren,
werden Ohren und Mund geöffnet.
Einer, der taub war und stammelte,
kann jetzt hören und sprechen.
Ein wundervolles Geschehen.
So voll der Wunder, dass die, die es miterleben,
nur noch wenige Worte sagen:
„Er hat alles wohl gemacht.“

Doch das Wundervolle, das hier geschieht,
passiert nicht einfach so.
Einer muss kommen, dem zugetraut wird,
dass er etwas bewirken kann.
Und dieser eine, Jesus,
hat dann auch vieles zu tun.
Leistet sozusagen ganze Arbeit:
Legt seine Finger in die Ohren des Anderen.
Spuckt aus.
Berührt die Zunge des Anderen.
Sieht zum Himmel,
Seufzt.
Und sagt etwas.
Ein Wort nur, aber ein wichtiges, ein gewichtiges Wort,
ein Schlüsselwort, ein aufschließendes Wort:
Hefata - tu dich auf!

II

Und Jesus nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 

Diese und andere Wundergeschichten der Bibel kann man unterschiedlich hören und verstehen:
Als Berichte über das Heil,
das mit Jesus in die Welt und zu uns Menschen gekommen ist.
Ein umfassendes Heil,
das an Leib und Seele erfahrbar wird.
Mit sichtbaren, geradezu körperlichen Folgen.
Als Erzählungen, die vor allem sagen wollen,
wie mächtig Jesus gewirkt hat und bis heute wirkt.
Als Geschichten, die uns bis heute daran erinnern
und darauf hoffen lassen,
dass die Grenzen unserer menschlichen Fähigkeiten
nicht die Grenzen von Gottes Möglichkeiten sind.

Wie immer wir auf diese und andere Wundergeschichten hören –
in dieser Geschichte geht es darum,
dass dabei in mehrfacher Hinsicht Öffnung geschieht.
Auf der körperlichen Ebene
sind davon Ohren und Mund betroffen.
Einem werde die Ohren geöffnet
und er kann hören:
Hören auf den Gesang der Vögel,
auf das Rauschen der Bäume,
auf das Schlagen der Wellen am Strand.
Hören auf Musik und auf Worte.
Hören auf das, was andere sagen.
Die eigene Welt wird so in neuer Weise weit.
Denn die eigene Welt wird weit,
indem wir auf das hören,
was um uns herum geschieht.
Wenn andere uns erzählen,
was ihnen wichtig ist,
was sie glücklich macht oder traurig und besorgt.
Wenn wir auf Worte hören,
die uns eine neue Welt erschließen.
Eine Rede, die uns aufrüttelt.
Ein Bericht, der uns nachdenklich macht.
Ein Bibeltext, der uns berührt.

Wer hören kann,
vermag sich all dem nicht mehr zu verschließen.
Kann sich vielleicht weigern,
das was gesagt wird,
wichtig zu finden oder ernst zu nehmen.
Aber hat es dennoch gehört.
Und kann sich nicht mehr verschließen.
Kann vielleicht so tun,
also ob er, als ob sie es nicht gehört oder überhört hat.
Aber hat es dennoch gehört.
Und kann sich nicht mehr verschließen.

Neben den Ohren wird auch der Mund geöffnet.
Aus einem unverständlichen Stammeln werden verständliche Worte.
Worte, mit denen man sagen kann,
wie man fühlt und was man denkt.
Worte, mit denen Position bezogen werden kann.
Worte, mit denen man trösten oder Partei ergreifen kann.
Worte, mit denen man im Gespräch
und im Kontakt mit anderen ist.
Und wem einmal der Mund geöffnet ist,
der wird ihn sich nur noch schwer verbieten lassen.
Sondern wird sagen, was zu sagen ist.

Mit offenen Ohren
wird unsere eigene Welt weiter und größer.
Und mit offenen Worten
machen wir die Welt anderer weiter und größer.

III

Ohren und Mund werden geöffnet.
Öffnung geschieht.
Unsere eigene Welt und die anderer
wird weiter und größer und vollständiger.
In der Bibel geschieht das
durch die Aufmerksamkeit und Zuwendung Jesu.
Er macht damit deutlich:
„Deine Worte wollen gehört werden.
Deine Sicht der Dinge ist wichtig.
Du bist wichtig.
Es ist wichtig und gewollt,
dass du selbst von anderen hörst.
Dass du dir ein Bild machst.
Dass du nicht nur auf deine eigenen Worte hörst,
sondern auch die der Anderen.“

So ist diese Heilungsgeschichte
eine der vielen Geschichten des Wunders
der Liebe Gottes zu uns Menschen.
Und zugleich ist sie eine Geschichte über das Wundervolle,
das geschieht, wenn Gottes Liebe uns Ohren und Mund öffnet.
Denn wenn wir mit offenen Ohren durch diese Welt gehen,
einander begegnen
und als Gottes geliebte Geschöpfe aufeinander hören,
kann Wundervolles geschehen.
Wenn wir einander mit offenen Worten erzählen,
was uns wichtig ist.
Für uns selbst. Für unser Miteinander.
Und dabei einander mit offenen Ohren zuhören.
Denn offene Ohren und offene Worte,
die sorgen für ein gutes Miteinander.
Zu Hause, in der Familie, im Freundeskreis.
In der Gemeinde.
Und auch zwischen Gemeinden.
So wie hier in der Region,
wo Sie in guter Kooperation und Absprache miteinander Kirche sind.
Heute zum Beispiel diesen regionalen Gottesdienst miteinander feiern,
der eine kleine und feine Tradition geworden ist.
Ein Beispiel dafür,
wie man gemeinsam stärker sein kann als allein.
Genau wie die Musikgruppen, die Jungbläsergruppe
und – natürlich! – der Chor,
der aus der ganzen Region zusammengesetzt ist
und heute hier zum ersten Mal gemeinsam im Gottesdienst singt.
Wie schön – welche Freude und Ehre!
Gemeinsam sind Sie als Gemeinden in dieser Region
für die Menschen in dieser Region da.
Und auch für die, die nur vorübergehend da sind –
im Urlaub, auf der Durchreise, zu Besuch.

