Tagung im Christian Jensen Kolleg zur Rolle der Kirche in der NS-Diktatur

Landesbischof Ulrich: „Weitere Aufarbeitung dringend notwendig“

Landesbischof Gerhard Ulrich
Landesbischof Gerhard Ulrich© Soenke Dwenger / Nordkirche

04. Februar 2015 von Stefan Döbler

Schwerin/Breklum. Die Fortsetzung der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rolle der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein und Hamburg während der NS-Diktatur hat Landesbischof Gerhard Ulrich heute (4. Februar) in Breklum angekündigt.

    Vortrag
  • <link file:3284>Vom Umgang mit einer schuldbeladenen Vergangenheit unter dem Vorbehalt des Urteils Gottes

Besonders im Blick auf die Bekennende Kirche in Schleswig-Holstein sei der Aufarbeitungsprozess dringend notwendig, sagte der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) während der Tagung „Aufbruch und Neuorientierung in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins nach 1945“ im Christian Jensen Kolleg in Breklum. Die Nordkirche werde die Forschung dazu fördern, stellte Ulrich in Aussicht.

Hintergrund ist die Debatte um die 2013 erschienene Untersuchung des Historikers Dr. Stephan Linck unter dem Titel „Neue Anfänge? Der Umgang der evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien. Band 1: 1945-1965“. Mit dem Auftrag dazu habe die damalige Kirchenleitung der Nordelbischen Kirche „eine notwendige, überfällige wissenschaftliche Diskussion anstoßen“ wollen, erklärte der Landesbischof.

In seinem Vortrag zum Thema „Vom Umgang mit einer schuldbeladenen Vergangenheit unter dem Vorbehalt des Urteils Gottes“ ging er auch auf die kontrovers diskutierte Rolle Wilhelm Halfmanns ein, eines leitenden Pastors der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein, der von 1946 bis 1964 Bischof von Holstein war. Dieser habe sich in der Zeit der Nazi-Diktatur öffentlich gegen Eingriffe des Regimes in die Kirche sowie gegen die „Euthanasie“-Verbrechen und die Ermordung von Kriegsgefangenen gewandt. Zugleich habe er in seiner Schrift „Die Kirche und die Juden“ 1936 aber die Nürnberger Rassengesetze verteidigt und antijüdische Ressentiments gestützt. Gerhard Ulrich: „Dr. Linck hat in seiner Arbeit auch aufgezeigt, wie schwer Wilhelm Halfmann sich in seinen letzten Amtsjahren tat, seine eigene Schrift aus dem Jahr 1936 kritisch zu sehen und zu korrigieren, als seine Autorschaft in der Öffentlichkeit bekannt und kritisch diskutiert wurde.“

Seit 2001 würden mit der wegweisenden Ausstellung „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945“ in eindringlicher Weise Fakten und Hintergründe in die kirchliche Öffentlichkeit „hinein-gerettet“. An die ausgegrenzten und verfolgten Juden „auch in unserer Kirche damals“ zu denken,  erfülle ihn immer wieder mit Scham, so Gerhard Ulrich: „Und ich weiß, diese Scham werde ich nicht verlieren, bis ich sterbe – und: ich will sie auch gar nicht verlieren.“

Mit Blick auf den Weg der Landeskirchen in Nordelbien von 1933 bis 1945 müsse auf jeden Fall von einer „schuldbeladenen Vergangenheit“ gesprochen werden, sagte der Landesbischof, „in die wir verstrickt sind auch als nachfolgende Generationen“. So sei das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ des Rates der EKD vom Oktober 1945 hier „weitgehend ignoriert oder gar abgelehnt“ worden: „Vorherrschend war vielmehr eine hartnäckige Unbußfertigkeit, jedenfalls bei einigen leitenden Theologen und Juristen.“ Wilhelm Halfmann etwa habe das Schuldbekenntnis kurz nach seiner Veröffentlichung aufs Schärfste öffentlich zurückgewiesen: „Kritiker haben damals angemahnt, man dürfe bei aller Bußfertigkeit die Gräueltaten insbesondere der Roten Armee und die Leiden der Vertriebenen nicht verschweigen.“

Für Gerhard Ulrich sei es der frühere, vor wenigen Tagen verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker gewesen, „der es vor allem mit seiner Rede am 8. Mai 1985 erreicht hat, Verständigung und Versöhnung voranzubringen und Klarheit zu schaffen.“

Persönliche Schilderung über eigene Familie

Im Prozess der Aufarbeitung sei es auch notwendig, sich zu streiten, so Ulrich. Zugleich sei Erinnerung eine biografische, also persönliche Aufgabe: „Wir gedenken unserer Väter – zuweilen auch Mütter – im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Und da sind immer Nähe und Distanz, Dank und Abgrenzung höchst virulent.“

In sehr persönlichen Schilderungen erzählte der Landesbischof von Schuld, Versagen und Verdrängen in seiner eigenen Familie. So habe er in einer der von 1995 bis 2004 gezeigten Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht auf einem Foto seinen Großvater wiedererkannt.

„Immer noch und immer wieder“ sei ein Ergebnis von Verdrängung „die Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, von Gruppen, von Kulturen“, sagte Landesbischof Ulrich. Er ermutigte seine Zuhörer dazu, „aktive Subjekte der Erinnerung“ zu sein und Lebensgeschichten weiterzuerzählen „gegen die Hoffnungslosigkeit der Todesgeschichten, die uns immer wieder einholen.“

Gerhard Ulrich ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).
www.nordkirche.de
www.velkd.de

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