Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge
19. April 2019
Karfreitag, 20. Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge, Ansprache an der letzten Station des Kreuzweges, Ev.-Ref. Gemeindehaus Ferdinandstraße in Hamburg (Start des Kreuzweges vor der Hafen-Polizeiwache an der Kehrwiederspitze)
Shalom, Salam. Der Friede Gottes sei mit uns allen.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich grüße euch zu diesem Karfreitagsgedenken zur Todesstunde Jesu – am Ende eines langen und erschöpfenden Kreuzweges. Ich danke euch und Ihnen dafür. Ich danke euch für diesen Weg der Solidarität mitten durch die Stadt, um sichtbar zu machen, was sonst oft verborgen bleibt. Denn viele wissen eben nicht, was andere tun, denken, erleben. Sie wissen nicht, was es heißt, in dieser Welt auf der Flucht zu sein, aus der Heimat vertrieben zu werden, in der Terror, Krieg und Hunger herrschen. Sie wissen nicht, wie gefährlich diese Flucht ist. Dass es Millionen sind. Und Tausende, die vor Spanien, Italien, Malta und Griechenland im Meer treiben und umkommen. Männer, Frauen und Kinder. Wir gedenken ihrer. Skandalös zugleich, dass die so selbstverständliche Seenotrettung immer öfter infrage gestellt wird. Ja, wer das tut, weiß wirklich nicht, was er tut!
Ich habe mich in den vergangenen Monaten öfter mit Seeleuten darüber unterhalten. Dass man überhaupt über Seenotrettung in dieser und anderen Nationen diskutiert, macht Seeleute fassungslos. Seenotrettung ist ihnen ins Herz eingeschrieben. Auch und gerade jetzt im Mittelmeer, wo stündlich Flüchtlinge um ihr Leben kämpfen. So tragisch, gerade für die Besatzungen der Containerschiffe, weil unglücklicherweise ihre Bordwände viel zu hoch sind, um die Schlauchboote zielgenau zu erreichen. Sie können die Menschen oft nicht retten. Mit traumatischen Folgen für die Seeleute. Darum bitten Seeleute und inzwischen auch Reeder geradezu inständig: Schickt Rettungsschiffe ins Mittelmeer! Mit entsprechender Ausrüstung, Decken und Ärzten an Bord.
Umso tragischer ist es, dass die Seawatch nicht ab- bzw. anlegen kann und die Helfenden kriminalisiert werden. Aber auch, dass die EU jetzt die Mission Sophia gestoppt hat. Auch wenn wir die Hintergründe wissen, und dass sie zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität begründet wurde, hat die Mission in den vergangenen dreieinhalb Jahren mehr als 730.000 Flüchtlingen direkt oder indirekt das Leben gerettet.
Wie bitter ist es, zu wissen: Da draußen ertrinken jetzt wieder Menschen, weil die EU sich nicht einigen kann, wo sie an Land gehen dürfen. Oder weil ein Land wie Italien sich weigert, ein Schiff anlegen zu lassen und die Oberen auch noch spotten: „Helft euch selbst.“ – „Fahrt doch nach Hamburg, bringt sie da unter.“, so der Innenminister Italiens.
Getrieben von Populisten, droht unser Kontinent seinen eigenen Kompass zu verlieren, liebe Geschwister. In Europa werden gerade auf das Heftigste die Grenzen verletzt – und zwar nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch diejenigen, die im Namen des Grenzschutzes Grenzen ignorieren, die nicht überschritten werden dürfen: die Grenzen des Anstands, der Mitmenschlichkeit, letztlich die Grenze zwischen Leben und Tod. Wissen die Verantwortlichen, was sie da tun?
Mich hat die Ausstellung von Axel Richter total angesprochen, weil er genau auf diese Weise mit dem Begriff „Grenze“ spielt und klar macht: Europa hat allen Grund, sich nicht über seine Landesgrenzen zu definieren, sondern über die Grenzen, die das Leben schützen und die Gewalt verhindern. In erster Linie sind das die Menschenrechte, aber es ist für uns Christenmenschen – besonders heute an Karfreitag – vor allem die Grenze zwischen Menschenwillkür und Gottesliebe. Christus ist wegen dieser menschlichen Willkür verspottet, misshandelt und gekreuzigt worden. Gottes Liebe jedoch hat ihn nicht in seinem engen Grab belassen, sondern ihn auferstehen lassen, in die Weite des Lebens hinein.
Karfreitag, das ist der Tag, an dem wir trauern, dass diese Botschaft auch nach 2.000 Jahren so selten gehört wird. An dem wir ehrlich bekennen, dass auch wir bisweilen müde werden in unserem Engagement. Anders hier bei diesem Kreuzweg selbst: das 20. Mal seid ihr dabei. Manche von Anfang an. Um sichtbar ein Zeichen zu setzen der Solidarität – ich danke euch dafür.
Dies vor Augen ist die gemeinsame Trauer auch eine Stärke und ein Ansporn, nicht müde zu werden. Nicht müde werden – in unserem Mitgefühl. Kreativität. Kunst. Aufmerksamkeit. Und noch eins ist wichtig: In unserer Gesellschaft mit ihren, woher auch immer kommenden Ängsten – und Populisten, die diese Angst ganz bewusst immer aggressiver schüren – ist es die Rettung, dass wir gemeinschaftlich wieder neu Vertrauen zeigen. Denn Angst ist in jeder Hinsicht eng. Es ist die Enge des Herzens, letztlich die Enge des Grabes. Vertrauen hingegen weitet Herz und Gedanken. Vertrauen macht uns zu freien Menschen. Aufrecht. Mit Würde. Und ganz eigener Stimme, die gehört werden will.
Seit 20 Jahren schon auf diesem Kreuzweg. Gebe Gott, dass wir immer wieder die Kraft bekommen auf unserem Weg – unbeirrt getrieben von Friedenssehnsucht und Hoffnungsliebe.
Amen.