23. April 2016 | Lübeck

Keine Effizienz ohne Ethik!

23. April 2016 von Gerhard Ulrich

Vortrag anlässlich der Mitgliederversammlung 2016 des Oikocredit Förderkreises Norddeutschland unter dem Motto „Ethik und Nachhaltigkeit vor Effizienz? – Die Anlagestrategie der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland“

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,

I
seit Anbeginn sind die Christen Diakone und Samariter der Gesellschaft. Sie verbanden Wunden und verbinden sie auch heute, besuchen Kranke, stehen Gefangenen bei und helfen Armen. Sie folgen dem Beispiel des Barmherzigen Samariters; wenden sich Menschen in Not zu. Gerade jetzt helfen Kirchengemeinden und viele andere Menschen guten Willens denen, die unter die Räuber gefallen sind: Flüchtlingen aus Syrien, Irak, Afghanistan und anderen Ländern, die nach oft schrecklicher Odyssee unser Land erreichen. 

Ganze Regionen, ja ganze Länder sind unter die Räuber gefallen – nicht erst in den letzten Jahren. Begonnen hat es spätestens mit dem Kolonialismus. Heute wird das fortgesetzt von dem Raubrittertum einer ungezügelten Globalisierung. „Das Elend begann, als das Gold entdeckt worden war“, sagte vor einigen Wochen der Südafrikaner, der uns, eine Delegation von „Brot für die Welt“ und der Nordkirche, durch das Apartheid-Museum in Johannesburg führte. Danach war nichts mehr, wie es war und sein soll – vor allem nicht für die Einwohner Südafrikas. Eines der an Rohstoffen reichsten Länder der Welt versank in Rassenhass und Rendite-Wahn. Kolonialmächte stritten mit Waffengewalt um die Bodenschätze, ausgebeutet wird bis heute – zum allerkleinsten Teil von denen, die in diesem Land seit Jahrhunderten ihre Heimat haben. Der Goldrausch, kombiniert mit Diamanten- und Kohlerausch, hält an, auch nach offizieller Beendigung der Apartheid. Reichtum ist immer noch weiß, Armut nahezu immer schwarz. Wie tragen wir unsere Mitverantwortung, wenn wir sie denn sehen?

Wer in unseren Tagen, wo auch immer in der Welt, dem barmherzigen Samariter folgt und den Weg Jesu geht, muss spontan handeln und zugleich strukturell denken. Sie im Förderkreis Nord von Oikocredit tun es. Der Mann, der half, in der Geschichte bei Lukas im 10. Kapitel, hatte das auch schon im Gepäck.

II
Wir müssen uns bewusst machen: Geld ist nicht irgendein Tauschmittel, das im wirtschaftlichen Handeln eingesetzt wird. Es ist in unserer Welt zentrales Gestaltungsmittel. „Money makes the world go round“: dass Geld die Welt bewegt – das ist auch ein gefährlicher Satz, einer, der zu Machtausübung einlädt, zu Größenwahn rufen und zum Räuber machen kann. Darum ist die Verantwortung von Institutionen so groß, die Geld einsammeln und es wieder investieren: Da geht es um Ihre Verantwortung als Kreditanstalt, als investierendes Unternehmen.

Und da geht es genauso um die Verantwortung der Nordkirche – weil wir beide mit anderer Menschen Geld treuhänderisch, redlich und zum Wohle aller umgehen müssen – seien es deren Kapitaleinlagen, seien es ihre Kirchensteuern.  Eben nicht nur zum Wohl der Geldgeber, sondern auch zum Wohl derer, die es erhalten - im Fall von Oikocredit zum Beispiel die Mikrokreditnehmer.

Und für uns als Kirche ist es wichtig, dass wir verantwortlich entscheiden, wo wir unser Vermögen investieren, in welche Fonds unser Geld fließt. Denn deren Anlagepolitik bestimmt mit über die Menschenrechtsstandards und die ökologische Verantwortung der Firmen, an denen sie sich beteiligen. In unserer globalisierten Welt entscheidet unser Geld, das wir einer deutschen Bank anvertrauen, mit über Wohl und Wehe von Menschen z.B. in Afrika und Asien. Nicht nur die Rendite muss stimmen. Die Anlageformen, in die wir investieren, müssen nach christlich-ethischen Kriterien ausgewählt werden. Wir müssen lernen: Unser Geld kann und muss eine Option für die Armen sein!

