25. Dezember 2017 | Dom zu Lübeck

Nicht im ängstlichen Grübeln liegt Trost, sondern im beherzten Tun und Da-sein

25. Dezember 2017 von Kirsten Fehrs

Predigt im Gottesdienst zum ersten Weihnachtstag zu Lukas 2, 11

Liebe Festgemeinde!

Sicherlich haben auch Sie einen Lieblingsweihnachtsfilm, den Sie gern immer wieder anschauen? „Der kleine Lord“ oder „Sissi“… Meiner ist seit ein paar Jahren der Film „Tatsächlich Liebe“. Gleich elf herrlich komische, aber auch anrührende Liebesgeschichten verwickeln sich hier zu einer einzigen großen Erzählung. Einer Weihnachtserzählung. Mit eben dieser Wahrheit: Es gibt sie tatsächlich, die Liebe. So verstörend die Welt ist, so überaus traurig oder allein man sich fühlen kann, sie bricht sich Bahn. Immer wieder. Momente des Zaubers sind das zwischen Großen und Kleinen, die die Kraft haben, das Welten- und Lebensspiel gehörig durcheinander zu bringen.

In einer meiner Lieblingsszenen etwa erzählt aufgeregt die kleine Tochter ihrer Mutter:

„Sie haben die Rollen verteilt für das Krippenspiel!“ – „Oohh!“, staunt die Mutter, und erwartungsvoll schaut sie ihre Tochter an. „Ich bin der Hummer!“, strahlt das Mädchen.

„Der Hummer?“ - „Ja.“ „Das soll ein Krippenspiel sein?“ „Ja! Ich bin der erste Hummer!“

„Bei Jesu‘ Geburt waren sogar mehrere Hummer anwesend?“ - „Ja, aber klar.“

Noch Fragen? Ich finde das hinreißend quer. Wie sich später herausstellt, ist das ganze Krippengeschehen komplett maritim geraten. Der Freund des Mädchens beispielsweise tritt als Oktopus auf und überhaupt sieht der Stall eher wie ein Aquarium aus. Doch als sie singen, wie nur Kinder es singen können: „Mary had a little Baby“, die Maria mit dem Baby im Arm, ist es gleich, ob´s der Hummer ist oder der Esel: Alle sind sie in diesem Moment der Innigkeit verzaubert. Auch weil sie alle, ausnahmslos, mit all ihren Sonderbarkeiten Raum haben in der Herberge Gottes. Eine Gemeinschaft der im Leben Schwimmenden, der nach Liebe Suchenden, die Schrägen und die Geraden - alle sind sie in dieser kindlichen Krippenwelt wahr, tatsächlich. Und geliebt.

Die Wahrheit des Kindes – sie steht Weihnachten im Mittelpunkt. Zuerst natürlich die des einen Kindes in der Krippe. Aber dann auch alle anderen Kinder. Jedes Kind ist Gottes Kind, und in jedem dieser kleinen Menschen können wir Gottes Idee für diese Welt erkennen.

Und wenn man sich dann auf diese Perspektive einlässt, kommt man doch gehörig ins Staunen. Wie unbefangen und eigenwillig Kinder durch die Welt gehen! Wie sie Dinge wahrnehmen, die wir selbst niemals entdeckt hätten. Das liegt auch daran, dass sie in besonderer Weise gegenwärtig sind. Im Jetzt und Hier. Hier und jetzt wird innegehalten und gestaunt und sich gefreut. Jauchzet, frohlocket! Sofort. Die Wahrheit des Kindes ist geradewegs und zeitnah. Deshalb müssen jetzt und sofort die vielen „Warums“ beantwortet werden! Bis zur Ermattung, wer kennt das nicht.

Genau dies finde ich in unserer Weihnachtsgeschichte wieder: Es zählt das Jetzt. Der Augenblick, in dem man die Welt neu erkennt. "Euch ist heute der Heiland geboren", sagt der Engel. Heute! Vergrabt euch nicht im Gestern, sagt er, und denkt nicht an das unsichere Morgen. Und prompt! Die Hirten überlegen nicht lange, sondern – („Lasset uns nun gehen“ singt es im Weihnachtsoratorium) – machen sich stante pede auf den Weg. Hin zur Krippe mit diesem kleinen Friedefürsten. Und man sieht förmlich, wie sie das Wunder bestaunen, verlegen ihre Hüte in den Händen drehen und gefangen sind von dem Zauber dieses Augenblicks. Das dauert nur ein paar nächtliche Stunden, dann ziehen sie alle wieder ihrer Wege. Aber sie sind für ihr Leben verändert. Verändert durch diesen einen unvergesslichen Moment.

Ich wünschte mir, wir könnten öfter den Augenblick leben. Sind wir doch eine recht nachdenkliche Gesellschaft. Ja manchmal scheinen wir fast grüblerisch im Gestern festzustecken. War nicht früher alles besser? Die Welt friedlicher, die Verhältnisse gerechter, die Kirchen voller, der Sommer wärmer?

Und nicht nur die Vergangenheit treibt uns um – sondern auch all die Zukunftsprognosen. Wann endlich bekommen wir eine neue Regierung? Wird der Klimawandel unsere Küsten versinken lassen? Was wird aus dem Christentum? Und wer zahlt später die Renten? …

Gute Fragen, richtige Fragen. Aber manchmal machen wir uns auch verrückt. Viel zu oft mischt sich ein ängstlicher und verzagter Ton in die Debatten, der verhindert, dass wir überhaupt den ersten Schritt machen und wie die Hirten losgehen!

Verlieben wir uns also weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft! Denn die Vergangenheit können wir eh nicht mehr ändern, die Zukunft sowieso nicht vorhersagen. Die Gegenwart, sie braucht unsere Achtsamkeit. Sie ist das Programm. Das ist für mich die Botschaft der Weihnachtsgeschichte. Nicht im ängstlichen Grübeln liegt der Trost, sondern im beherzten Tun und Dasein - jetzt. Und dieses Jetzt ist - wie damals an der Krippe - unmittelbar mit dem Nächsten verbunden. Es ereignet sich, wenn ich einen Bettler ansehe, so wie damals die Hirten ein Ansehen bekamen. Der Heiland ereignet sich, wenn ein Kind mich zum Lieben bringt mit seiner Zartheit. Oder wenn es die Fremden sind, die mir den Weg zeigen wie damals die drei Könige. Er ereignet sich, wenn ein einsamer Mensch in meinem Haus eine Herberge findet. Es ist – jetzt – die Zeit angekommen, liebe Geschwister, um dem Erbarmen Gottes auf die Welt zu helfen.

Denn ins Heute ist der Heiland geboren. Mitten hinein in all die Spannungen. In unserem Land, klar. Mit einem Antisemitismus, der uns mancherorts in schlimmster Form entgegenschlägt, das möchte wirklich keiner hören! Oder in Bethlehem selbst, in Jerusalem, überhaupt in Israel / Palästina, das so unerhört aufgewühlt ist und gefährdet. Dass dabei die Trumpsche Attacke auf jegliche Friedensdiplomatie die Lage noch aufgeheizt hat, ist spürbar. Allerorten wird auf- statt abgerüstet. Mit Waffen und mit Worten. Auch in der Türkei. Afghanistan. Iran. Syrien, immer noch! Wie wichtig ist es deshalb, liebe Friedensgemeinde, all denen den Rücken zu stärken, auch in der Politik!, die besonnen bleiben und die sich für Demokratie und Meinungsfreiheit stark machen, die geistesgegenwärtig sind und hinhören und klar sind und ehrlich, auch wenn´s unpopulär ist.

Und dazu gehört für mich HEUTE auch – Weihnachten 2017 – dass an Leib und Leben bedrohte Menschen nicht in ein Land abgeschoben werden dürfen, das eben nicht sicher ist. Bisweilen stehen diese Entwurzelten dann vor unseren Kirchentüren, ihre paar Habseligkeiten in der Aldi-Tüte, die verstörten Kinder an der Hand - und ja: Das ist ein Moment der Entscheidung für Pastoren und Kirchengemeinderat. In manchen Fällen wird daraus ein Kirchenasyl, damit der Fall noch einmal geprüft werden kann. Niemand macht sich die Entscheidung leicht. Und genau darum geht es: Nicht leichtfertig mit dem Leben von Menschen umzugehen! Und Menschenrecht eine Herberge zu geben!

