10. Mai 2015 | Hamburg, Segelschulschiff „Gorch Fock“

Macht euch auf, tragt Freundschaft in die Welt

10. Mai 2015 von Kirsten Fehrs

Rogate, Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des 826. Hafengeburtstages mit einer Predigt über Johannes 15, 9-17

Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander!

Liebe ökumenische Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern,

es ist schon beeindruckend hier auf der Gorch Fock; mir kam es vom ersten Moment an vor wie eine eigene Welt. Eine eigene Welt mit eigenen Regeln und Herausforderungen. Und ehrlich gestanden war ich überrascht, wie klein, oder sagen wir: wie überschaubar dieses Schulschiff ist. Viele junge Menschen leben hier auf recht engem Raum – es ist eine Crew, der es offenkundig eine Ehre ist, hier zu leben und zu arbeiten. Und sie machen es mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit, es geht ihnen um jedes Detail, dass es stimmt. Bis hin zum Kirchencocktail ... Ich bin sehr dankbar, hier zu sein und Sie kennenlernen zu dürfen, dankbar auch zu sehen, wie Sie eines eint: nicht nur Ehre, sondern echte Liebe zu diesem Schiff.

Et voilà:

neunzehnmal das Wort Liebe in nur zwei Lesungen – es geht heute, am 6. Sonntag der Osterzeit und Muttertag zugleich, um eigentlich das größte Thema des Lebens: die Liebe. Mit all ihren Facetten. Liebe, die uns tanzen lässt und zittern. Sie, die uns trägt und hält und glücklich macht, und auch manches Gewitter mit durchleidet und übersteht. Der Mensch vergeht ohne dieses zärtliche Gefühl – zur Frau, zum Mann, zum Sohn und zur Enkelin, zur Mutter und zur Freundin. Aus lauter Liebe werden wir in diese Welt geboren, und – so Gott will – in Liebe und Zuneigung werden wir diese Erde auch wieder verlassen. Die Liebe ist also das A und O, Anfang und Ende unserer Existenz – und deshalb ist sie die Größte und nur geschenkt zu haben.

Liebt einander – es ist das Reichste, was man einander geben kann. So sagt es auch Jesus denen, die er liebt: Seinen Jüngern. Es ist dies eine besondere Liebe, um die es im Evangelium heute vor allem geht, nämlich die der Freundschaft. Sie entsteht, weil man gemeinsam einen Weg geht. Durch Höhen und Tiefen. So haben die Jünger und Jesus miteinander wunderbare Begegnungen erlebt, aber auch Einsamkeiten und beängstigende Stürme gemeinsam überstanden.

Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Jesus sagt ihnen dies zum Abschied. Denn er weiß, dass er gehen muss. Unausweichlich. Also will er ihnen Tröstliches und Ermutigendes mit auf den Weg geben: "Ihr seid meine Freunde. Macht euch auf und tragt Freundschaft in die Welt. Nur so entsteht der Friede, wie ich ihn euch aufgetragen habe." Ein Abschied mit letzten wichtigen Worten.

Abschied nehmen, das kennen sie wahrlich, die Seeleute. Nicht nur, dass Hafen auf Hafen folgt. Sondern immer wieder müssen sie sich für lange Zeit von ihren Freunden, Partnerinnen, Familien verabschieden. Mit letzten wichtigen Worten und Gesten, die eine ganze Weile hinreichen müssen. Weil man dann auf einem Schiff lebt, mitten im Ozean, das trotz Satellitenkommunikation und WhatsApp tatsächlich der letzte Ort ist, wo es einem auch heutzutage noch passieren kann, dass man wirklich abgeschnitten ist vom Rest der Welt…

Und ich stelle mir vor, wie für Sie, die Sie auf diesem Schiff Dienst tun, der Begriff Freundschaft eine neue Bedeutung bekommen haben mag. Wie kann man die Kontakte zu den Freunden an Land pflegen, wenn man sich so selten sieht? Und vor allem dies: Wie ist das mit den Freundschaften zu Kollegen, zu Kameradinnen und Kameraden, die man jeden Tag sieht und auf diesem knapp 90 Meter langen Schiff eventuell viel häufiger, als einem lieb ist? Wenn man wie Sie auf dermaßen engem Raum lebt, dass eine Privatsphäre schlechterdings nicht möglich ist. Kein Wunder, dass schon Gorch Fock sich darüber Gedanken gemacht hat: "<link http: gutezitate.com zitat>Wie sucht man auf und ab nach dem Freunde, der alles recht verstehe und an allem teilnehme! Und findet ihn nicht! Wie leicht fände man diesen Freund in sich selbst! Und sucht ihn da nicht!"

Ich gestehe, nur sich selbst zum Freund zu haben, das hört sich ausgesprochen einsam an. Und das reicht doch auch nicht? Genauso wenig übrigens, wie es reicht, mit Menschen bloß per Facebook befreundet zu sein. Echte Freundschaft braucht Direktheit und Blickkontakt, die Berührung, die leisen Worte und das laute Lachen, das gemeinsame Essen und Trinken, gern auch Kirchencocktails. Und sie braucht vor allem eins: Gemeinsame Erlebnisse und ein Einstehen füreinander, durch Hochs und Tiefs. "Einander lieben", sagt Jesus dazu. Und meint damit: Dass man aneinander "andockt". Indem man den anderen sozusagen an Bord lässt, an Bord der eigenen Gedanken und vielleicht sogar Gefühle. Auch und gerade, wenn der oder die andere ziemlich anders ist als man selbst…

"Ziemlich beste Freunde" – das ist ein wunderbarer Kinofilm, der genau solch eine Freundschaft beschreibt. Darin sieht man Philippe, einen reichen Franzosen, der seit seinem Absturz beim Paragliding vom Hals abwärts gelähmt ist. Er sucht einen Pfleger. Einer der Bewerber ist der aus dem Senegal stammende Driss. Er kommt gerade aus dem Gefängnis und will eigentlich gar keinen Job, sondern nur eine Unterschrift für's Arbeitsamt. Seine direkte, freche Art jedoch gefällt Philippe, so stellt er ihn zur Probe ein. Ein Freund warnt Philippe: Dieser Mann kommt aus dem Knast, er kennt kein Mitleid. Philippe antwortet: "Genau das ist es, was ich will: Kein Mitleid."

