24. Dezember 2016 | Hauptkirche St. Michaelis

Leben und lieben wir das Leben, gemeinsam

24. Dezember 2016

Gottesdienst zur Christvesper, Predigt zu Lukas 2 und Micha 5

Liebe Festgemeinde!

Sicherlich haben auch Sie einen Lieblingsweihnachtsfilm, oder? „Der kleine Lord“ oder Sissi… Meiner ist seit ein paar Jahren der Film „Tatsächlich Liebe“. Gleich elf herrlich komische, aber auch anrührende Liebesgeschichten verwickeln sich hier zu einer einzigen großen Erzählung. Einer Weihnachtserzählung. Mit eben dieser Wahrheit: Es gibt sie tatsächlich, die Liebe. So verstörend die Welt ist, so überaus traurig oder allein man sich fühlen kann, sie bricht sich Bahn. Immer wieder. Unverhofft oder lang ersehnt.

In einer meiner Lieblingsszenen erzählt aufgeregt die kleine Tochter ihrer Mutter: 

„Sie haben die Rollen verteilt für das Krippenspiel!“ –
„Oohh!“, staunt die Mutter, und erwartungsvoll schaut sie ihre Tochter an.
„Ich bin der Hummer!“, strahlt das Mädchen.
„Der Hummer?“ -  „Ja.“
„Das soll ein Krippenspiel sein?“
„Ja! Ich bin der erste Hummer!“
„Bei Jesu‘ Geburt waren sogar mehrere Hummer anwesend?“ - „Ja, aber klar.“

Noch Fragen? Ich finde das hinreißend quer. Wie sich später herausstellt, ist das ganze Krippengeschehen einigermaßen maritim geraten. Der Freund des Mädchens beispielsweise tritt als Oktopus auf und überhaupt sieht der Stall eher wie ein Aquarium aus. Doch als sie singen, wie nur Kinder es singen können: „Mary had a little Baby“, die Maria mit dem Baby im Arm, ist es gleich, ob´s der Hummer ist oder der Esel: Alle haben sie Raum in der Herberge Gottes. Eine Gemeinschaft der im Leben Schwimmenden, der nach Liebe Suchenden, die Schrägen und die Geraden - alle sind sie in dieser kindlichen Krippenwelt wahr, tatsächlich. Und geliebt.

Die Wahrheit des Kindes – sie steht Weihnachten im Mittelpunkt. Zuerst natürlich die des einen Kindes in der Krippe. Aber dann auch alle anderen Kinder. Jedes Kind ist Gottes Kind, und in jedem dieser kleinen Menschen können wir Gottes Zukunftsvision für diese Welt erkennen.

Und wenn man sich dann auf diese Perspektive einlässt, kommt man doch gehörig ins Staunen. Wie unbefangen und eigenwillig Kinder durch die Welt gehen! Wie sie mit offenen Augen Dinge wahrnehmen, die wir selbst niemals entdeckt hätten. Wie sie uns mit unzähligen „Warums“ in die Enge treiben und damit zugleich die ganze Erwachsenenwelt infrage stellen. Tatsächlich? Ist das alles gut, was wir da tun und denken, fragen wir uns dann selbst. Und wir werden gewahr, wie wichtig es ist, so einen Raum der Liebe zu hüten, der das Fragen zulässt. Einen Raum wie eine Herberge, in dem man einander schützt und manchmal auch zumutet. In dem man zärtlich ist und wahrhaftig bleibt. Gleich, was kommt.

Als vergangenen Montag durch den grausamen Anschlag in Berlin zwölf Menschen getötet und so viele verletzt wurden an Leib und Seele -  da war in diesem Entsetzen über die Tat und dieses Ungeschützt-Sein, da war in der Trauer und dem Mitgefühl mit den Opfern auch eine fast eigentümliche Stille. Ein Innehalten, ja Wachwerden für das, was wirklich im Leben zählt.

