5. November 2017 | Dom zu Lübeck

Nicht nachlassen mit der guten Botschaft

05. November 2017 von Gerhard Ulrich

21. Sonntag nach Trinitatis, Abendmahlsgottesdienst

Predigttext: Matthäus 10, 34 - 39

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

 

Liebe Gemeinde,

das sind ent-scheidende, ja einschneidende Worte. Passen sie zu dem Sonntag „danach“? Zu dem ersten Sonntag nach dem großen Fest des 500. Jubiläums der Reformation? Das wir mit drei großen festlichen Gottesdiensten in den Sprengeln gefeiert haben, mit vielen und vielfältig bunten Gottesdiensten in unseren 13 Kirchenkreisen. In denen wir uns unserer lutherischen Identität vergewissert haben im Dialog mit Staat und Gesellschaft und auf dem Weg zu ökumenischer Versöhnung, in denen wir auch von unserem Auftrag in dieser Welt gesprochen haben. Und dann hören wir fünf Tage später Jesus, wie er gar nicht dialogisch wirkt, gar nicht versöhnlich - der von Entzweiung redet und ein scharfes, ein Schwert bringt: Sein Wortschwert – seine Schwertworte. Worte, die nicht nur auf diese Welt verweisen, sondern über sie hinaus: auf das Reich der Himmel, auf Gottes Reich, in dem andere Regeln gelten sollen: Feinde lieben – nicht hassen.

Kritisch sind Jesu Worte, eindeutig, unausweichlich in ihrer Härte. Doch kritisch hat zu tun mit dem biblischen Wort „krisis“: mit dem Gericht, von dem wir geschieden werden. Die Schafe von den Böcken, die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu von denen, die sich ihm verweigern. Das Wahre vom Falschen.

Halbherzige Kompromisse zerschneidet Jesus mit seinem scharfem Schwert: Wenn wir hinnehmen Ungerechtigkeit, Spaltung, Angst, Projektionen des Bösen auf jene, die sich nicht wehren können, die fremd aussehen und andere Bräuche pflegen. Wenn wir nicht widersprechen, wo erneut Mächtige und Mächte einander mit totaler Vernichtung drohen. Diesen faulen Frieden macht Jesus nicht mit. Weil es ihm um den wahren Frieden geht. Um den mit Gott. Um den, der zu finden ist in seinem Wort, in Verheißung und Gebot: Ich bin bei dir alle Tage; du sollst nicht töten…

Doch genau darum passt dieser Predigttext zu diesem Sonntag „danach“. Nicht nachlassen dürfen wir, wenn es uns ernst ist mit dem, was wir gerade mit unserem Reformationsjubiläumsgedenkzauber immer wieder unter die Leute gebracht haben: da ist eine frohe, eine gute Botschaft für den Frieden, für Respekt und Toleranz, gegen Hass und Gewalt und Verachtung; gegen Abgrenzung und Ausgrenzung und Abschottung. Solch klare Ansage braucht doch diese Welt, die nicht mehr recht weiß, wo es hingeht mit ihr. Das spüren doch viele Menschen und sie sagen uns: haltet fest! Tausende von Menschen in den Gottesdiensten in der Nordkirche am 31. Oktober sind doch auch ein starkes, kraftvolles Signal nach innen und außen. Und die wollen die Botschaft klar: was euch gesagt ist ins Ohr: ruft es von den Dächern!

„Herr Landesbischof, was bleibt denn noch von der Reformation?“ – So fragte mich eine Journalistin nach der Premiere des Schauspiels „Luther“ von Feridun Zaimoglu in Kiel. Ein Drama, das den Reformator zeigt als einen zweifelnden, unsicheren, gebrochenen Menschen, der sich seiner Sache keineswegs sicher ist, der hadert mit den Geistern, die er aus der Flasche gelassen hatte und die manch radikale Seele in den Kampf ziehen ließ: die Bauern, die zunehmend drangsaliert waren durch gierige Herren, zogen in den Krieg. Und Martin Luther schwieg zu mancher Gewalt der Obrigkeit, der gegen sogenannte Hexen etwa. Kein Held ist da zusehen, sondern ein Kind seiner Zeit mit der Angst vor dem Teufel in vielerlei Gestalt.

Was also bleibt?

Es bleibt die Wiederentdeckung des Evangeliums, des allein frei machenden Wortes der Liebe, das vom Geist der Freiheit spricht, vom Geist des Friedens und der Gerechtigkeit; von der Überwindung alles Bösen; das kündet von dem, der alles neu machen kann.

