22. April 2019 | Hauptkirche St. Michaelis

Hoffnung verwandelt

22. April 2019 von Kirsten Fehrs

Ostermontag, Predigt zu Jesaja 25,6-9

„Nachts, im Mondschein, lag auf einem Blatt ein kleines Ei.“ – Kennen Sie diese Geschichte, liebe Gemeinde, die so schön österlich beginnt? Vielleicht gehören Sie zu denen, die das fast auswendig weitersprechen können, weil Sie’s so oft den Kindern oder Enkeln vorgelesen haben. Oder weil‘s Ihnen selbst aus Kindertagen bekannt ist?

„Nachts, im Mondschein, lag auf einem Blatt ein kleines Ei. Und als an einem schönen Sonntagmorgen die Sonne aufging, hell und warm, da schlüpfte aus dem Ei – knack – eine kleine hungrige Raupe.“ Die kleine Raupe Nimmersatt.

Ein wunderbares Kinderbuch vom Großwerden und Sattwerden. Ein Buch vom Essen und von der Verwandlung der hungrigsten Raupe aller Zeiten in einen wunderschönen Schmetterling. Einen österlicheren Kommentar zu unserem Predigttext heute gibt‘s kaum.

Hören wir also noch einmal hinein, nein, besser: Genießen wir, wie der Prophet Jesaja sich das perfekte Leben vorstellt, wenn einmal alles gut ist:

„Der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat‘s gesagt.

Zu der Zeit wird man sagen: ,Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.‘“

Wenn das keine Osterfanfare ist! Erfüllte Hoffnung, Völkerfrieden, Jubel! Kein Leid und keine Tränen mehr. Und dazu dann, was Leib und Seele zusammenhält: Ein fettes Mahl. Ein Gelage geradezu. Wein. Gesang! Denn, natürlich wird gesungen.

Üppig und fröhlich, so wie wir‘s gerade in Mozarts „Te Deum“ gehört haben. Das übrigens endet fast wörtlich genauso wie der Predigttext:

„Auf dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.“ – „Siehe, das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.“

Das ist nicht nur „ein bisschen“ Leben, ein bisschen Frieden. Nicht nur: Ja, es geht ganz gut. Nein, das ist Leben in Hülle und Fülle. Begeisterung und Überschwang. Da wird man schon vom Hören mehr als satt. Aus dem Vollen schöpfen kann man da und das Leben genießen.

Wie die kleine Raupe. Nicht montags ein Apfel und mittwochs drei Pflaumen, sondern Leben wie am Sonnabend: Da „fraß sie sich durch ein Stück Schokoladenkuchen, eine Eiswaffel, eine saure Gurke, eine Scheibe Käse, ein Stück Wurst, einen Lolli, ein Stück Früchtebrot, ein Würstchen, ein Törtchen und ein Stück Melone. An diesem Tag hatte sie Bauchschmerzen.“ Leben, bis man nicht mehr kann. Ein fettes Mahl. Bis man richtig voll ist. Lebenssatt.

Bei Jesaja, das ist das Schöne, sitzt Gott mit uns am Tisch. Er lädt uns ein, der große Gastgeber unseres Lebens. Er isst mit, trinkt mit – Jesaja macht deutlich: Gott kann das auch: genießen. Diesen Festschmaus am Ende aller Tage lässt auch er sich nicht entgehen.

Gott selbst ist anscheinend – verzeihen Sie bitte den etwas respektlosen Ton, aber dieser schöne, genussvolle Predigttext legt es einfach nahe – Gott selbst ist anscheinend besonders unersättlich: „Er wird den Tod verschlingen.“ Hier geht‘s nicht um Tischmanieren. Nicht „besiegen“ wird er den Tod, nicht „überwinden“, nicht „vernichten“. Er wird ihn „verschlingen“. Ganz und gar. Mit Haut und Haaren. Nichts bleibt übrig. Es wird dann sein, als hätte es ihn nie gegeben.