Im Rahmen der Tagung der Generalversammlung des „Zentrums für Mission und Ökumene“ der Nordkirche war am 9. April der Archimandrit der Christen im Nord-Irak, Youchanan zu Gast. Er schilderte uns die Situation der Christenmenschen in seiner Heimat – immerhin eine der Regionen, die auf die Anfänge des Christentums und der Mission verweisen. Gewalt, Unterdrückung, Vertreibung und in der Folge Flucht und Rückzug beschreiben die Situation. Seine Organisation, die sich für Menschenrechte und sozialen Frieden einsetzt, leistet einen kaum zu überschätzenden Dienst an den Menschen im Land und in den Flüchtlingslagern dort. Auf die Frage, was er denn von uns und unseren Kirchen erwartet, antwortete er: „Macht euren Regierungen klar, dass es nicht immer nur um Wirtschaft geht! Der Markt regelt bei uns gar nichts und führt nicht zum Frieden. Es geht um Würde und Menschenrechte." Es geht also um die im Sinne der gängigen Marktstrategie sogenannten „wertlosen Werte“, ohne die eine Wirtschaft jedenfalls nicht den Menschen dient.

III
Da sind wir bei unserem Thema: „Ethik und Nachhaltigkeit vor Effizienz? – Die Anlagestrategie der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland“.

Die Nordkirche folgt in ihrer Strategie dem § 58 der Rechtsverordnung zur Haushaltsführung (KRHhFVO). Neben den klassischen ökonomischen Grundsätzen legt er in Absatz 1 fest: „Die Wirkungen der kirchlichen Geldvermögensanlage auf Umwelt, Mitwelt und Nachwelt sind zu beachten.“ Diese Rechtsvorschrift versucht, die traditionellen Anleger-orientierten Prinzipien der Geldanlage mit den Zielen Nachhaltigkeit und Ethik in Einklang zu bringen. Das Landeskirchenamt und sein Anlageausschuss wollen dies bei möglichst allen Geldanlagen erreichen. Die Banken sind gehalten, Informationen über die Nachhaltigkeit der einzelnen Anlagen zu liefern.

Zur Umsetzung dieser Rechtsverordnung orientiert sich die Nordkirche an dem 2011 erstmals von der EKD veröffentlichten „Leitfaden für ethisch nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche“. In diesem Text, der regelmäßig aktualisiert wird, steht der Begriff ‚ethisch-nachhaltig’ im Mittelpunkt. Damit wird einerseits die christliche Werteorientierung betont und andererseits grundsätzlich die Anschlussfähigkeit kirchlicher Anlagekonzepte an nachhaltige Geldanlagen.

Möglich wurde dies, indem man sich verabschiedete von dem klassisch sogenannten „Magischen Dreieck der Geldanlage“. Das kennt nur die anlegerorientierten ökonomischen Ziele: Rendite, Liquidität und Sicherheit. Stattdessen postulierte man in einem ersten Schritt ein „magisches Viereck“: das Ziel der ethisch-nachhaltigen Geldanlage kam hinzu. Kritiker wandten zu Recht ein, dass man so aber immer noch nicht aus dem Bereich der Magie herausgekommen sei, der Magie des Marktes und der großen Gewinnschnäppchen; der Verführbarkeit damit, der wir alle erliegen können. In den folgenden Diskussionen wurde erkannt, dass ethische Nachhaltigkeit nicht nur ein Ziel neben anderen sein kann.

Für uns kirchliche Anleger muss es von zentraler Bedeutung sein. Um dies zu unterstreichen, wird in der nächsten Ausgabe des Leitfadens nicht mehr von magischen Drei-, Vier- oder Fünfecken die Rede sein, sondern der Begriff des „Ethisch-Nachhaltigen Anlage-Dreiecks“ eingeführt. Im Mittelpunkt steht die Werteorientierung. Die ökonomischen Ziele gruppieren sich darum herum.

IV
Es geht nicht um „Ethik und Nachhaltigkeit vor Effizienz“. Sondern: Ethische Nachhaltigkeit und Effizienz. Allerdings ist beides von der christlichen Wertehaltung her gedacht. Und so halte ich es auch für richtig.

