4. November 2017 | Hauptkirche St. Katharinen Hamburg

„Mein Paradies auf Erden“

04. November 2017 von Kirsten Fehrs

Käthchens Kantine, Impuls zu den Martinstagen

Liebe Gäste,

herzlich willkommen: Zum Meinungen hören und austauschen am Round Table! Ganz besonders begrüße ich unser Moderatorenteam Kai Schächtele und Gerd Pischetsrieder und natürlich unsere Expertinnen und Experten, die uns das Paradies auf Erden entdecken werden. Ich freue mich, dass Sie der Einladung in die schöne Katharinenkirche gefolgt sind. Hierhin in Katharina von Boras Küche, meistens ja sowieso der gemütlichste Ort in einem Haus, an dem die interessantesten Gespräche stattfinden.

Also machen Sie es sich bequem  -  bei Käthchens Kantine geht es nicht so formal zu, da darf jeder sich einmischen. So war das vor fast 500 Jahren, als Martin Luther und seine Frau Katharina von Bora Studenten eingeladen haben, um zu disputieren. Luther hat ja Tischreden ohne Ende gehalten. Nicht immer mit den salonfähigsten Worten, zugegeben. Zum Glück hat Käthe ihn immer wieder auf den Teppich geholt.  Sie war seine „Herr Käthe“, wie er sie zärtlich nannte. Denn so grobschlächtig Luther war, seine kluge Käthe hat er wohl wirklich geliebt, Liebe ist wie ein heißer Backofen hat er gesagt, und wie das Paradies auf Erden….

Was ist mein Paradies? Was ist Ihr Paradies? Wenn Sie die Augen schließen und einen Moment lang nachdenken, welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn?

Ich vermute – und so hörten wir es eben von unseren Expert*innen ja auch schon - , dass bei vielen von Ihnen sich Bilder eines Gartens einstellen oder zumindest Naturbilder, Bäume, vielleicht Palmen. Ein kleiner Teich oder ein Strand. Einsam oder zu zweit….

Das zeigt, dass die Vorstellungen vom Paradies immer noch ziemlich genau dem entsprechen, was die Bibel darüber schreibt. In der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose heißt es: "Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme."

Bäume, Früchte, klares Wasser – das sind die Grundbestandteile des Paradieses. Kein Wunder. Denn geschrieben wurden diese Texte ja im Nahen Osten, wo es viel karges Land, Steine, Wüste gibt. Eine Oase in lebensfeindlicher Umgebung, das ist das Paradies. Und das griechische Wort "paradeisos", ein Lehnwort aus dem Persischen, bedeutet eigentlich "umzäunter Bereich" und bezeichnete ursprünglich die persischen Königsgärten. Ein Sehnsuchtsort für alle Nomaden, Bauern und kleinen Leute, die selbst nur auf sehr unfruchtbarem Grund lebten.

Die Paradieserzählung steht ziemlich am Anfang der Bibel, und sie erzählt, wie Himmel und Erde geworden sind. Sie versteht sich nicht als historischer Bericht, sondern setzt der Gegenwart eine Erinnerung entgegen - eine Erinnerung an einen Urzustand, in dem das Leben nicht von Arbeit, Ausbeutung und Mühsal bestimmt war.  Will heißen: So wunderschön könnte es sein, wenn da nicht...

Ja, wenn nicht was? Die Schlange gewesen wäre und der Granatapfel und die Verführung und was weiß ich.

Die Erzählung vom Paradies ist immer auch die Erzählung vom verlorenen Paradies. Adam und Eva, die Frucht vom Baum der Erkenntnis, die Vertreibung aus dem Garten Eden - auch das sind Bilder, die zum immer noch weit verbreiteten kulturellen Gedächtnis unserer Gesellschaft gehören. Der Koran kennt sie übrigens fast genauso wie die hebräische Bibel.

Aus der Traum! Die wirkliche Welt ist vom Paradies weit entfernt und war es immer schon. Das Paradies ist - mit einem anderen griechischen Wort - ein Ou-Topos, ein Nicht-Ort. Aber einer, der nicht nur in der Vergangenheit liegt, sondern dessen Strahlkraft unser Leben immer irgendwie erreicht, als Sehnsucht, nie ausgeträumter Traum, als Liebeslust und Begehren – eine Utopie, die die Kraft hat, die Realität neu auszuleuchten und zu verändern.

Der Theologe Paul Tillich beschreibt die Erzählung vom Paradies als einen Rückgriff des Menschen auf einen Zustand, den er als "träumende Unschuld" bezeichnet. Dabei verwebt sich beim Träumen ja in ganz besonderer Weise Wirkliches und Unwirkliches. Das ist das eine. Und Unschuld, das ist das zweite, ist gekoppelt daran, dass man noch im Zustand des Reinen ist, also nichts Schwieriges erlebt hat. Kein Dilemma, kein Konflikt. Unschuld ist ohne moralische Schuld. Aber auch ohne Verantwortung. Unschuld – die gehört vor allem der Kindheit. Und man verliert die Unschuld, zunehmend, je älter wir werden.  Anders gesagt; Wir verpassen das wirkliche Leben, wenn wir im Zustand der träumenden Unschuld bleiben. Denn jedes Erkennen, Handeln, Verantwortung übernehmen, ja die Autonomie zu wollen ist immer mit Verlust der Unschuld verbunden. Das ist so seit Adam und Eva: Indem sie sich im Essen der Erkenntnisfrucht als nackt erkennen, also (ihrer) selbst bewusst werden, beginnt die Vertreibung aus dem Paradies.

So sehr dann das reale Leben mit Mühe verbunden ist – jede Progression ist Lust und Verlust zugleich – es bleibt die Sehnsucht nach der träumenden Unschuld in jeder Seele, irgendwie. Erich Kästner hat es einmal so gesagt: "Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. …. Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch."

Darum geht es heute: Die Bewahrung der Idee, dass unser Leben mehr  ist als unser Alltag zeigt. Das hat eine individuelle Komponente, aber auch eine gesellschaftliche. Eine die Gemeinschaft stärkende Kraft . Das Paradies nährt unsere Vision vom anderen, Besseren, Vollständigen, und das gibt Hoffnung auch angesichts dessen, was furchtbar grausam ist und zerrissen und so völlig irre.

Es ist eine Suche von Gnade in gnadenloser Welt, sagt der alte Luther. Nach einer Realität jenseits Wahrnehmung des Augenscheins, bei der man gerade nicht herausfiltert, was erschreckend ist und beunruhigend. Für Luther, Käthe und für mich auch bedeutet das der Glaube: eine Auseinandersetzung mit der Tiefe des Lebens. Mit dem Schmerz und dem Müll und dem, was Menschen durchleiden, aber auch mit den überraschenden Momente, in denen einen das Glück überfällt und die Liebe und das Begehren. Dann wird Musik zu Paradiesmusik. Und keine Aufklärung der Welt kann einem diesen inneren Moment der Wahrheit nehmen, dass man zu Hause ist. Angekommen. Beieinander. Und deshalb manchmal gar im Paradies.

Ich freue mich zu hören, was denn Ihr Paradies ist auf Erden. Und danke sehr für diese gemeinsame Zeit.

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