Das Unbekömmliche, der Tod, der das Leben hindern will, all das Lebensfeindliche wird einfach nicht mehr da sein. Aber das geht nicht ohne Leibschmerz und Seelenqual, selbst bei Gott. Wahrer Mensch, der er ist, kann Gott den Tod nicht vernichten, ohne selbst schadlos zu bleiben. Er hat einen Preis gezahlt und gelitten, schmerzvoll gelitten, das hat der Karfreitag gerade erst wieder eindrücklich vor Augen geführt.

Und dann merken wir, die wir nun noch nicht in der ganz neuen, strahlenden, üppigen Welt des Jesaja leben, sondern in unserer Welt: Es geht eben nicht einfach, vom Karfreitag ins Osterfest zu springen, von der Traurigkeit ins Feiern. Irgendwie – es hilft ja nichts – braucht‘s einen Weg, einen Weg nach Emmaus, um den tiefen Widerspruch zu akzeptieren, dass einerseits Leid und Tod nicht mehr sein sollen, es aber andererseits so viel Schmerz zu betrauern gibt und Angst und Not.

So sind wir doch alle erschüttert und erschrocken von den Bombenangriffen auf Hotels und Kirchen in Sri Lanka. So viele Menschen starben dabei, gestern am Ostermorgen. Mit großer Trauer gedenken wir der Opfer und bitten Dich, Gott österlicher Hoffnung, verwandle die Trauer in Widerstand gegen den Tod. Lass unsere Tränen die Flammen des Hasses löschen, lass uns aufstehen gegen die Gewalt und gegen den Terror. Du hast uns auf den Weg des Friedens gerufen, und alle Gewalt der Welt, ob in Sri Lanka oder in Syrien oder in Libyen zeigt uns: Dein Weg ist der richtige Weg. Es ist richtig, gegen den Hass die Liebe zu setzen. Es ist richtig, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist richtig, achtsam mit Deiner Schöpfung umzugehen und ihre Güter mit anderen zu teilen – auch wenn das nicht immer gelingt.

Denn, ja, wir haben Verantwortung zu übernehmen und der Realität des Lebens – und manchmal auch des Todes – ins Auge zu sehen. Wir singen das österliche Halleluja ja nicht jenseits dieser Welt! Sondern in ihr. Gerade heute. Laut und vernehmlich, mit der klaren Botschaft: Ostern ist ein Fest gegen die Angst!

Denn Angst – sie entsteht aus Enge, Herzensenge und Gedankenenge. Christus aber hat die Enge des Grabes hinter sich gelassen und ist auferstanden in die Weite des Lebens hinein. „In der Welt habt ihr Angst,“ so sagt Christus es in seinen Abschiedsreden österlicher denn je „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Damit ihr Frieden habt.“

Das ist unsere Hoffnung, liebe Gemeinde! Die Überwindung jeder Lebensfeindlichkeit. Deshalb diese Vision des Jesaja zum Osterfest. Deshalb dieses genussreiche Festmahl, an dem alle satt werden dürfen! Diese Zukunft lässt uns neu auf das Jetzt schauen. Auf unseren Lebenshunger. Unsere Friedenshoffnung. Keine Angst, sagt Jesaja damit, leben wir‘s, das Leben. Gemeinsam!

Manchmal scheint es mir, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Gottes Verheißungen uns erreichen. Und doch sehne ich mich nach dem Moment, an dem wir sagen können: Jetzt wird gefeiert. Auf der ganzen Welt. Armut, Kriminalität, Hass und Terror sind überwunden. Keine Tränen mehr, keine Trauer und Einsamkeit. Nein, alle sitzen wir wie bei einem großen Abendmahl zusammen am Tisch. Alle. Dieses kleine Wörtchen ist die eigentliche Pointe im Predigttext: Alle Völker werden auf dem Berg Zion zusammenkommen und das Leben feiern. Auch die Feinde, von denen Israel bislang immer geglaubt hatte, dass Gott sie Seite an Seite mit seinem Volk bekämpft. All diese Feindschaften sind aufgehoben. Grenzen trennen nicht mehr. Niemand schaut auf irgendwen herab. Alle sind Tischnachbarn und freuen sich über das heile, erfüllende Leben. Frieden und Freude. Und meinetwegen auch Eierkuchen! Zum Sattwerden halt.