Obwohl oder gerade weil sie so unterschiedlich sind, freunden die beiden Männer sich an. Dabei ist es völlig egal, dass Driss keinerlei Pflegeausbildung hat. Als Philippe eines Nachts eine Atemnot-Attacke erleidet, nimmt er ihn einfach in den Arm. Und Philippe verliert die Angst. So gewinnt der behinderte Philippe wieder Lebensfreude dank der gewitzten, zupackenden und respektlosen Art von Driss. Dieser wiederum lernt von Philippe, dass man tatsächlich ohne kriminelle Energie durch's Leben kommen – ja wie man überhaupt ein Ziel im Leben verfolgen kann.

Ziemlich beste Freunde sind sie, auch im wahren Leben, bis heute. Mit einer Zuneigung, die das Anderssein des anderen nicht nur aushält, sondern wünscht und mag. Vielleicht ist das hier an Bord auch so: dass man nicht nur kollegial ist als Kamerad/in. Sondern Freundschaft entsteht. Mit einer besonderen, da ist das große Wort wieder: Liebe. Groß deshalb, so fügt Jesus es unvermittelt hinzu, weil sie etwas mit Hingabe zu tun hat: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt."

Das ist nun wahrlich kein einfacher Satz. Vor allem deswegen nicht, weil er lange Zeit total missbraucht wurde. Er war das Leitmotiv für viele Kriegspredigten im Jahre 1914, als junge Männer damit motiviert werden sollten, begeistert ins Feld zu ziehen. Noch heute können wir diesen Vers auf vielen Kriegerdenkmälern lesen.

Jedoch ist er völlig aus dem Zusammenhang gerissen! Der Evangeliumstext, den wir eben gerade in Gänze gehört haben, ruft ja gerade nicht zum Sterben auf. Er redet vom Leben und Lebensfreude! Und er beschreibt die Qualität von Freundschaft: Sie kann Menschen dazu bringen, dass sie sich komplett verändern und sich ein Leben ohne den Freund gar nicht mehr vorstellen können – wie bei den Jüngern und bei Philippe und Driss. Vielleicht kann eine Freundschaft soweit gehen, dass einer für den anderen stirbt – auch dafür gibt es beeindruckende Beispiele, von denen wir ebenfalls in diesen Tagen hören: Etwa von den Todesmärschen 1945, die manche nur deswegen überlebten, weil andere für sie freiwillig auf ihre karge Brotration verzichteten. "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt", das passt in diese Situation.

Aber einfordern, verherrlichen, als Ziel hinstellen darf man dieses Opfer nie! Erst recht nicht darf ein Staat seine Bürger dazu drängen, ihr Leben für ihn hinzugeben. Unser Gott, liebe Schwestern und Brüder, ist ein Gott des Lebens. "Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt", so sagt es Jesus.

Der Zweite Weltkrieg ist nun 70 Jahre her, wir gedenken in diesen Tagen der Opfer und der Befreiung. Und es ist in aller Konsequenz wieder deutlich geworden: Die Kirchen haben nachdrücklich jeglichem Nationalismus und Militarismus abgeschworen, dem auch sie zuvor zu großen Teilen verfallen waren. Wir haben uns als Christen einzusetzen für Frieden und Gerechtigkeit.

Da gibt es keine Zweideutigkeit: Krieg soll um Gottes Willen nicht sein, das ist die klare Botschaft. Und das war ein Lernprozess, den ja die ganze Gesellschaft durchmachen musste. So prägt die Einsicht, dass wir dem Frieden verpflichtet sein sollen, ja eben auch den Dienst, der auf diesem Schiff und darüber hinaus in der Bundeswehr getan wird.

Es gehört für mich zu den schweren Wirklichkeiten in dieser Welt, dass wir Soldaten und Soldatinnen auch weiterhin brauchen. Etwa um Handelsschiffe vor Piratenüberfällen zu schützen. Oder um die Schiffe zu begleiten, die auf hoher See syrische Chemiewaffen unbrauchbar gemacht haben. Oder – ganz aktuell – um Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten, wie es jetzt dankenswerterweise durch die Bundesmarine geschieht. Und auch wenn ich das europäische Engagement dort nach wie vor für viel zu gering halte – Sie, die Soldatinnen und Soldaten, können ja nun wahrlich nichts dafür. Und so ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen an dieser Stelle herzlich für Ihren Dienst zu danken.

Wichtig bleibt, dass Sie eingebunden bleiben in die Werte-Diskussionen, aber auch in die Solidarität unserer Gesellschaft. Wir als Kirche haben uns hierzulande einzusetzen dafür, dass Konflikte zivil und demokratisch gelöst werden. Dazu leiten uns die Abschiedsworte Jesu, wenn er sagt: "Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben." Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, liebe Geschwister! Freundschaft zu wagen, allen Feindlichkeiten und Hassrednern zum Trotz!

So möge uns der barmherzige Gott in seiner Liebe zusammenhalten, wärmen und ermutigen, neue Horizonte auszumessen. Auf dass sein Friede unsere Herzen erfülle, wie ein warmer und schneller Wind diese Segel hier über mir.

Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus!

Amen.

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