15. Mai 2016 | St. Petri-Dom zu Schleswig

„Pfingsten ist die geistreiche Bewegung Gottes in diese Welt hinein“

15. Mai 2016 von Gothart Magaard

Pfingstsonntag, Predigt im Gottesdienst

Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch! Amen.

Liebe Gemeinde,

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Da entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, wie von Feuer, die sich zerteilten; und auf jedem Einzelnen von ihne, ließ sich eine nieder. Und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab.“

Die Pfingstgeschichte erzählt in wunderbaren Symbolen davon, was geschieht, wenn Gottes Geist in dieser Welt wirksam wird. Das Kommen des Heiligen Geistes wird von Bildern begleitet, die im Alten Testament Gottes Gegenwart bezeichnen: Es erscheinen Zungen, wie von Feuer, die sich teilten und den Menschen geht ein Licht auf – sie begreifen jetzt von Jesus Christus her die uralten Verheißungen Gottes. Sie verstehen, was zu tun ist, nämlich diesen Gott mit ihren Gaben zu bezeugen und von seiner Liebe zu singen. Zu erzählen, zu flüstern und laut zu rufen. Das Feuer – als Inbegriff dafür, dass Menschen für Gottes Sache brennen.

Und dann geschieht ein Brausen, das vom Himmel kommt. Frischer Wind kommt in die Gemeinde. Die Köpfe werden durchgepustet. Und wir hier im Norden wissen, dass der auch manches ganz schön durcheinanderwirbeln kann. Die alten beladenen Gedanken und Erinnerungen werden vertrieben. So entsteht Raum für Neues.

Gottes Geist ist Rückenwind für die christliche Gemeinde. Sie wird ermutigt, sich mitten ins Leben hinein, auf die Marktplätze dieser Welt zu begeben. Sie werden sich Wege in die Fremde zutrauen. Sie werden nicht mehr abwarten, dass der Himmel sich öffnet, sondern selbst die Initiative ergreifen. Wind – Gott wird unsichtbar und doch spürbar Menschen in Bewegung setzen. Er gibt ihrem Handeln eine neue Richtung.

Die Menschen, so von Gottes Geist ergriffen, fingen an zu sprechen – und verstanden einander. Griechisch und Latinisch, Arabisch und Hebräisch – eigentlich müsste das doch im Stimmgewirr enden. Eigentlich dürfte man hier nur Kauderwelsch verstehen. Doch diesmal ist es anders. Ganz gleich, ob sie wirklich den Wortsinn verstehen oder ob jenes tiefe Verständnis gemeint ist, das weiß, wie es der andere mit mir meint und was er auf dem Herzen hat. Hier geschieht etwas Wunderbares.

Liebe Gemeinde, das Lichtaufgehen, der frische Wind und das Verständnis über Grenzen hinweg – die drei Symbole der Pfingstgeschichte sind in unserer Zeit womöglich aktueller denn je.

Wie sehr ringen Menschen derzeit darum, einander zu verstehen, weil so viele in unserer Mitte sind, deren Muttersprache eine andere als die deutsche ist. Wenn man auf Übersetzung angewiesen ist, hört man genauer zu.

Ich habe am vergangenen Mittwoch Flüchtlingsinitiativen im Kirchenkreis Plön-Segeberg besucht. Auch dort wurde zeitweise übersetzt ins Arabische und in eine afghanische Sprache. Man hört dann automatisch genauer zu, liest in den Gesichtern und achtet auf den Tonfall. Und wie wichtig ist zuhören und verstehen für alle Beteiligten. Und wie wichtig ist es auch, sich verständlich machen zu können! Wenn dann die drei irakischen Frauen davon berichten, dass sie einfach nicht wissen, wann ihre Anträge überhaupt bearbeitet werden und ihnen bis dahin die Hände gebunden sind. Oder die große Sorge der afghanischen Familie, die jederzeit abgeschoben werden kann und so viel Leid und Tod schon erlebt hat.

Wie schnell kann es aber auch zu Missverständnissen kommen, und wie wichtig ist es, dass Menschen einander vertrauen können. Auch deshalb ist das Engagement der vielen Ehrenamtlichen so wichtig. Einander vertrauen können – wie wichtig das ist, kennen wir alle aus unserem Alltag. 

Ein Verständnis über Grenzen hinweg, das wünschte ich mir auch in Europa, dass auch das Verständnis zwischen den Staaten der westlichen und der östlichen Welt wachsen würde.

Ich wünschte mir, dass der frische Wind unsere Kirchen der unterschiedlichen Konfessionen erfasste und uns gemeinsam in Europa und gemeinsam  in der Welt die Stimme erheben und dafür eintreten ließe, dass keine neuen Grenzen und Sperrzäune errichtet werden, die letztlich nur unsere Humanität begrenzen.

Ich wünschte mir mehr und neue Begeisterung für die unkonventionelle Liebe Gottes, die sich großzügig verschenkt und uns lehrt, das Böse mit Gutem zu überwinden.