Es darf nicht Angst und Verunsicherung das Leben dominieren, haben viele gesagt. Gerade auch um der Kinder Willen. Genauso ist es - sagen all die Bibeltexte heute! Leben und lieben wir das Leben, gemeinsam, liebe Gemeinde! Feiert Weihnachten, teilt eure Zeit miteinander. So viele suchen neuen Zusammenhalt! Und dazu gehört, gemeinsam zu beten und zu singen. Also: Gebt den Kindern festen Halt in unseren guten Traditionen. Davon werden sie ein Leben lang profitieren. Sie werden mutig sein und stark und aufstehen gegen Unrecht und Hass. Weil sie wissen, warum!

Sich nicht irre machen lassen vom Irrsinn der Welt – das ist die Botschaft des kleinen Kindes in Bethlehem. Geboren in Armut, die Todesschwadronen des Herodes schon im Anmarsch – all dieses Elend tritt in dieser heiligen Nacht zurück hinter die Verheißung,  die wie ein heller Schein über 2000 Jahre hin die Herzen erreicht hat: „Fürchtet euch nicht!“ , steht da mit großen Lettern. „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Gott ist für uns, Immanuel. Wovor sollten wir uns fürchten? Christ, der Retter ist da. In Bethlehem, der kleinen Stadt.

Genau dort, in Bethlehem, wo dies Krippenkind die Welt aus den Angeln hob, stand ich vor zwei Monaten. Gemeinsam mit katholischen und evangelischen Bischofskollegen waren wir als Pilger gekommen, und wir sangen: „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein“. Bei 30 Grad im Schatten. Warm war´s uns, auch ums Herz, einander nah wie selten. Vielleicht haben Sie schon einmal ein Bild dieser uralten Geburtskirche gesehen: Ihr hoher Haupteingang wurde im Mittelalter verkleinert auf 1,20 Meter Höhe. Erwachsene müssen sich bücken, um hineinzukommen. Nur Kinder können aufrecht hineingehen. Gibt es ein passenderes Symbol für das Himmelreich?

Ganz klein wurden also die Unterschiede, auch zwischen „evangelisch“ und „katholisch“. Ein Moment tiefer Wahrheit, der uns die ganze Pilgerreise über nicht losgelassen hat. Ja, der uns getragen hat in seiner versöhnenden Kraft. Inmitten dieses zerstrittenen Heiligen Landes, im Angesicht dieser hoffnungsverstörenden 8 Meter hohen Mauer mitten durch Bethlehem, die den Unfrieden zwischen Israelis und Palästinensers zu zementieren scheint, inmitten dieser Unversöhnlichkeit hat uns dieser Moment klar gemacht, wie heilsam unser Glaube sein kann. Weil er gerade die Verschiedenheit achtet. Weil er das Erbarmen lehrt, die Liebe zur größten erklärt und Wahrhaftigkeit über alles stellt. Ich bin verändert zurückgekehrt. Gestärkt.  Daher, aus diesem Bethlehem, komme ich, da kommen wir her, habe ich gedacht, auch wir hier in diesem Land. Dort, im Morgenland, sind unsere Wurzeln…

Die Erinnerung daran wird heute noch einmal besonders wach durch das Friedenslicht, das in Bethlehem entzündet wird und das die Pfadfinder treu und beharrlich alle Jahre wieder auch nach Hamburg tragen, bis hin zu uns.

Das Licht leuchtet. Immer. Spricht: Friede ist so bitter nötig! Wir sehen das in unserem Land, aber vor allem auch in Syrien oder im Irak oder in Afghanistan. Wieviel Blut wird dort vergossen, immer wieder? Chlorgasbomben in Aleppo auf die Kinder, guter Gott. Und? Wofür? Diese Sinnlosigkeit ist so fern jeder Weihnachtsbotschaft! Und deshalb ist eine Antwort für mich darauf heute, Weihnachten 2016, dass an Leib und Leben bedrohte Menschen nicht  in ein Land abgeschoben werden dürfen, das eben nicht sicher ist. Kein sicheres Herkunftsland ist Afghanistan. Und so sind die Abschiebungen dorthin hochproblematisch.

Und weiter: Die Welt ist in den letzten Monaten noch einmal besonders in Unruhe geraten, es wird auf- statt abgerüstet. Mit Waffen und mit Worten. Wie wichtig ist es deshalb, liebe Friedensgemeinde, all denen den Rücken zu stärken, auch in der Politik!, die besonnen bleiben und die sich für unsere demokratischen Werte stark machen, die hinhören und klar sind und ehrlich, auch wenn´s unpopulär ist.