Es bleibt die Kunde Jesu, der die Würde jedes einzelnen Menschen vor Gott lebt, die unantastbare Würde, die nicht abhängig ist von Herkunft, Leistung, Hautfarbe, Glaube oder Kultur. Es bleibt die daraus wachsende Freiheit, sich selbst zu erkennen vor Gott als sein Geschöpf, sein Kind. Es bleibt die Gewissheit, dass nicht ich selbst für mein Heil sorgen muss, sondern dass dafür längst gesorgt ist von dem, der vorangegangen ist. Es bleibt die Befreiung von vorgegebenen Autoritäten, die führt in das Vertrauen in unser Selbst!

Und es bleibt die Aufdeckung der Erlösungsbedürftigkeit der Welt mit ihrer Ungerechtigkeit, Verlogenheit, Machtbesessenheit und Gottvergessenheit. Es bleibt, dass Menschen erstmals eine Sprache bekommen, derbe, vitale, schöne Sprache, um vor Gott zu singen, zu reden, zu beten, zu klagen, zu loben und die Stimme zu erheben für das Leben; eine Stimme für die Erniedrigten und Gequälten und Abgehängten. Und Mut, neuer Mut:

Fürchtet euch nicht! – Und das bedeutet nicht den einfachen Frieden im Sinne von „alles ist oder wird gut“. Sondern der Frieden setzt voraus das Hinsehen, das Unterscheiden, das Leiden, das Auf-sich-Nehmen der Brüche. Wer von der Gnade Gottes reden will, wer die Gnade Gottes ersehnt und in sich hineinlässt, der wird unweigerlich bekannt mit der Gnadenlosigkeit in der Welt. Der gerät ins Ringen um den gnädigen Gott, wie Martin Luther. Wieder und wieder mit dem verborgenen Gott, mit dem, der nicht funktioniert wie ein „Wunschomat“. Die Gnadenlosigkeit der Welt nicht verdeckt, sondern allein durch Christus aufgedeckt, brutal und klar mit seinem Kreuz. Darin wurzelt die Gnade, in seinem Kreuz und Leiden.

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Das ist kein Waffengeklirr und kein Kriegsgeschrei, womit hier Jesus kommt, sondern wortmächtige Entschiedenheit. Das ist kein Aufruf zu Gewalt im Namen der Religion, erst recht nicht im Namen von Reformation oder Gegenreformation. Davon hatten wir schon viel zu viel.  Sondern hier macht einer klar, dass es keine harmlos-naive Sicht auf den Lauf der Welt gibt, die sich christlich nennen dürfte.

Die Perspektive Jesu Christi, ist ent-scheidend. Sie ist die Erkenntnis, dass echter Friede der ist, der von Gott herkommt.

 

Warum dann aber dieser Ton: „Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“

Jesus weiß, wovon er redet, wenn er von Trennungen in der Familie spricht. Schon mit 12 Jahren verstehen ihn seine Eltern nicht mehr und finden ihn auch nicht wieder. Das erfahren Eltern oft, dass sie ihre Kinder nicht mehr erreichen. Den Weg ins Leben ebnen wollen sie ihnen, Gutes und Wahres nahebringen. Etwas werden soll aus ihnen – auch in diesen unübersichtlichen, so schnell sich ändernden Zeiten. Vielleicht auch ein wenig mehr als es Vater und Mutter vergönnt ist, die nicht auf der Erfolgsspur des Lebens bleiben können. Wie vielleicht auch der fleißige, der treue, der rührende Josef – Jesu Vater – es möchte. Erziehen will er seinen Sohn – und der zieht los, entzieht sich seiner Familie. Dort, wo sie ihn nicht suchen, da finden sie ihn: im Tempel. Und verlieren ihn gleich wieder, weil sie nicht verstehen, dass er das Wort ergreift.

Und später entzieht dieser Jesus seine Jüngerinnen und Jünger ihren Familien. Zum Zwist, zum Streit kommt es dort. Matthäus ist Protokollant zerbrechender Familienstrukturen in der Nachfolge Jesu.

 

„Ich bin gekommen, zu entzweien…“: Eine Zumutung sind diese Worte.

Und sie machen Angst. Wie schrecklich der Gedanke, einen Menschen zu verlieren, den ich liebe. Wie furchtbar, wenn eine Beziehung zerbricht. Verlustängste, Trennungsängste lassen uns nicht los. Die Sehnsucht nach Freiheit und die Angst, Geborgenheit zu verlieren, kämpfen in uns immer wieder miteinander. Doch wenn wir auf unseren Lebensweg zurückschauen, entdecken wir, dass unsere Biographie sich nicht entwickelt hätte ohne Verluste, ohne Trauer, ohne Trennung; dass die Erfahrung oft gnadenlosen Schmerzes und gnadenloser Gottverlassenheit auch zu diesem Leben dazugehören. Wie oft müssen Lob und Dank durch die Klage hindurch erst.

