Leben im Schatten: Initiative mit Rundgängen über Menschen ohne Papiere
03. August 2016
Menschen ohne Papiere müssen alles tun, damit sie im öffentlichen Leben nicht auffallen. "Schattenmenschen" werden sie deshalb auch oft genannt. Seit einem Jahr bietet der Hamburger Verein "grenzgänger" Rundgänge über ihre Situation an.
Ziel von "grenzgänger" ist, über Migration, Flucht und Entwicklung zu informieren. Früher ging die Tour durch Altona oder das Schanzenviertel. Doch weil hier immer mehr wohlhabende Hamburger wohnen, sind es für Cindy Hesse keine typischen Stadtteile mehr für "Papierlose". Also zieht sie mit ihren oftmals jungen Teilnehmern durch Wilhelmsburg, wo knapp 60 Prozent der Bevölkerung ausländische Wurzeln hat.
Hamburg-Wilhelmsburg als typischer Stadtteil für „Papierlose“
Cindy Hesse beginnt ihre Stadtrundgänge mit einer schwierigen Aufgabe. Wie kann man in einem Migranten-Stadtteil wie Hamburg-Wilhelmsburg Ausländer ohne gültige Papiere erkennen? Nach kurzer Diskussion sind sich die Teilnehmer in ihrer Antwort einig: gar nicht!
Die Roma-Bettler am S-Bahnhof Wilhelmsburg haben in der Regel gültige Aufenthaltspapiere. Betteln sei viel zu auffällig und damit auch zu gefährlich für Menschen, die in Hamburg ohne Papiere leben. Wie viele "Papierlose" in Hamburg leben ist unklar. In ihrer Studie vor fünf Jahren nannte die Diakonie zwischen 6.000 und 22.000. Heute sind es vermutlich etwas mehr, doch genauer wird die Zahl nicht. Hesse: "Sie leben ja nicht irgendwo im Untergrund, sondern sind Teil unserer Gesellschaft."
Asylbewerber ohne Anerkennungs-Chance brauchen Vertrauen und ein gutes Netzwerk
Unklar sind auch ihre Einreisewege aus Afrika, Russland, Südamerika oder dem Nahen Osten. Viele reisen über ein Touristen-Visum nach Deutschland ein und bleiben dann. Vor einem Jahr konnten sie noch über die Balkan-Route ins Land kommen. Manche reisen als Asylbewerber ohne Chance auf Anerkennung ein, verlassen ihre Unterkunft und tauchen dann unter. Besichtigt werden Menschen ohne Papiere während des Rundgangs nicht. Hesse: "Wir sind ja schließlich nicht im Zoo."
Menschen ohne Papiere haben im Alltag Hindernisse, die den meisten Hamburgern völlig fremd sind. Stopps machen die Teilnehmer bei einer Schule, einem Ärztehaus und der Sparkasse. Wer sich nicht ausweisen kann, kann beispielsweise kein Giro-Konto eröffnen. Überweisungen für Behörden oder Dienstleister übernehmen dann Freunde oder Verwandte, Geld in die Heimat wird über Western Union oder Money Gram überwiesen. Wer keine Papiere hat, wohnt bei Freunden und Verwandten oder hat auf ihren Namen eine Wohnung angemietet. "Man muss gut vernetzt sein und vielen Menschen vertrauen."
Unauffälligkeit wird überlebenswichtig
Bei Krankheiten oder Schwangerschaften können die Anlaufstellen der Diakonie und der Malteser aufgesucht werden, operiert wird hier allerdings nicht. Beim Schulbesuch wird der Aufenthaltsstatus der Eltern nicht registriert. Zum Geldverdienen bleibe meist nur die Schwarzarbeit, weiß Cindy Hesse. Baustellen sind eher gefährlich, Haushaltsjobs in Familien vergleichsweise sicher. Arbeitnehmer-Schutzrechte gelten grundsätzlich auch für Menschen ohne Papiere, werden aber so gut wie nie eingeklagt.
Selbst eine Unaufmerksamkeit wie Schwarzfahren kann für "Papierlose" das Ende in Deutschland bedeuten. Unauffälligkeit sei überlebenswichtig, sagt Cindy Hesse. "Wenn man nichts falsch macht, fragt auch keiner nach."