Kirchentag: Beharrlicher Einsatz für Gerechtigkeit gefordert
02. Mai 2013
Gebete auf dem Kiez, Gottesdienst auf dem Fischmarkt und Auftritte prominenter Politiker: Appelle zu sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und ethischem Wirtschaften prägten den Auftakt des evangelischen Kirchentages.
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Zehntausende Kirchentagsbesucher haben am Donnerstag auf dem Protestantentreffen über soziale Verantwortung und das Zusammenleben mit behinderten Menschen debattiert. Behinderte seien ein "Vorbild in Lebensfreude und Lebensbejahung", sagte Bundespräsident Joachim Gauck: "Genau das braucht unser Land." Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann rief vor rund 7.000 Besuchern ihrer Bibelarbeit dazu auf, beharrlich für Gerechtigkeit einzutreten. Dafür könne man auch ruhig eine "Nervensäge" sein, die nach Sinn und Würde frage.
Mehr als 116.000 Dauerteilnehmer feiern noch bis Sonntag unter dem Motto "Soviel du brauchst" den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag zwischen Elbe und Alster. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück werden erwartet.
Gauck diskutierte mit Samuel Koch
Gauck, der selbst evangelischer Theologe ist, diskutierte mit dem behinderten Pfarrer und Paralympics-Sieger Rainer Schmidt sowie dem Schauspielstudenten Samuel Koch. "Ich habe mich entschieden, mich nicht zu verstecken und auf die Menschen zuzugehen, auch wenn das nicht immer einfach ist", sagte Koch, der seit einem Unfall bei "Wetten dass..?" gelähmt ist. Sein Glaube sei für ihn noch immer rettender Anker.
"Wir dürfen Schutzsuchende nicht als Bedrohung sehen"
Politische Forderungen kamen von Grünen-Chefin Claudia Roth, die eine radikale Umkehr in der Asylpolitik forderte: "Viele Menschen können bei uns ihr Grundrecht auf Asyl nicht in Anspruch nehmen." Deutschland und die EU müssten endlich aufhören, in Schutzsuchenden eine Bedrohung zu sehen.
Diskussion um überzogene Spitzengehälter und Reichensteuer
Zahlreiche prominente Vertreter aus Politik, Kirche und Wirtschaft warben für soziale Gerechtigkeit. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, kritisierte im Deutschlandradio Kultur die deutsche Steuerpolitik. Bei der "Entlastung der oberen Zehntausend" in den vergangenen 20 Jahren sei das Pendel in die falsche Richtung ausgeschlagen.
Der Unternehmer Michael Otto sagte: "Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt." Er äußerte auf dem Kirchentag auch Verständnis dafür, dass in der Politik eine Reichensteuer erwogen wird.
Für eine Reduzierung von Spitzengehältern in der Wirtschaft sprach sich der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber aus. Deutschlands globale Wettbewerbsfähigkeit hänge "vorrangig an der soliden Arbeit von Millionen Menschen und nicht an den Spitzengehältern einiger weniger".
"Wie kann es sein, dass einem Prozent der Bevölkerung 90 Prozent des Vermögens gehört?" fragte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Sie prangerte Dumpinglöhne in Deutschland an. Wer so entlohnt werde, dass er von seiner Arbeit nicht leben könne, "der ist auch in seiner Würde verletzt".
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, rief auf dem Protestantentreffen zur Solidarität mit verfolgten Christen auf. Jeder einzelne Politiker müsse auf die Staaten einwirken, die Menschen nicht vor Übergriffen aufgrund ihres Glaubens schützten.
Europäischer evangelischer Kirchentag angedacht
Unterdessen werfen die Kirchentagsorganisatoren schon einen Blick in die Zukunft: Derzeit wird geprüft, ob demnächst ein europäisches Christentreffen stattfinden kann. "Ein europäischer evangelischer Kirchentag ist eine große Hoffnung", sagte Kirchentagspräsident Gerhard Robbers.
Für den Abend war in Hamburg die Premiere der Kirchentagsoper "Vom Ende der Unschuld" vorgesehen. Sie greift Motive aus dem Leben des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) auf. Alle drei Vorstellungen waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.