Und wir wären auch nicht vorangekommen ohne die Neugier für das, was fremd und anders ist. Und ohne den Mut, darauf zuzugehen. Mut, der aus der Erfahrung wächst, geborgen zu sein. So paradox das klingt: nur wenn wir Geborgenheit erfahren, können wir sie durch Ängste hindurch verlassen, um auf eine andere, umfassendere Heimat zuzugehen, in der wir lernen, das Neue und Fremde als Bereicherung zu erleben, nicht als Gefahr.

Gottes geliebtes Kind zu bleiben und Nachfolger Jesu zu werden – das heißt gerade nicht, hilflos dort zu verharren, wo man hineingeboren wurde. Das heißt vielmehr: Kraft und Orientierung zum Aufbruch zu spüren und genauso zu erfahren, begleitet und behütet zu sein. Dieses Gefühl der Geborgenheit und des Aufgehoben-Seins, das gehört zu unserem Glauben fest dazu – wie das Loslassen ohne Verlorenheit. Freiheit des Glaubens und zur Liebe wächst aus dieser Spannung von Vertrautheit und Fremdheit.  

 

 „Ihr habt gehört, dass gesagt ist...ich aber sage euch...“ – Diese Worte aus der Bergpredigt, aus dem heutigen Evangelium gehören unbedingt dazu, um den Un-Frieden zu verstehen, den Jesus verkündigt. Mit diesen Anti-Thesen stellt Jesus uns nämlich in eine unauflösbare Spannung. Er rechnet mit dem Bösen, mit seiner Herrschaft und Macht. Jesus will, dass wir dem Bösen um uns herum und in uns selbst in die Augen schauen. Und dann wird sich zeigen, ob wir es aushalten und so überwinden. Die Gegenüberstellungen Jesu führen zur Erkenntnis der Welt, wie sie ist. Es ist das Gesetz der Welt, gegen das Jesus seine Worte setzt. So soll es unter euch nicht sein: Auge um Auge, Zahn um Zahn! So setzt Jesus gegen die Erfahrung der Welt das Bild der Welt, wie Gott sie will; gegen das Menschenbild der Welt das Bild, das Gott vom Menschen hat; gegen die Herrschaft der Welt die Herrschaft Gottes; gegen die Unvollkommenheit der Welt die Vollkommenheit Gottes. Jesus will Mut machen zu einer Nachfolge, zu einer Weggemeinschaft mit ihm, die mit Gott rechnet auch in Verhältnissen, die ganz gottlos scheinen.

Menschen haben immer wieder erlebt: In Jesu Gefolgschaft versetzt der Glaube Berge. Die Liebe, die an ihm erfahrbar wird, entzieht uns nicht dieser Welt, hebt die Spannung nicht auf. Aber im Licht seines Lebens verwandeln sich die Ungerechten, Übeltäter, Geldgierigen, Rachsüchtigen, Hassenden in diese Kinder Gottes und Nachfolger Jesu.

Indem wir das Verheißene glauben, haben wir Anteil daran: an seiner Vollkommenheit. In all unserer Schwachheit, unserer Unvollkommenheit und Begrenztheit. Es geht nicht um den perfekten Menschen, nicht um die Erfüllung des Gesetzes-Buchstabens. Es geht um die Unterscheidung der Herrschaft in dieser Welt, es geht darum, welcher Geist das Leben leitet und welches Geistes Kind wir sein wollen.

 

Der Glaube weiß, dass wir nicht verlassen sind, wo wir uns auf Gott und sein Wort verlassen, dass wir nicht gefesselt sind, wo wir uns an ihn binden. Jesus will unseren Glauben stärken, mit dem wir uns unterscheiden von der Welten Lauf - den Glauben, der uns tun lässt, was nicht erwartet, opportun, normal ist. Das ist eine Ermutigung zum Anderssein. Den ersten Schritt zu tun: Heraus aus der schlaffen Resignation, die alles hinnimmt, was unabänderlich scheint, heraus aus dem falschen Frieden. Wir können auch anders. Wir können jemandem, der uns übel will, mit Liebe begegnen. Wir können jemandem, der uns bittet, geben ohne zu fragen, was habe ich davon. Wir können mit jemandem unsere Zeit teilen ohne Sorge um unseren Gewinn. Ja, Frieden ist möglich da, wo wir unser Leben nicht als Besitz, sondern als Geschenk und Leihgabe Gottes begreifen, uns selbst als seine Kinder verstehen. Wo wir das tun, da leuchtet das Himmelreich auf und die Erinnerung wird wach an Gott, den „Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe…“ (1. Petrus1, 3)

Amen.

 

 

 

 

Datum
05.11.2017
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien in Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite