1. Januar 2017 | Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg

Mit Zuversicht und friedvollem Herzen

01. Januar 2017 von Kirsten Fehrs

Krippenandacht am Neujahrstag, Predigt zu Hesekiel 36, 26

Liebe Neujahrsgemeinde,

neu sollen wir ins neue Jahr gehen. Auch wenn viel hinter uns liegt, im alten Jahr, was uns nicht loslässt. Weil es verstörend bleibt. Was da passiert – in Aleppo. Tausende Kinder auf der Flucht. Die Trauernden in Brüssel. Nizza. Zuletzt Berlin. Furchtbar. Überhaupt die ganze Verunsicherung durch Terror, Gewalt, neuen Nationalismus. Nein: Neu! „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“

Die Jahreslosung setzt alles auf Anfang. Es ist viel Böses passiert, aber dies Krippenkind hier ist gut. Gott hält es uns entgegen - Gott, wie nahe er uns ist! Er schenkt uns wirklich seinen Sohn. Das Liebste. Teuerste. Nur damit wir uns erneut ein Herz  fassen und seinen Geist leben, der zum Guten verändert. Viele Menschen haben ja schon im alten Jahr gezeigt, wie es gehen kann. Auch wenn sie aus meiner Sicht medial viel zu wenig zu Wort kamen. Sie zeigen Mitmenschlichkeit und Herz, ohne Obergrenze. Packen an, wo Not ist. Ich erlebe z. B. in den Kirchengemeinden immer noch eine ungebrochene Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen. Anders als vor einem Jahr, als es mehr um Krisenmanagement ging, vertieft sich das Miteinander, man geht einen Weg, unbeirrt und zugewandt. Das ist Integration!

Andere engagieren sich für Kinder mit mehrfachen Behinderungen oder versorgen Obdachlose oder sitzen stundenlang an den Telefonen der Telefonseelsorge – wie viele einsame Menschen gerade jetzt in diesen Stunden anrufen! -  sie besuchen Kranke, begleiten Sterbende, lernen lesen mit Migrantenkindern.  Interessanterweise kommen von diesen Engagierten keine Klagen. Europa kann deutlich mehr brauchen von der Furchtlosigkeit dieser Hilfsbereiten, die einfach tun und nicht lang schnacken. Die immer wieder einen neuen Anfang machen, weil sie sich danach sehnen, dass die Welt eine bessere wird. Viele, sehr viele sind es, die den Zusammenhalt stärken wollen in dieser Gesellschaft – ich bin sicher, auch im neuen Jahr. Bleiben wir dran, liebe Gemeinde!  

Zugleich ist da Unruhe – und sie darf nicht klein geredet werden, weil sie sonst übergroß wird. Mich erinnert die Jahreslosung an ein berühmtes Wort des Kirchenvaters Augustinus: „Ruhelos ist unser Herz bis es Ruhe findet in dir.“ Wir sind, bei allem, was wir tun, immer wieder leicht zu verunsichern. Auch wenn es uns gut geht. Denn materiell, soviel steht fest, geht es uns Deutschen so gut wie selten – auch wenn das Vermögen recht ungleich verteilt ist. Die Unruhe wächst vielleicht deshalb; erst recht aber wächst sie, wenn wir in innere Not und Zweifel geraten.

Und genau hier setzt die Jahreslosung an. Ich lege einen neuen Geist in euch… Als sich der Prophet Hesekiel 587 v. Chr. mit eben diesen Worten an das Volk Israel wendet, ersehnt es nichts mehr als „alles auf Anfang“. Auch mit Gott. Doch im Moment ist alles zu Ende. Der Tempel, das Heiligtum zerstört. Gott wohnt nicht mehr bei ihnen, glauben sie. Innerlich entwurzelt leiden die Israeliten in der Babylonischen Gefangenschaft dann auch äußerlich unter ihrer Heimatlosigkeit.

Und mir kommt in den Sinn, dass es wie den Israeliten damals auch vielen Menschen heutzutage so geht: Entfernt von Gott wie nie. Der scheint tatsächlich unbekannt verzogen. Und nun, ohne Dach und Segen, ohne Stern und Himmel fehlt der Kompass. Und ohne Orientierung wächst die Angst. Und das Herz versteinert, sagt Hesekiel.

Recht hat er. Denn Ängste sitzen bekanntlich tief. Eben im Herzen. Ängste engen das Herz ein, buchstäblich, kommt Angst ja schon etymologisch von „eng“ – wobei das Herz  im hebräischen Denken weit mehr umfasst als das Gefühl, das innere Flattern, Rasen und Zittern. Das Herz meint auch den Verstand und die Vernunft, das ständige Kreisen der Gedanken um sich selbst. Die Erstarrung in Ängstlichkeit. Wer das schon erlebt hat, weiß wie schwer es ist, da heraus zu kommen. Da braucht es einen neuen Impuls von außen, etwas was das Herz neu pulsieren lässt -  ein neues Herz eben, ein geschenktes Wort, ein Gedanke, eine neue Überschrift über das Leben.