Gerade heute ist das zu sagen. Wo der Allerhöchste so dermaßen herunter gekommen ist. Zu uns auf die Erde mit all den Gefährdungen und Anfechtungen. Die Armut, die Todesschwadronen des Herodes schon im Anmarsch – all dieses Elend des Jesuskindes ist da. Dennoch: ganz deutlich dringt der Ton des Engels durch, der singt: Heut ist der Heiland geboren. Tatsächlich. Die Liebe in Person. Er ist mit uns, Gott Immanuel. Heute und morgen auch.

Ich glaube, dass gerade Kinder die Zuversicht spüren, die darin liegt. Und ich glaube auch, dass deshalb zu Weihnachten die Erwachsenen diese Kind-Erinnerung brauchen. Nicht im Sinne eines Nostalgierausches. Sondern sehnsüchtig nach solch unbefangener Zuversicht, ganz gleich, wie wir heute zum Leben stehen oder gar zum Glauben.

Ein Freund erzählte mir jüngst dazu folgende Begebenheit. Er verkaufte auf dem Gemeindebasar Krippenfiguren, geschnitzt aus Olivenholz von palästinensischen Handwerkern. Ein älteres Paar tritt an den Stand heran, schaut sich verstohlen die Krippe an, er überlegt, sie zögert - schließlich fasst sich der Mann ein Herz und fragt: „Entschuldigen Sie – ich bin nicht gläubig – kann ich die Krippe trotzdem kaufen?“ „Aber selbstverständlich!“ ist die verdutzte Antwort. „Ja, wissen Sie, ich finde die Krippe einfach schön“, erklärt der Käufer fast entschuldigend, als er sie behutsam entgegen nimmt.

Was mir dabei nachgeht, ist diese respektvolle Vorsicht und Sehnsucht zugleich. Als wäre in ihm etwas Altes wachgerufen worden. Die Erinnerung an den kostbaren Moment, als man noch vom Wunder verzaubert war. Mir ist wichtig, dass das sein darf. Es geht bei der Weihnachtsgeschichte nicht um religiöse Korrektheit. Sondern um tatsächlich Liebe. Darum, dass man – auch wenn man mit dem Glauben nicht so viel anfangen kann – sich vereint in tiefer Friedenssehnsucht. Darin, Liebe zu üben, um den Hass aus der Welt zu vertreiben. Lieber heute als morgen. Jeden Moment.

Und so sind wir alle es, sind es ganz verschiedene Menschen, Tiere und Figuren, die sich um die Krippe sammeln. Sie ist wie ein Jetzt-Raum des Lebens, in dem jede und jeder in Würde seinen Platz hat. Maria und Josef, natürlich die Hirten. Und ganz gewiss die Frau, die ihr erstes Weihnachtsfest ohne den geliebten Ehemann verbringen muss. Die berufstätige Mutter, die sich um ihre kranken Eltern kümmert und dringend eine Pause braucht. Und ganz gewiss auch der junge Mann im gebügelten Anzug, der aus Syrien geflohen ist und heute ehrenamtlich Küsterdienste macht. Und der seine Familie mit so tiefem Schmerz vermisst. Kann man – gerade heute – wirklich gegen Familiennachzug sein?? Denn viele Kinder sehe ich dort an der Krippe stehen, kichernde Knirpse und coole Konfirmanden. Alle sehnen sie sich nach Licht und nach Gemeinschaft und nach Frieden auf Erden. Ach ja, alle: Die Ochsen natürlich, die kleine Katze, nicht zu vergessen der Hummer, Nummer eins und zwei.

Das Kind in der Krippe findet das alles sehr schön. Es weiß, dass alle um seinetwillen gekommen sind. Und dass man sich wiedersehen wird. Wenn heut nicht, dann bestimmt morgen. Der Himmel wird aufgeschlossen in diesem Moment, und der Zauber hält ein Leben lang vor. Und wir wissen: wir bleiben gesegnet. Behütet. Geliebt. Tatsächlich.

Ich wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete Weihnacht. Und der Friede, der größer ist als alles, was wir denken können, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, Jesus Christus. Amen

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