Der große evangelische Wirtschaftsethiker Arthur Rich – ein Schweizer – also einer aus dem Land, wo der Kapitalismus gewissermaßen aus dem Geiste des Protestantismus geboren wurde durch Calvin und seine Gefolgsleute: Artur Rich hat den Zusammenhang, der uns gelingen muss, in einer klassischen Formel zum Ausdruck gebracht: „dass nicht wirklich menschengerecht sein könne, was nicht sachgemäß ist, und nicht wirklich sachgemäß, was dem Menschengerechten widerstreitet“. Anders formuliert:  Schlecht wirtschaften kann keine Alternative zu effizienter Ökonomie sein. Die Früchte des Wirtschaftens sollen ja dem Menschen dienen. Aber effiziente Ökonomie, die im Menschen, und zwar im je konkreten Menschen, nicht das Ziel ihres Handelns sieht, verliert ihren Sinn.

Um die Verbindung von beidem müssen wir immer wieder ringen. Dies in einer Welt ökonomischer Wertschöpfungsketten, die genauso komplex wie schwer zu steuern sind und in denen immer die Gefahr lauert, dass der Einzelne bloßes Mittel zum Zweck wird. Gerade weil diese Prozesse durch betriebs- und volkswirtschaftliche Erkenntnisse effizienzorientiert gelenkt werden müssen, gerade deshalb muss genauso deutlich gemacht werden, dass die Welt der Wirtschaft kein ethikfreier Raum ist. Gerade weil alles ökonomische Handeln seinen Preis hat, muss immer wieder betont werden, dass jeder Mensch einen unveräußerlichen Wert darstellt. Wirtschaft muss dem Menschen dienen – nicht umgekehrt darf es sein.

Christliches Engagement in der Wirtschaft, sei es als Wirtschaftspraktiker, sei es als Wirtschaftskritiker, gründet immer auf der fundamentalen biblischen Aussage: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Sie und er sind sein Ebenbild. Jede und jeder hat einen unverfügbaren Wert. Gerade weil die globalisierte Wirtschaft die Tendenz hat, alles zu ökonomisieren und über alles zu verfügen, müssen wir uns einsetzen: für den Einzelnen und seinen Wert, für seine Unverfügbarkeit. Müssen wir eintreten: für Gerechtigkeit, Solidarität, friedliche Konfliktlösung und Bewahrung der Schöpfung.

Das sind die Werte, die gemeint sind, wenn der EKD-Leitfaden, wenn wir in der Nordkirche von „ethisch“ sprechen. Und wenn es uns gelingt, mit Hilfe von Investitionen Projekte zu schaffen, in denen diese Werte langfristig gelten: dann sind wir nachhaltig. Dann handeln wir ethisch-nachhaltig.

Dabei scheint es mir von entscheidender Bedeutung, dass wir, wenn wir von „Werten“ reden, immer wieder genau hinschauen, was wir meinen. Werte, also Grundsätze des Miteinanders in der globalen Welt, haben ihre Quelle für uns in der Heiligen Schrift. Sie entwickeln sich aus dem Menschenbild der Bibel, die in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes erkennt. Und die weiß: die Würde und der Wert des Menschen sind nicht zuerst und schon gar nicht allein abhängig von dem, was er oder sie kann, leistet, bringt; nicht von Stärke und Macht und Einfluss, sondern gründen in den Gaben, die Gott jedem und jeder schenkt.

Und: Werte sind kein Katalog, keine Checkliste. Sie müssen stets neu kommuniziert werden in dem je konkreten und zeitgebundenen Kontext der Menschen und der Orte. Die Mikrokredite z.B. folgen solchen jeweils neu zu bestimmenden Werte-Canonices.

V
Wirtschaft – das ist eine Kulturleistung des Menschen, eine sehr hohe und eine sehr riskante. Zu den Risiken gehören die Finanzmärkte in ihrer jetzigen Form. Fast scheint es, als sei es schon wieder vergessen: Vor 7 Jahren kam es zu der größten Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression von 1929-32. Die Finanzkrise von 2008 hat die Welt an den Abgrund geführt. Kaum regulierte Finanzmärkte hatten zu Spekulationen aller Art eingeladen und dabei aberwitzige Finanzprodukte kreiert, die mittels Schneeballverfahren über die Welt verteilt wurden, bis die Blase geplatzt ist.

Heute ist vieles davon schon wieder vergessen, obwohl eine grundsätzliche Regulierung nach der Krise ausgeblieben ist. Weiterhin oder wieder wird wild und bisweilen rücksichtslos spekuliert -  auch auf Lebensmittel! In der jetzigen Form haben die Finanzmärkte ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft weitgehend eingebüßt. Durch ihre hohen Renditeerwartungen sind sie ein Unsicherheitsfaktor für die Unternehmen. Sie verstärken die Vermögensungleichheit auf der Welt. Sie ermöglichen eine Vielzahl an Geschäften, die ethische Prinzipien verletzen. Ich denke da etwa an Rüstungsgüter und die Spekulation auf Agrarrohstoffe.