Die Jahreslosung ist solch ein Impuls des Lebens. Doch stillt sie auch die Angst und Sorgen? Dazu eine kleine wunderbare Geschichte vom Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch: „Paul auf den Bäumen“. Ein junger Mann, Paul, verbringt den Heiligen Abend in einem leeren, fahrenden Güterwagen. Allein im Dunkeln bekommt er Angst und schreibt mit Kreideresten die Wände des Waggons voll mit allem, was ihn bewegt. Im Licht des neuen Morgens dann entdeckt er, wie sich alles verwandelt hat. Auf den Wänden - voller Lebenszeichen und Hilferufen, Wutausbrüchen und Sanftmut und Jahreszahlen – überall habe auf einmal deutlich zu lesen gestanden: „Fürchtet euch nicht!“ Und wäre nicht wegzuwischen gewesen, sagt Paul.

Das „Fürchte euch nicht!“ ist nicht mehr wegzuwischen – welch starke Übersetzung der Weihnachtsbotschaft, die ins neue Jahr hinüberklingt! Fürchtet euch nicht!  Bei all dem, was vielleicht auch Sie an die Wände eines Waggons hätten schreiben mögen… Etwa ob wir es tatsächlich wagen können zu hoffen, dass der Waffenstillstand in Syrien hält und es zu Friedensverhandlungen kommt?! Oder wie wichtig es ist, jetzt laut und vernehmlich den Angstmachern und ihren Parolen Argumente der Menschlichkeit entgegenzusetzen – es ist keine gute Zeit, sich zurückzuziehen ins Private, liebe Gemeinde. Wir müssen mit ihnen reden, die uns fremd sind oder geworden sind.

Denn es steht da auch an den Wänden, wie besorgt es viele macht, dass Menschen ins eben nicht sichere Herkunftsland Afghanistan abgeschoben werden sollen. Oder persönlich – dass Sie dankbar sind über die gesunde Geburt ihres Kindes oder Enkelkindes und sich zugleich sorgen, weil dies kleine Leben so zerbrechlich ist. Und – schließlich – manches Wort  an unseren Wänden könnte  von dem Schmerz reden, weil ein geliebter Mensch nicht mehr da ist und er einem so furchtbar fehlt, weil eine Beziehung zerbrochen ist oder weil‘s mit dem elenden Kranksein einfach nicht besser wird. 

Fürchte dich nicht. Niemals ist sie wegzuwischen, diese Zuneigung Gottes, seine Menschenfreundlichkeit. Sie bleibt gültig, immer. „Ich schenke euch ein neues Herz und lege in euch einen neuen Geist“ – die Worte Gottes spannen sich wie ein schützendes Dach über 2017. Und dieser Satz kann tatsächlich Angst verwandeln. Denn Gott sagt nicht: Kopf hoch, Angst weg. Der Trost der Jahreslosung liegt gerade nicht im Vertrösten. Sondern in der Zusage Gottes, dass er mitgeht. Komme, was wolle. Ich werde dein Gott sein, sagt er. Nein, sie ist nicht wegzuwischen, diese Nähe des Gotteskindes, Mensch geboren.

Tröstlich, dies zu wissen. Und ermutigend, um es mit der Furchtlosigkeit im Neuen Jahr aufzunehmen. Wissen wir doch, dass es erstens oft anders kommt, als man zweitens denkt. Diese Unverfügbarkeit von Lebenszeit ist einem ja selten so präsent wie am Neujahrstag. Und so ist es kein Zufall, dass wir immer dann den Jakobusbrief hören, in dem es heißt: „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies und das tun.“ - So Gott will und wir leben….Wir haben nicht alles in der Hand. Genau genommen viel, viel weniger als wir denken. Nur dies und das. Und das ist durchaus erleichternd. Unsere Zeit, unser Streben, unser Glück, das Lieben und das Leben – all dies liegt nicht in der Hand von machthungrigen Despoten, sondern in den zärtlichen Händen eines allumfassend großen, ewigen Gottes mit einem Kinderlachen. Fürchtet euch nicht  – es ist nicht wegzuwischen.

Denn nicht „ich“ will, sondern „Gott“ tut´s im Jahr 2017. Und das bedeutet nicht, planlos, doch es bedeutet, furchtlos ins neue Jahr zu gehen. Es bedeutet, die Sätze unseres Glückes und unseres Unglückes, die an den Wänden stehen könnten, anzuschauen und überschrieben zu sehen. Und dies gern auch mit einem Wort Martin Luthers, der natürlich heute zu Beginn des Reformationsjubiläumsjahres 2017 nicht fehlen darf. „Denn ein Herz voll Freude sieht alles fröhlich an, ein Herz voll Trübsal alles trübe.“ – Wagen wir den Blickwechsel hin zur hoffenden Erwartung, das wünsche ich uns. Auch wenn wir nach menschlichem Ermessen ein Jahr vor uns haben könnten, das nur wenig friedlicher wird als das vergangene, auch wenn wir es also mit großen Herausforderungen zu tun haben - es liegt an uns, wie wir sie betrachten. Wie mutig wir sie angehen. Mit wieviel Herz wir Gott vertrauen und den Geistlosigkeiten einen neuen Sinn der entgegen stellen.

Gehen wir unseren Weg in ein neues Jahr, mit Zuversicht und friedvollem Herzen. -  Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, wirklich NEUES Jahr 2017. Gott schenke Ihnen dafür Kraft, viel Liebe und Besonnenheit. Damit der Friede wachse, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre all die Zeit unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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