Gemeinsam erzählen Sie in dieser Region
von Gott und seiner frohen Botschaft.
Dazu braucht es offene Ohren und offene Worte.
Damit Sie sich gut darüber verständigen können,
was jeweils an welchem Ort, in welcher Situation,
in welchem Teil der Gemeinde wichtig und notwendig ist.
Damit Sie dazu aufmerksam miteinander im Gespräch sind.
Und wohl überlegte Entscheidungen treffen,
die für die einzelnen Gemeinden
und die ganze Region gut und sinnvoll sind.
Offene Ohren und offene Worte –
ich denke: die haben und die finden Sie hier füreinander –
wie gut!
Offene Ohren und offene Worte,
weil Sie einander und alle Menschen
als Geschöpfe Gottes ansehen,
denen gleichermaßen Gottes Liebe gilt.

IV
Hefata! -Tu dich auf!
Die Öffnung, um die es in der Wundergeschichte der Bibel geht,
ist alles andere als eine private Angelegenheit.
Sie geschieht öffentlich – alle sehen, was passiert.
Und weil sie geschieht,
kann einer am gemeinsamen, am öffentlichen Leben teilnehmen.
Kann hören und reden und fortan tun,
was auch der getan hat, der ihm Ohren und Mund öffnet.
Kann dem Auftrag folgen,
dem auch Jesus selbst gefolgt ist.
Die Bibel beschreibt diesen Auftrag so:
„Tu deinen Mund auf für die Stummen
und für die Sache aller, die verlassen sind.
Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit
und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“

Wer mit offenen Augen und Ohren durch diese Welt geht,
kann gar nicht anders, als seinen, als ihren Mund auftun.
Für die, die nicht gesehen werden.
Für die, die nicht gehört werden.
Für die, denen ihr Elend, ihr Leid
schon längst die Sprache verschlagen hat.
Für die, die zuweilen noch nicht in Worte fassen können,
was ihnen das Leben schwer macht.
Für sie den Mund aufzutun,
sich für sie einzusetzen,
mit Worten und Taten,
das gehört zur öffentlichen Verantwortung von Christenmenschen.
Sie tun das hier in der Region:
Sie engagieren sich für Menschen in Not –
für Geflüchtete, für Bedürftige, für Obdachlose.
Sie begleiten Menschen,
denen etwas schwer auf der Seele liegt,
die einen Verlust erleben mussten und trauern
oder die aus anderen Gründen
eine schwere und belastende Zeit durchleben.
Und Sie tun das auch,
indem Sie über diese Region hinausblicken:
zum Beispiel im Engagement für Kinder in Nairobi,
der Unterstützung von fairem Handel
mit den Initiativen der Eine-Welt-Läden
oder dem Einsatz für die Bewahrung unserer Schöpfung
mit der Freiwilligenarbeit im ökologischen Jahr.
So vieles wäre noch aufzuzählen.
So vieles, was in der Nachfolge des biblischen Auftrages geschieht:
„Tu deinen Mund auf für die Stummen
und für die Sache aller, die verlassen sind.
Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit
und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“

V
Hefata! -Tu dich auf!
Wunderbares geschieht.
Einem, dem zuvor Ohren und Mund verschlossen waren,
werden Ohren und Mund geöffnet.
Viele, die mit offenen Ohren und Augen
durch diese Welt gehen,
öffnen Herz und Hand für die,
die ihre Unterstützung brauchen.
Finden offene Worte,
um denen beizustehen und sich für die einzusetzen,
die unsere Hilfe nötig haben.
Damit Not sich wendet.

In der evangelischen Kirche in unserem Land
wird in diesen Tagen
zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen
überlegt und beraten,
ein Schiff zu schicken.
Ein Schiff zu schicken,
das Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet.
Das würde nicht alle Fragen und Probleme
und schon gar keine politischen Konflikte lösen.
Es würde auch nicht alle Menschen retten können.
Aber wenigstens einige.
Und es könnte ein Zeichen,
ein Beispiel sein:
Exemplarisches Handeln,
das deutlich macht, was es bedeuten kann,
wenn man offene Ohren, offene Augen und offene Herzen hat:
„Tu deinen Mund auf für die Stummen
und für die Sache aller, die verlassen sind.
Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit
und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“
Mögen die Beratungen und Überlegungen
zu einem guten und weisen Beschluss kommen.

Und wer weiß –
vielleicht werden die Worte der wundervollen Heilungsgeschichte
auch in diesen Tagen wahr:
„Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen:
Er hat alles wohl gemacht;
die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.“

Amen.

 

 

 

 

 

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