Nicht nur kritische Ökonomen sagen uns: Wir brauchen dringend ein Regelwerk, das die Ökonomie der Finanzmärkte einbettet und ihre Freiheit in dem Sinne begrenzt, dass sie im Dienst der Menschen wirken können - gerade der armen Menschen.

Beginnen müssen wir jedoch bei uns selbst. Wirtschaft, im Guten wie im Schlechten, das sind wir alle, samt den Strukturen, die wir schaffen. Die sind aber kein von uns geschaffener Moloch, der einmal erzeugt seinen eigenen Gesetzen gehorcht und statt beherrscht zu werden uns tyrannisiert. Nein, Wirtschaft, das sind wir und die von uns geschaffenen Wirtschaftsformen, die wir auch wieder verändern können - so schwer es auch ist.

Mit Sorge sehe ich, der ich nun wahrlich kein Wirtschaftsfachmann bin, auf eine wahrnehmbare, sich verstärkende neo-liberale Wirtschaftsform. Nahezu alle Lebensbereiche werden ökonomisiert, der Mensch reduziert auf seine Funktion als homo oeconomicus. Da wird, trotz 2008, wieder ungeniert von den „freien Kräften des Marktes“ geredet, denen man getrost die Entwicklung überlassen soll, die werden es schon richten. „Der Markt“ wird zu einer Art „heiligem Raum“ stilisiert, der geheimnisvoll seine Kräfte entfaltet.

Im Gefolge dieser Sichtweise oder besser: als Grundlage solcher Weltsicht wird ein Freiheitsbegriff wiedergeboren, der mir höchst gefährlich zu sein scheint: jeder Mensch solle doch bitteschön tun und lassen, was er oder sie will. Regulierende Eingriffe wie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Feiertagsschutz würden den Markt nur stören. Niemand sei ja gezwungen, mitzutun.

Solcher Freiheitsbegriff, der sich ablöst von der Verantwortung füreinander und für die Welt insgesamt, der sich ablöst von der Bindung an gemeinsame Werte, der kehrt sich alsbald ins Gegenteil, wie die Geschichte lehrt. Und, im Blick auf den Markt (nicht nur, aber auch) entfaltet sich diese Art Freiheit auf Kosten anderer, nicht Starker, sondern Schwacher. Solche Freiheit wäre so frei, Menschen, Gruppen, Ethnien abzuhängen! Der Markt ist jedoch nur eine Kulturleistung, wenn er in den Händen aller Menschen sich gestaltet. Freiheit und das Beachten von Regeln sind keine Widersprüche. Die Entfaltung von Leistungsträgern und die gleichzeitig selbstverständliche Teilhabe aller an wirtschaftlichem Fortschritt ist keine Utopie. Was wir brauchen, ist eine Soziale Marktwirtschaft, die dem Menschen dient – hier und global.

Oikocredit ist hier ein Pionier des Andersmachens, der ethisch orientierten Finanzierung, der zeigt, wie eine wirklich nachhaltige Kreditversorgung über Finanzmärkte durchaus funktionieren kann. Sie sind für mich Pioniere der notwendigen globalen Transformation zu einer Wirtschaftsweise, die mit der Bewahrung menschlichen Daseins und der Schöpfung vereinbar ist. Dazu gehört eine Selbstbeschränkung auf eine angemessene Rendite im Rahmen einer „Ökonomie des Genug“, aber auch eine bewusste Auswahl von Anlagebereichen, die sinnvolle Veränderungsprozesse anregen.

Wie Oikocredit formuliert der EKD-Leitfaden Positivlisten, die förderliche Investments benennt und Negativlisten gegenüber Staaten und Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen zerstörerisch wirken. Das ist ein eindeutiges Signal: Keine Effizienz ohne Ethik! Ein Signal, das sich lohnt, in die Welt getragen zu werden. Denn die notwendigen ökonomischen Veränderungsprozesse, mit denen wir dringend beginnen müssen, brauchen viele Beispiele aus der Zivilgesellschaft, wie man es anders machen kann: Damit die Politik auf der großen Bühne das Rahmenwerk einer in die Gesellschaft eingebetteten Ökonomie schaffen kann.

