13. September 2015 | Güstrow

Ist das Leben nicht mehr?

13. September 2015 von Andreas von Maltzahn

15. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu Mt 6, 25-34 anlässlich der Wiederingebrauchnahme des Borman-Altars

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Die richtigen Fragen verändern das Leben. Eine dieser wesentlichen Fragen, die das Zeug haben, ein Menschenleben zu verwandeln, begegnet uns mit dem heutigen Evangelium: „Ist das Leben nicht mehr . . .?“ Diese Frage könnte uns bekannt vorkommen. Vielleicht haben wir Sie uns schon einmal selbst gestellt oder mit einem vertrauten Menschen erörtert.

Ist das Leben nicht mehr . . .? Soll das schon alles gewesen sein? So fragt sich, wer spürt: Das, was den Tag ausfüllt, erfüllt nicht. Auch wenn äußerlich nichts fehlt – die Lebendigkeit ist verloren gegangen. Kann das schon alles gewesen sein?

Ist das Leben nicht mehr? So fragt auch Jesus in der Bergpredigt. Ist es nicht mehr als Essen und Trinken und Kleidung? Ja, gewiss, möchte man antworten, aber sehen wir nicht Tag für Tag, wie gerade das den Menschen auf der Flucht fehlt? Ein Platz zum Schlafen, ein Dach über dem Kopf, Wasser, Essen – wer wollte diese elementaren Dinge geringschätzen! Und es berührt mich, wie viele Freiwillige bei uns dafür zu sorgen versuchen, dass die Flüchtlinge bekommen, was sie brauchen.

Doch damit ist die Frage nicht abgetan. Denn Jesus damals redete ja zu Menschen, die um die existentiellen Dinge ihres Lebens kämpfen mussten, die nicht Bürger einer Wohlstandsgesellschaft waren. Er mutet auch ihnen – und uns dazu – die Frage zu: Ist das Leben nicht mehr?

Was könnte dieses Mehr sein, dieser ‚Mehr-Wert‘ in den Augen Jesu?

Eine lohnende Aufgabe vielleicht! Z. B. die Aufgabe, solche einen Schatz wie diesen wunderbaren Borman-Altar zu retten! Welch langen Atem hat es dafür gebraucht! 22 Jahre lang Spenden sammeln, 22 Jahre lang Schritt für Schritt restaurieren, 22 Jahre lang nicht auf den großen Berg schauen, der noch vor einem lag, sondern zu tun, was möglich war, um das scheinbar Unmögliche zu schaffen. Welch eine Kostbarkeit in künstlerischer wie geistlicher Hinsicht ist uns durch dieses Engagement wiedergegeben und für kommende Generationen erhalten worden! Vermutlich werden Sie, liebe Frau Taetow und ihre Mitstreiter, es so erlebt haben: Das war nicht nur Mühe und Arbeit, sondern hatte auch etwas Erfüllendes. Dieses Engagement hat Beziehungen gestiftet und Menschen miteinander verbunden.

Das Mehr, von dem Jesus redet, das ein Leben reich und erfüllt macht – es kann in der Hingabe an eine lohnende Aufgabe bestehen. In seiner Predigt auf dem Berg verbindet Jesus das Mehr des Lebens mit einer grundsätzlichen Orientierung:

„Trachtet zuerst nach dem  Reich Gottes und nach seiner  Gerechtigkeit, so wird euch das alles zu fallen" (6,33).

Große Worte sind das: Reich Gottes, seine Gerechtigkeit – darauf soll unser Leben aus sein. Gottes Wirklichkeit in Gerechtigkeit und Frieden soll mitten in unserem Leben Gestalt gewinnen. Im Kleinen, aber auch in unserer ganzen Gesellschaft soll gelten, was Gott am Herzen liegt: die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen, Barmherzigkeit, Entwicklungsmöglichkeiten für alle, solidarisches Einstehen füreinander. Das sollen wir versuchen mit unserem Leben und Arbeiten – und dazu uns dabei auch nicht zu viele Sorgen machen!

Eine Stimme in mir sagt: Ist das nicht einige Nummern zu groß? Geht es nicht ein wenig kleiner? Ich kenne doch meine Grenzen, meine Schwächen. Ich weiß doch von mir: Ist das Ziel zu groß, verlässt mich der Mut, und ich mache mich gar nicht erst auf den Weg. Denn ich habe die Sorge, es nicht zu schaffen.

Das ist wahr und gehört zu unserem Menschsein. Aber genauso wahr ist: Manchmal brauche ich die Erinnerung daran, was mein Leben sein könnte, wer ich sein könnte. Manchmal brauche ich die Erinnerung daran, wer ich in Gottes Augen bin – offenbar ein Wesen, das fähig ist, sich nach Gott zu sehnen und nach einer Welt, wie er sie im Sinn hat, und das fähig ist, etwas dafür zu tun.

Hab keine Sorge, sagt Jesus. Trau dich, mehr zu erhoffen. Denn Gott traut es dir zu. Und, was das Beste ist: Gott sorgt für dich.