Und ich höre plötzlich die Prophetenworte des Micha ganz neu – gesprochen übrigens vor 3000 Jahren zu einem zutiefst verunsicherten Volk:  „Und sie werden sicher wohnen, denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. Und er wird der Friede sein.“ 

Micha traut den alten Verheißungen, und das sind alles andere als leere Versprechungen. Für uns Christen ist ja genau in dem Krippenkind diese Verheißung wahr geworden. Tatsächlich. Weihnachten ist der Anfang von etwas ganz Neuem, Verheißungsvollem. Ist Zukunft und Zuversicht. Ich glaube, dass gerade Kinder das spüren. Und ich glaube auch, dass zu Weihnachten wir Erwachsenen unser Kindsein immer wieder erinnern – als groß Gewordene, die zurückblicken auf eine Zeit, in der sie selbst noch unbefangen und neugierig die Welt betrachteten. Ganz gleich, wie wir heute sind, wie wir zum Leben stehen oder zum Glauben.

Ein Freund erzählte mir jüngst dazu folgende Begebenheit. Er verkaufte auf dem Gemeindebasar Krippenfiguren, geschnitzt aus Olivenholz von palästinensischen Handwerkern. Ein älteres Paar tritt an den Stand heran, schaut sich verstohlen die Krippe an, er überlegt, sie zögert - schließlich fasst sich der Mann ein Herz und fragt: „Entschuldigen Sie – ich bin nicht gläubig – kann ich die Krippe trotzdem kaufen?“ „Aber selbstverständlich!“ ist die verdutzte Antwort. „Ja, wissen Sie, ich finde die Krippe einfach schön“, erklärt der Käufer fast entschuldigend, als er sie behutsam entgegen nimmt.

Was mir dabei nachgeht, ist diese respektvolle Vorsicht und Sehnsucht zugleich. Als hätte ihn etwas im tiefsten Inneren berührt. Er-innert. Und mir ist so wichtig heute, dass das sein darf! Es geht bei der Weihnachtsgeschichte nicht um religiöse Korrektheit. Sondern um tatsächlich Liebe. Darum, dass man  - auch wenn man mit dem Glauben nicht so viel anfangen kann – sich vereint in tiefer Friedenssehnsucht. Darin, Liebe zu üben, um den Hass aus der Welt zu vertreiben.

Und so sind wir alle es, sind es ganz verschiedene Menschen, Tiere und Figuren, die sich um die Krippe sammeln. Sie ist wie ein Raum des Lebens, in dem jede/r in Würde seinen Platz hat. Maria und Josef, natürlich die Hirten. Und ganz gewiss die Frau, die ihr erstes Weihnachtsfest ohne den geliebten Ehemann verbringen muss. Ganz gewiss auch der junge Mann im gebügelten Anzug, der aus Syrien geflohen ist und heute ehrenamtlich Küsterdienste macht. Ein Unternehmer, der jedes Jahr Geld an eine Obdachlosenunterkunft spendet, ohne dass jemand es weiß. Die berufstätige Mutter, die sich um ihre kranken Eltern kümmert und dringend eine Pause braucht. Und viele Kinder sehe ich dort stehen, kichernde Knirpse und coole Konfirmanden. Alle sehnen sie sich nach Licht und nach Gemeinschaft und nach Frieden auf Erden. Achja, alle: Die Ochsen natürlich, die kleine Katze, nicht zu vergessen der Hummer, Nummer eins und zwei.

Das Kind in der Krippe findet das alles sehr schön. Es weiß, dass alle um seinetwillen gekommen sind. Und dass man sich wiedersehen wird. Im kommenden Jahr vielleicht schon. Der Himmel wird aufgeschlossen in dieser Nacht, und dieser Moment hält ein Leben lang vor. Wer diese Erinnerung bewahrt, weiß, wo er zu Haus ist. Und wird gestärkt gehen in die Zukunft. Behütet. Gesegnet. Geliebt. Tatsächlich.

Ich wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete Weihnacht. Und der Friede, der größer ist als alles, was wir denken können, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, Jesus Christus, die Liebe in Person.
Amen

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