VI
Deshalb ist es für uns Christen nicht nur wichtig, am Markt anders zu handeln. Wir müssen auch Beiträge leisten, ihn anders zu gestalten. Die oft gestellten Entscheidungsfragen: Sollen Christen dem Einzelnen helfen oder Strukturen verändern? Sollen sie die politische Großwetterlage beeinflussen oder Regenschirme an die Unbehausten verteilen? – Das sind Scheinalternativen für mich. Nächstenliebe: das ist der starker Impuls, in der Nachfolge Jesu dem Einzelnen zu helfen und an einer Gesellschaft mitzubauen, in der alle gleich wertvoll sind – und das weltweit.

Ein Impuls, der auch beim Barmherzigen Samariter durchscheint. Auf ihn möchte ich noch einmal zurückkommen. Nachdem er den unter die Räuber gefallenen, halbtot geschlagenen Menschen in die Herberge gebracht hat, ist für ihn seine Aufgabe noch keineswegs beendet. Dem Wirt gibt er Geld, damit der Verletzte genesen kann. Er investiert in dessen Gesundung. Dieser Mensch soll neu anfangen können.

Das ist nachhaltig gedacht und ethisch orientiert. So wie die Mikrokredite Ihrer Genossenschaft, die Menschen helfen, ein regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften, von dem sie in Würde leben können. Auch eine Gesundung, eine wirtschaftliche. Aber vielleicht hat der Barmherzige Samariter noch etwas Anderes getan.

Ich male mir aus, wie die Geschichte weiterging. Der Samariter war ja nicht von Beruf Samariter. Das war seine Volkszugehörigkeit. Wer war er? Lassen wir unserer Fantasie einmal freien Lauf. Vielleicht Bürgermeister einer Stadt. Warum nicht. Auf dem Rückweg überlegt er sich: Wunden verbinden ist eines, neue Wunden verhindern ist genauso wichtig. Das Räuberunwesen muss bekämpft werden. Es gibt aber auch Gründe, warum Menschen kriminell werden. Vielleicht haben sie keine Chancen in der Gesellschaft. So fängt er an, Gedanken struktureller Nächstenliebe zu entwickeln: Wie er einen Beitrag leisten kann, die Gesellschaft um sich herum zu verändern.

Was bedeutet es für uns, wenn wir auch hierin dem Mann aus Samaria folgen? Ich glaube, es bedeutet, sich für eine Doppelstrategie zu entscheiden. Die eine Christenpflicht – es ist immer die erste - das ist die Selbstverpflichtung: Ich ändere mich, handle anders, wirtschafte anders. Entwickle mit anderen zusammen alternative Unternehmen, die nicht alleine dem eigenen Gewinn, sondern den berechtigten Interessen aller verpflichtet sind.

Die zweite Christenpflicht in politisch-ökonomischer Hinsicht wäre dann: Ich engagiere mich für einen anderen Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftens. Das ist nicht gleich die sogenannte „Systemfrage“.  Eher die Frage: Welcher Kapitalismus soll sich langfristig weltweit durchsetzen? Ein ungesteuerter, der sich vermeintlich selber reguliert? Oder einer, der mit sozialem Ausgleich verbunden ist? - Eine öko-soziale Marktwirtschaft vielleicht?

VII
Noch einmal einen subjektiv-exemplarischen Blick auf Südafrika. Dort habe ich während der erwähnten Reise Willkürkapitalismus und seine Folgen erlebt: bei den Schwarzen in den Townships von Kapstadt und Johannesburg, die in erbärmlichen Verhältnissen leben müssen, die um alles kämpfen müssen, was ihnen eigentlich nach der Verfassung ihres Landes zusteht: Bildung, soziale Hilfe, Gesundheitsfürsorge. Habe mit Erschrecken wahrgenommen: die Reichen sind immer noch weiß. Die Ausbeutung der Schöpfung mit katastrophalen Folgen für die Umwelt geht ungebrochen weiter – obwohl oder gerade weil Südafrika zu den erfolgreichsten Schwellenländern gezählt wird – nach Weltbankmaßstäben jedenfalls.

Das ist für viele Menschen in Südafrika blanker Zynismus angesichts verdorbenen Wassers und brennender Erde in der Nähe von Kohleminen vor allem. Die Lebenserwartung der Schwarzen, die in den Minen Kohle abbauen, liegt bei ca. 45 Jahren. Sie wohnen am Rande von Abraum- und Müllhalden – selbst nicht viel höher geachtet als der Müll.

