Vor 30 Jahren: Protest gegen Nato-Doppelbeschluss

Höhepunkt der Friedensdemonstrationen - "Eine unglaubliche Stimmung"

Friedensdemonstration während des 20. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hannover im Juni 1983. Das Thema des Kirchentages lautete "Umkehr zum Leben".
Friedensdemonstration während des 20. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hannover im Juni 1983. Das Thema des Kirchentages lautete "Umkehr zum Leben".© epd-bild / Norbert Neetz

14. Oktober 2013 von Simone Viere

Hamburg. Es war die große Zeit der Friedensbewegung: Weiße Tauben, lila Halstücher auf dem Kirchentag, Ostermärsche. Am 22. Oktober 1983 schließlich demonstrieren in Hamburg, Bonn und Mutlangen rund 1,3 Millionen Deutsche gegen das atomare Wettrüsten.

"Ganz Hamburg war voller Menschen, überall Fahnen und Sprechchöre, da herrschte eine unglaubliche Stimmung." Jürgen Ehlen erinnert sich noch gut, wenn er an die Großdemonstration vom 22. Oktober 1983 gegen den NATO-Doppelbeschluss denkt. Der heute 59-jährige Lehrer war aus dem niedersächsischen Rotenburg mit einem von rund 40 Sonderzügen der Bahn gekommen. "Schon am Bahnhof war alles verstopft, an der Alster ging es dann gar nicht mehr weiter, und den Rathausmarkt, wo die Abschlusskundgebung lief, haben wir gar nicht mehr erreicht."

400.000 Menschen gingen am 22. Oktober in Hamburg auf die Straße 

Der 22. Oktober vor 30 Jahren war der Höhepunkt der Proteste gegen die Stationierung von atomar bestückten Mittelstreckenraketen in Europa: Etwa 400.000 Menschen demonstrierten in Hamburg, rund 500.000 umzingelten symbolisch das Regierungsviertel in Bonn, Hunderttausende formierten sich zwischen Stuttgart und Neu-Ulm zu einer mehr als 100 Kilometer langen Menschenkette.

Es war die Zeit des atomaren Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion. Ab 1977 modernisierte die UdSSR ihre Systeme mit SS-20-Raketen - Mittelstreckenraketen zum Transport von nuklearen Sprengköpfen. Daraufhin fasste die NATO im Dezember 1979 den sogenannten Doppelbeschluss: Er enthielt ein Angebot an Moskau zu Abrüstungsverhandlungen und baute gleichzeitig eine Drohkulisse auf: Bei einem Scheitern der Gespräche sollten knapp 600 atomwaffenfähige Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa stationiert werden.

Reale Angst vor einem Atomkrieg

"Viele Menschen hatten damals Angst vor einem Atomkrieg", sagt Ehlen. "Die Bedrohung empfanden wir als ganz real, die war nicht nur abstrakt." Die westdeutsche Friedensbewegung erstarkte innerhalb weniger Monate und wurde zur Massenbewegung. In zahllosen Städten entstanden neue Initiativen. Die Ostermärsche erreichten Rekordbeteiligungen mit hunderttausenden Menschen. Dabei wurde auch bald das Motto der DDR-Friedensbewegung aufgegriffen: "Schwerter zu Pflugscharen".

Gewerkschaften und Umweltverbände schlossen sich den Protesten an. Die Deutschen Evangelischen Kirchentage 1981 in Hamburg und 1983 in Hannover wurden zu Manifestationen gegen den Krieg. Der Hannoveraner Kirchentag war geprägt von zehntausenden lila Tüchern und dem Motto: "Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen".

Evangelische Kirchentage wurden zu Manifestationen gegen den Krieg

Im baden-württembergischen US-Stützpunkt Mutlangen, einem der vorgesehenen Stationierungsorte für die Pershing II, versperrten Demonstranten im Sommer 1983 immer wieder die Zufahrten. Künstler und Politiker beteiligten sich an einer vierwöchigen "Prominenten-Blockade", die Bilder davon gingen um die Welt: Der Schriftsteller Heinrich Böll mit Gehstock und Baskenmütze, sein Kollege Günter Grass mit Pfeife am Kasernentor, Rhetorik-Professor Walter Jens verliest ein Manifest, die Grüne Petra Kelly trägt einen Stahlhelm, in dessen Tarnnetz Blumen stecken.

Doch am 22. November 1983, einen Monat nach den Massendemonstrationen, billigt das Parlament den NATO-Doppelbeschluss und erlaubt die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern. "Die demonstrieren, wir regieren", sagt Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Drei Tage später treffen die ersten Raketen in Mutlangen ein. Moskau reagiert mit dem Abbruch der ohnehin stagnierenden Verhandlungen und der Aufstellung neuer Kurzstreckenraketen.

Was NATO-Doppelbeschluss und Massenproteste nicht erreichten, gelang durch den Führungswechsel in der Sowjetunion: Nachdem Michail Gorbatschow KPdSU-Parteichef geworden war, einigten sich NATO und Warschauer Pakt im Verlauf des Jahres 1987 auf den völligen Abbau der nuklearen Mittelstreckenraketen.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation hatte auch die Friedensbewegung ihren Höhepunkt überschritten. Proteste etwa gegen deutsche Rüstungsexporte oder Auslandseinsätze der Bundeswehr sind bis heute verhalten.

Friedensbewegung  - gesundes Misstrauen gegen Krieg und Militär

Viele Strukturen der Bewegung aber sind geblieben, bei den Ostermärschen gehen immer noch Tausende auf die Straße. "Bei allen Rückschlägen wie der fatalen Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg trägt die Friedensbewegung mit Wortmeldungen und Aktionen immer noch stark zu einem gesunden Misstrauen gegen Krieg und Militär in unserer Gesellschaft bei", urteilt Manni Stenner vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative.

Etwas bewirkt haben die großen Demonstrationen in Hamburg, Bonn und Mutlangen aber auch bei den damals Beteiligten: "Mich hat das alles sehr geprägt", sagt Jürgen Ehlen. "Und ich weiß, dass das vielen anderen Leuten auch so geht." Als die USA und ihre Verbündeten Anfang 1991 in den Irak einmarschierten und acht Jahre später auch deutsche Kampfflugzeuge im Kosovo-Krieg Angriffe auf Jugoslawien flogen, ging Ehlen wieder auf die Straße: "Mit derselben Friedensfahne, die auch 1983 schon in Hamburg dabei war."

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