Liebe Gemeinde, die Pfingstgeschichte hat einen positiven Grundton. Sie erzählt von Aufbruch und Rückenwind, von Begeisterung und Zuversicht.

Und doch bleibe ich in diesem Jahr an einem Satz hängen, den ich sonst wohl überlesen habe. Im Text steht geschrieben: „Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?“

„Was will das werden?“

Das Brausen fährt in die Gemeinde, Lichter gehen ihnen auf, das Verständnis wächst – und dann stellt einer diese Frage. „Was will das werden?“ Welche Richtung wird diese Geschichte nehmen, wohin geht die Reise? Es ist die Frage derer, die mit ihren Erfahrungswerten weiterdenken und fragen: „Habt ihr das auch einmal zu Ende gedacht?“

Liebe Gemeinde, mit dieser Frage erhalten auch die Menschen eine Stimme in der Pfingstgeschichte, die den freudigen Aufbruch der frühen Kirche skeptisch begleiteten. Und auch jene, die vielleicht heute jeden Begeisterungsüberschwang mit Zögern verfolgen, weil sie wissen, dass der Gegenwind schon kommen wird:

Dass jede Einigkeit wieder im Streit münden wird. Dass irgendwann jeder Neuaufbruch in Verwaltungssackgassen und Kompetenzstreitigkeiten versanden wird. „Was will das werden?“ Woher nehmen die anderen jene Zukunftsgewissheit, wo doch schon sonst so wenig gut ist in dieser Welt?

Liebe Gemeinde, die Antwort bleibt damals wie heute prekär – und ich mag mich an dieser Stelle auch mit dem sonst durchaus geschätzten Diktum Oscar Wildes nicht zufrieden geben: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“

„Was will das werden?“ – Damals wie heute eine Frage, die viele Menschen bewegt. Ein flottes „Wird schon“ oder „Wir schaffen das!“ ist gut gemeint, trägt aber nicht wirklich durch. Wer ehrlich ist, musste damals und muss heute sagen: „Ich weiß es nicht. Es liegt in eines anderen Hand.“

Wir wissen nicht, ob es gelingt, dass endlich Frieden wird in der Welt. Wir wissen nicht, ob die Terroristen in aller Welt begreifen, dass sie Menschen sind und dass die, die sie töten und quälen ebenfalls Menschen sind.

Wir wissen nicht, welchen Weg unsere Kirche nehmen wird. Wir wissen nicht, ob das ökumenische Verständnis zwischen Konfessionen wächst auf dem Weg zum Reformationsjubiläum. Wir wissen nicht, wie sich die Begegnung der Religionen, die wichtiger denn je ist, in Zukunft darstellen wird. Wir wissen nicht, ob unsere Gesellschaft die Integration bewältigen kann und in Teilen bewältigen will – doch wir haben Hoffnung.

Wir sind bereit zu arbeiten, sachlich und nüchtern. Wir sind bereit, uns mit unseren Gaben einzusetzen, uns zu hinterfragen. Wir werden es wagen, querzudenken. Wir werden auch das kritische Gespräch in unserer Gesellschaft, zwischen den Religionen und zwischen den Kulturen, nicht scheuen.

Und so bin ich dankbar zu sehen und zu spüren, dass viele Menschen die Begeisterung des Pfingstgeschehens in sich tragen. Sie verkünden Gottes Liebe, seinen wachrüttelnden Geist in Wort und Tat:  Im Gebet und als tatkräftig Anpackende – in den Flüchtlingsinitiativen auch hier in Schleswig und Haddeby, im Alltag ihrer Gemeinde, einfach als Menschen, die auf ihren Nächsten blicken und in ihm oder ihr einen von Gott geliebten Menschen sehen. Oder als Menschen, die versuchen, hier im Dom gute Gastgeber zu sein und die Menschen an jedem Tag der Woche willkommen zu heißen.

Die Pfingstgeschichte erinnert mich daran, dass es richtig und wichtig ist, diese Frage zu stellen: „Was will das werden?“ Und sie nicht einfach wegzuwischen. Sondern sie ernst zu nehmen. Drüber nachzudenken. Darüber miteinander zu sprechen - und sie nicht totzuschweigen und mich dann zu wundern. Und sie erinnert mich daran, dass es umso notwendiger ist, in der Bitte nicht nachzulassen: „Komm Heiliger Geist, mit deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft!“

Denn was auch immer das alles werden will, es gibt eine geistreiche Bewegung Gottes in diese Welt hinein. Dieser Geist zeigt sich an seinen Wirkungen. Darum ist diese Welt, darum ist unsere Kirche nicht sich selbst überlassen.

Also:

Komm, heiliger Geist,

mach, dass unsere Ohren hören,

unsere Augen sehen,

unsere Münder sprechen,

unsere Herzen suchen,

unsere Hände sich ausstrecken

und die Welt mit deiner Liebe berühren.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.
Amen.

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