Es ist erschreckend, festzustellen: die Apartheid ist längst nicht vorbei; die Folgen der Kolonialisierung sind mit Händen greifbar. Rev. Chikane, ein langjähriger Weggefährte Nelson Mandelas, hat uns gegenüber die Situation seines Landes radikal und schonungslos analysiert: „Wir haben es geschafft, eine der modernsten Verfassungen der Welt zu verabschieden. Wir haben es geschafft, die Regierung selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben es aber versäumt, die Wirtschaft zu transformieren, in die Hände der Schwarzen zu überführen. Wir haben uns nicht genug gewehrt gegen die Übernahme durch die Weltbank, die seit dem offiziellen Ende der Apartheid bestimmt über Investitionen, Außenhandel usw.  Die in der Verfassung festgelegte Landreform, innerhalb derer 30% des Landes, das in fremden Händen ist, an Schwarze verteilt werden sollte, ist nur zu einem geringen Teil umgesetzt worden. Wir sind abhängig vom Norden, von den Investitionen großer Konsortien, vom Weltpreis für Kohle zum Beispiel. Wenn wir nicht umkehren, wird es bei uns erneut zu einer Explosion kommen…“

Und nun besuchten wir Mitte bis Ende März das Land und hatten Kontakt zu Partnern von „Brot für die Welt“ und der Nordkirche, sprachen mit Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen, die von „Brot für die Welt“ unterstützt werden: Organisationen, die sich um die Benachteiligten kümmern, für die Umsetzung der Sozialgesetze streiten, Beratungen organisieren für Entrechtete, „housing-Projekte“ in Townships der Schwarzen gestalten…

Zweifel beschleichen uns: das hier investierte Engagement, auch das finanzielle: stabilisiert es nicht die Verhältnisse? Wir unterstützen doch auch korrupte Regierungen vor Ort! Müssten wir nicht ganz anders agieren, und unser Geld investieren in Oppositionsgruppen, die das System sprengen und aufstehen – wie weiland die Boykottgruppen gegen die Apartheid?

Dann aber habe ich auch Ergebnisse des Engagements gesehen, die mich ermutigen: ich habe auch die Haltung der Menschen in den Townships gesehen.

Bewundert, wie sie ihr Leben gestalteten. Nicht ergeben in irgendein Schicksal. Sondern bewusst ihrer Würde. Bereit, jederzeit für sich, ihre Kinder, ihre Familie und ihr Quartier einzustehen, aufzustehen. Mit Liebe begegnen sie zum Beispiel Fremden und mit Selbstverständlichkeit heißen sie sie willkommen. Sie wissen inzwischen um ihre Rechte, empfinden die Unterstützung durch die Organisationen als Hilfe zur Selbsthilfe. Sie organisieren Streiks und Umsetzung ihrer Rechte. Sie lassen sich nicht alles gefallen. Sie trotzen den Reichen ab, was sie zum Leben brauchen. Ich habe gelernt, dass diese Veränderungen von innen Geduld brauchen, damit sie sich auswachsen zu Bewegungen, die Systeme wandeln.

Die rechte Investition ergibt sich aus dem Hinhören, aus dem Versuch, zu verstehen, in welchem Kontext die Menschen leben, was sie brauchen und ersehnen, worunter sie leiden. Und worauf sie hoffen. Das ist das, was der Barmherzige Samariter tut: Hilfe in akuter Not, Investieren in das Heil und die Zukunft konkreter Menschen in konkreter, beschreibbarer Situation. Und arbeiten an den Strukturen. Dranbleiben an den Partnern, die genau und am besten wissen, was Not tut in dieser Zeit.

Was ich dort in den Tagen vor Ostern erlebt habe, dort im Township, im Slum: das hat mir ganz stark ins Bewusstsein gebracht, woran ich glaube:

Dass wir auf der Süd- und auf der Nordhalbkugel Mitarbeitende Gottes sind an seiner Schöpfung. Dass wir gemeinsam geleitet werden von Gottes Bild dieser Welt, wie er sie will: Wo alle an einem, an seinem Tisch sind. Alle. Gerade und zuerst auch die Mühseligen und Beladenen. Lebend von dem, was er gibt. Teilend das, was er schenkt. Diese Vision und Schritte dorthin: Das ist es, was wir brauchen in dieser brennenden, sehnsuchtsgefüllten Welt, die hungert nach Frieden, Gerechtigkeit und Gewissheit.

Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen - zusammen mit unseren Geschwistern in der armen Welt. Und miteinander teilen, wirklich teilen, was uns geschenkt ist zum Leben auf dieser einen Welt. Und so vertreten wir eine andere Globalisierung.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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