Das sagt derselbe Jesus, der gewusst hat, wie sein Lebensweg enden würde, dessen Leidensweg im Borman-Altar so ergreifend Gestalt gewonnen hat. Die Botschaft der Bergpredigt, Sorgt euch nicht um euer Leben, auf der einen Seiteund auf der anderen die Leidensgeschichte Jesu, sein Tod am Kreuz – wie geht das zusammen?

Der Altar stellt uns ja unmissverständlich vor Augen: Das Leiden Jesu, sein Tod am Kreuz stehen im Zentrum des christlichen Glaubens – und zwar in verschiedener Hinsicht:

-         Das Leidvolle menschlicher Existenz wird nicht ausgeblendet. Den charakteristischen Gesichtern der Altarfiguren ist das anzusehen – den Trauernden unter den Freunden Jesu, seiner Familie, dem gepeinigten Christus selbst. Aber auch die Soldaten sind gezeichnet durch das, was sie tun, tun müssen. In diesen Tagen kann ich diese Figuren nicht sehen, ohne zugleich auch die Gesichter der Flüchtlinge vor Augen zu haben auf ihren langen Märschen, wenn sie verzweifelt einen Stacheldrahtzaun überwinden wollen.
Ich sehe auch die Gesichter der Polizisten und Soldaten, die sie an einem Tag abweisen sollen an der Grenze, notfalls mit Tränengas und Gewalt, und am nächsten Tag ist die politische Linie wieder anders. Ich sehe Christus unter ihnen, wie er mitgeht, wie er mitleidet, wie er am Kollabieren ist in der Hitze. Und seine Krone ist diesmal nicht aus Dornen, sondern aus Stacheldraht . . . Das Leiden dieser Welt – es geht durch Gott hindurch. Es geht durch uns hindurch. Es zerreißt uns. Es verbindet uns.

-         Das Leben ist mehr, erinnert Jesus – mehr als Essen und Trinken, mehr als Arbeit und Vergnügen. Ein Menschen-Leben erfüllt sich in Hingabe. Der Weg Jesu hat gezeigt: Leidenschaftliche Hingabe macht verwundbar – und trotzdem hat solch ein Leben bleibenden Wert. Selbst durch das Scheitern hindurch bleibt die Hingabe wirksam, berührt Herzen, beflügelt Menschen, verändert die Verhältnisse. Solch ein Leben der Hingabe für gerechtere Verhältnisse, der Hingabe in Liebe geht nicht dauerhaft zugrunde. Es feiert Auferstehung. Dafür sorgt Gott. Auch das können wir am Borman-Altar erblicken. Die Auferstehung Jesu ist das hoffnungsvolle Symbol dafür: In der Hingabe liegt erlösende Kraft. Die Liebe Gottes überwindet, was trennt.

Die Liebe Gottes überwindet auch die Angst. Wenn wir Tag für Tag die Bilder überfüllter Züge sehen, mögen wir uns manchmal sorgenvoll fragen: Was kommt da auf uns zu? Werden wir das alles verkraften? Am vergangenen Wochenende hat unsere Bundeskanzlerin eine mutige Entscheidung getroffen, indem sie die Grenzen für die in Ungarn wartenden Flüchtlinge geöffnet hat. Die Kanzlerin der Vorsicht hat damit etwas riskiert – um der Menschlichkeit willen. Wegen möglicher Sogwirkungen wird sie daher angegriffen.

Ich bin überzeugt: Wir können dankbar sein für solchen Mut und für die ungezählten Freiwilligen, die die Flüchtlinge willkommen heißen: Im Ausland ist nicht mehr wie vor kurzem noch vom ‚hässlichen Deutschen', sondern vom ‚leuchtenden Deutschland' die Rede. Andere Regierungen, die bislang an ihrer Abschottungspolitik eisern festhielten, geraten unter den Druck ihrer eigenen Bevölkerung, die sie fragt: Warum tun wir nicht mehr?! Erste Bewegung ist zu erkennen.

Es ist so: Die Herausforderung vor der wir stehen, ist groß. Flüchtlinge aufzunehmen, wird uns einiges abverlangen. Aber es wird uns auch bereichern. Im Vertrauen auf Gott können wir diese Probe auf unsere Menschlichkeit annehmen. Glaube und Mitmenschlichkeit können Berge versetzen. Schier Unmögliches wird dann möglich. Die aufwendige Restaurierung des Borman-Altars ist ein Beispiel dafür. Tun wir also das, was in unserer Kraft steht – im Gebet, mit unseren finanziellen Möglichkeiten, mit unserem tatkräftigen Einsatz. Wir werden deshalb nicht zu kurz kommen, im Gegenteil: Christus hat uns verheißen:  

Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Mt 25,35.40)

Gott selbst begegnet uns in den Menschen in Not. Wir werden es erfahren: Das Leben kann so viel mehr sein. In der Hingabe an das, was Gott am Herzen liegt, wird unser Leben lebendig und erfüllt sein.

Amen.

 

Und der Friede …

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