18. Februar 2018 | Hauptkirche St. Trinitatis Altona

Leichten Schrittes ins Neue gehen

18. Februar 2018 von Kirsten Fehrs

Invokavit, Predigt zu 2. Korinther 6, 1-10

Liebe Ordinationsfestgemeinde!

Zitat: „Es hätte nicht besser kommen können – da lässt sich kreativ arbeiten in St. Jürgen! Mit einer gigantischen Jugendarbeit!“ Oder: „Ich habe große Lust, endlich anzufangen in Bodelschwingh, auch mit all den Baustellen.“ Und: „Wo hat man das schon, dass einem an Heiligabend zur Begrüßung die Gemeinde applaudiert, toll!“ Oder: „Ich habe mich so gefreut, in die Stadt und dann auch noch nach Iserbrook zu kommen; so viele offene freundliche Hamburger in dieser Gemeinde, schön!“

Ungelogen, liebe Gemeinde, die Liste der Freudefunken könnte ich mühelos weiter aufzählen, die während der Ordinationsrüstzeit die Stimmung gewärmt haben. Aufbruch, Neugierde, Interesse, Herz– ich habe Sie drei so gern kennengelernt als begabte, mutige und feinfühlige Menschen. Und so freue auch ich mich, ehrlich, dass Sie in unserer Kirche nun Ihren Dienst tun.

Das ist das erste Stichwort. Ehrliche Freude, die Tiefgang hat. Gerade in Ihrer Freude, liebe Ordinandin und Ordinanden, steckt ja sehr viel Erfahrung, durchlebte und mitunter durchlittene. Sie haben studiert, praktiziert, haben Schuhe verkauft und Brezeln, Seelsorge geleistet hinterm Tresen und am Telefon und überhaupt vielseitig im Leben hospitiert. Und Sie kennen vom Vikariat gemeindliche Wirklichkeit, kennen Küsterdienst  und Posaunenharmonie, kennen Kita-Dynamik und Gremienwald. Sie sind den ganz besonderen Weg zum Grab mitgegangen und haben Kinder über die Taufe gehalten. Sie haben getröstet, mitgefühlt, in Sprache gefasst. Und Sie sagen nach all dem ein deutliches Ja dazu Pastor, Pastorin sein zu wollen, Christus nachzufolgen und ihn zu verkündigen. Was sollte ich Ihnen also anderes predigen als: Welch ein wunderbarer Segen, der sich in Ihnen entfaltet. Und so mischt sich in die ehrliche Freude darüber die Dankbarkeit. Ich danke Ihnen, den Eltern und Angehörigen, denen, die Sie bisher begleitet, auch ausgebildet haben. Und ich beglückwünsche diejenigen, die nun in den Gemeinden mit Ihnen zusammen arbeiten und wirken werden.

„Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt.“ Oje, und nun so ein Predigttext. „Ermahnen, vergeblich“ - doch Wasser in den Wein all der Freudenfunken? Trübsal, Gefangenschaft, Mühen, in bösen und guten Gerüchten, der Predigttext enthält aufs erste Hören jede Menge dämpfende Begrifflichkeit. Es ist halt Passionszeit….

Doch aufs zweite Hinsehen, da dreht es sich. Frohe Botschaft erhält ihre Wahrheit überhaupt oft erst, wenn man sich die Zeit nimmt, das Ganze zu sehen, in dem man es ein wenig hin und her wendet. Z.B. nicht verleugnet, dass es bei allem mutigen Anfang auch Störungen gibt, die aus der Balance bringen. Sie, liebe Ordinanden, haben sich diese Zeit genommen. Haben erzählt, wie Sie geworden sind. Wie  Sie öfter in Ihrem Leben die Krisenmenetekel der eigenen Biographie bewältigt haben. Hin- und hergerissen zwischen theologischen Ausrichtungen, zwischen eigenem Wünschen und dem Wollen anderer, dem Ringen um Glaubens mitten im Zweifel. Sie haben Heimat gesucht und auf je eigene Weise gefunden. Und das macht Sie sehr kraftvoll. Jetzt! zu sagen. Jetzt  anfangen! Jetzt ist die Zeit, in der man mit neuem Fahrrad und weisen Erkenntnissen, mit Familie und Freundinnen, – und jeder Menge Umzugskartons – im Lebenshaus umzieht. Jetzt, jetzt ist es richtig(e) Zeit.

Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit.  Paulus trifft den Nerv.  „Willkommen-Zeit“, danach geht das Sehnen. Er kennt das ja auch, in und mit Gemeinden neu anzufangen. Immer wieder. Samt all der Niederungen des Alltags.

Daher: Jetzt! Es ist Zeit anzufangen. Paulus meint dabei einen Anfang, der immer das Ziel kennt. Und das heißt: Heil. Oder: Herrlichkeit. Herrlichkeit, die nicht etwa im Jenseits erst beginnt, irgendwann, sondern hier und jetzt dein Leben ausrichtet. Darauf, die Freude am Leben aufzusuchen. Dazu sollen frei werden! Als die Armen, auch manchmal Traurigen, die dennoch so viel in sich haben, um viele reich machen“. Es gibt so viel anzufangen, aufzubauen, aufzurichten. Denn so viele, das haben Sie in Ihren Vikariatsgemeinden erlebt, suchen unsere Fürsprache als Kirche, unseren Meinungsmut, und so etwas wie Hoffnungsgewissheit – auch wenn oder gerade weil der Glaube etwas Fremdes geworden ist. Wir sind – so Paulus – eben nicht Herren, Herrscher des Glaubens, keine Dogmatiker. Wir sind Diener/innen der Hoffnung, Gehilfen der Freude! 

Was für ein dynamischer Text. Ein PzA-Text: Paulus zum Anfangen. Denn er sieht sich und uns als Gottes Diener in allem, was das wahre Leben meint. Mit seinen Freudenfunken, aber auch mit dem dünnen Eis, mit der Verwundbarkeit von Glück. Weiß doch gerade Paulus, was es heißt, nicht willkommen zu sein  - allemal in Korinth. Aber viel tiefer noch: sich im ganzen Sein bedroht zu fühlen und gefangen, mit dem Gefühl am Ende zu sein und fliehen zu müssen.

Auch weil er glaubt und Christ ist.

Und mir geht nach, was es für eine Gnade ist, dass wir in einem Land leben, in dem Religionsfreiheit und Toleranz wesentlicher Wert ist. Im Nahen Osten, gar im heiligen Land selbst, erleiden unsere christlichen Geschwister Verfolgung und Folter – das habe ich vor Ort zutiefst besorgt erlebt. Den meisten bleibt irgendwann nur die Flucht. Die Achtung vor der Religion anderer, ja der Dialog als immerwährende Brücke zwischen den Religionen ist unbedingt unser aller Gottes-Dienst in dieser Gesellschaft, liebe Geschwister, in der die Hassparolen lauter werden. Nicht wegducken, wenn´s unsäglich wird, gerade nicht das: Schnell, weg, weggeschaut, weg gegangen, zu schräg, laut, fremd und kompliziert!

Nein, sagt Paulus. Hingeschaut. Siehe! In allem sind wir Gottes Hoffnungssucher! Als die Sterbenden, und siehe wir leben. Als die Geschlagenen, Gefangenen, im Wachen,  im Fasten, aber auch: siehe: in ungefärbter Liebe, die uns zu leuchten in die Lage bringt - In allem erweisen wir uns als Diener Gottes. Paulus deshalb; schaut das alles an. Gleichermaßen. Lebt in dieser Wirklichkeit mit ihren Kontrasten und Entwertungen.  Ihr habt allen Grund dafür. Grund, um hinzusehen, auszuhalten, mitzufühlen, zu protestieren.