Nicht von dieser Welt, sagen Sie? Aber ja doch – ich hab‘s gesehen, und zwar kürzlich beim Empfang der 74. Einbürgerungszeremonie des Kreises Pinneberg in Elmshorn. Und was ich sah, war ein wunderbarer Völkerfrieden! 69 Menschen allen Alters aus 20 Nationen wurden vom Landrat feierlich mit Urkunde begrüßt. Alle 14 Bürgermeister und Stadtpräsidentinnen waren da, um die neuen Bürgerinnen und Bürger je in ihren Gemeinden mit einem Begrüßungsgeschenk willkommen zu heißen. Das war ganz großes Kino der Gefühle. Der Festsaal war proppenvoll – auch dank des Anhangs der Neubürger: Familien, Freunde, Partnerinnen, Hunde … Natürlich wurde auch gesungen: Eine rappende Berufsschullehrerband – „Not so bad“ hieß sie – rockte den Saal mit dem Beatles-Klassiker: „With a little help from my friends“.

Sehr passend, denn das Besondere war diesmal: Von den 69 Neubürgerinnen waren 38 Briten. Very british – mit lauter Namen wie Meredith Moothworth und Alister Couthelstonehall, großartig. „Sie haben noch rechtzeitig ,rübergemacht‘“, flüstert man mir rechts und links zu, vertraute Nachbarn durchaus, man kennt die Engländer schließlich seit Jahren, z. B. als Gärtner von der Arbeit in der Baumschule.

Hinterher im Gespräch mit den Briten war‘s dann auch ernst. Ganze Familien würden sich wegen des Brexit zerstreiten, sagte einer. Laut Statistik seien schon 1,6 Millionen Beziehungen zu Bruch gegangen. Er käme aus Durham, dort im Norden Englands ist das Ganze noch viel „brexitischer“ als in London – und mit diesem Tag seiner Einbürgerung wäre er den väterlichen Teil seiner Verwandtschaft los. Unfassbar diese Zertrennung, sagt er, weil keiner gewinnt und alle verlieren. Europa voran. „Wir brauchen Sie und Ihre Solidarität“, sagte er, „gerade auch die Versöhnungskraft der Kirchen!“ und fügte dann später, bei Sekt und Eiern – oder war‘s Butterkuchen – hinzu: „Wir alle teilen unser Leben in dieser einen Welt and we allways need a little help from our friends.“ Wir werden einander immer brauchen, Freunde!

Freundinnen werden – und die Welt verwandeln, nichts weniger. Das ist wie ein Vorgeschmack auf das große Fest des Lebens, wie es die Zukunftsvision des Propheten Jesaja so appetitanregend vor Augen malt. Damit wir die Hoffnung in uns nähren – manchmal über das Erwartbare und Vernünftige und Realistische hinaus.

Solche Hoffnung verwandelt. Konnten wir doch alle sehen, wie aus tiefer Trauer über eine verbrannte Notre Dame heraus binnen weniger Tage eine Welle internationaler Hilfsbereitschaft entstand. Wiederaufbau möglich – with a little help from our friends.

Hoffnung verwandelt. So wie aus der kleinen Raupe Nimmersatt ein wunderschöner Schmetterling wird, und nicht mehr der knurrende Lebenshunger den Ton bestimmt, sondern die beschwingt vor sich hin pfeifende Vorfreude auf das volle, erfüllte, österliche Leben. Ach, liebe Gemeinde, lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil! Jetzt!

Christus ist auferstanden, Halleluja! Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja.
Amen.

Datum
22.04.2019
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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