Siehe. Dieses kleine unscheinbare Wort ist die Spitze im Predigttext, liebe Gemeinde. Darin glaubt es sich, hofft es sich und liebt Gott mich heraus aus der Ungnädigkeit.  Siehe – das  ist Dreh- und Angelpunkt für die andere Sicht der Dinge. Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade. 

Siehe – es geht um das, was konkret ist. Das was in dieser Wirklichkeit von Gott erfahrbar ist (wenn auch nicht immer sichtbar). Heißt: Wir müssen uns nicht,  wenn wir von Gnade reden und Heil, in abstrakten theologischen Gedanken bewegen. Siehe –  es ist davon zu reden, wie Christus hier und jetzt anschaulich wird in dieser Wirklichkeit. Das ist unser Auftrag. Der von uns Pastor/inn/en, aber auch von allen Christenmenschen. Wir haben eine Sprache zu finden, immer wieder, die davon erzählt, wie Christus uns segnet inmitten all unserer Alltäglichkeit. Denn wer etwas von ihm erlebt, erkannt hat, der lebt sehnsüchtiger, liebt leidenschaftlicher, handelt klarer, betet inständiger. Wer Christus gesehen hat, dem sieht man es an. Berührt von einer tiefen Freude, die niemand verloren gibt –  kein Kind, keinen Stern, keinen Traum und keine einzelne Träne.

Wie Christus anschaulich wird im Alltag, überraschend, kraftvoll, unverhofft segensreich, dazu meine Schlussgeschichte: Berliner Kirchentag. Abgehetzt komme ich in die Messehallen. Ein Interview im Café Inclusiv von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf steht an.

Mein Interviewer Michael erwartet mich schon ungeduldig. Er ist um die 50, teilweise erblindet und hat eine geistige Behinderung, vor allem aber hat er wegen dieses Interviews die ganze Nacht nicht geschlafen. All das erzählt er mir, während wir auf die  Bühne gehen. „Jetzt machen wir aber alles so, wie ICH das geplant hab´, sagt er. „Klar“, erwidere ich, wer zu spät kommt, der fügt sich!“

Michael beginnt das Interview – mit einem Gebet: „Ich danke dir, Vater im Himmel, dass du auf uns alle aufgepasst hast und uns beim Kirchentag nichts passiert ist. Ohne dich kommen wir da ja auch gar nicht durch. Amen.“

Und ich denke: Junge, der weiß, was inständiges Beten ist. Dann stellt Michael seine Fragen: was man denn so tut als Bischöferin. Beten, sage ich, gehört unbedingt dazu. Und seines sei ein ganz besonders schönes gewesen. Da strahlt er und stellt weiter seine Fragen. Klug. Ein bisschen raffiniert auch. Und weil ihm das sehr gefällt, beantwortet er die Fragen auch gleich selbst.

Als er durch ist, fragt er gespannt: „Na, wie fandest du mein Interview?!“ „Großartig“, antworte ich wahrheitsgemäß, „so ein tolles Interview habe ich wirklich noch nie erlebt!“ Und er, total aus dem Häuschen: „Ach, ich bin so froh, ich bin so glücklich, dass ich das mit dir hinter mir hab´… Und jetzt will ich dich segnen.“ Und dann hält er die Hand über mir und sagt: „Lieber Gott, wir bitten dich, begleite auch die Bischöferin, dass ihr ja nix passiert. Und sie immer diese Hoffnung hat. Kannst sowieso nur du. Amen.“

Ich wünsche euch von Herzen, liebe Geschwister, liebe Ordinanden, dass Menschen immer wieder für euch beten und euch segnen. Gerade weil wir uns manchmal so hoffnungslos verfahren können und abhetzen und nicht immer allein die Kraft haben. Ich wünsche Euch viele Segensbegegnungen, die dich leichten Schrittes ins Neue gehen lassen. Reicher geworden, an Hoffnung und Freude. Und einem tiefen inneren Frieden. Dieser Friede, höher ist als alle Vernunft, bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
18.02.2018
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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