Pfingstsonntag, 20. Mai 2018 | St. Marien zu Lübeck

Pfingsten - Traum von der Gemeinschaft aller Menschen

22. Mai 2018 von Gerhard Ulrich

Kantatengottesdienst mit einer Predigt über die Apostelgeschichte 2, 1-18

Liebe Schwestern und Brüder!

I
Die Farbe von Pfingsten ist – gelb! Die Zeitungen des SH:z zitieren vor einiger Zeit dazu Goethes „Reinecke Fuchs“:
„Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken/übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel; Jede Wiese sprosste von Blumen in duftenden Gründen, Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.“

Das kann man unmittelbar mitvollziehen jetzt, wenn man durch die aufbrechende Landschaft fährt, durch leuchtend gelben, herb und süß duftenden Raps; wenn die Bäume in den unterschiedlichsten Grüntönen das Herz erfreuen: gar nicht satt sehen kann ich mich daran. Und, keine Frage: solches Aufbrechen der Natur stärkt die müden Knie, bringt zurück die Lebenskräfte.

Pfingsten aber ist etwas anderes. Mehr: Die Pfingstgeschichte des Lukas ist eine Geschichte des Aufbruchs, des Umbruchs, der Ermutigung, der Kraft von Gott, eine Auferstehungsgeschichte!

„Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ So hatte Jesus sich von den Jüngern verabschiedet. Und den Tröster angesagt, der sie aufrichten würde. Aber: Natürlich hatte sich ihr Herz erschreckt und gefürchtet hatten sie sich, als am Kreuz alles zu Ende gegangen schien.

Da hockten sie oft ängstlich beieinander, versteckt vor den Nachstellungen anderer ihres jungen Glaubens wegen. Erfahrungen übrigens, die Christinnen und Christen in Ägypten, Syrien und anderswo heute erleiden. Die Jünger damals trauen sich nicht heraus mit ihrem Glauben – und mit ihrer Hoffnung schon gar nicht.

Die Jünger bleiben beieinander und beten. Warten, dass Jesus wiederkommt, warten auf den Geist des Trostes und der Kraft, den Jesus verheißen hatte. Kämpfen zugleich gegen den nagenden Zweifel: wird unsere Hoffnung tragen, auf die wir gesetzt, derentwegen wir alles hinter uns gelassen haben? 50 Tage lang warten: Rückzug zu den Quellen des Lebens. Einkehr halten. In der Gemeinschaft des Glaubens, im Austausch des Schweren und auch ihrer Träume, wachsen die Einzelnen wieder zusammen, bekommen sie einander wieder in den Blick, die Zerstreuten. Sie bekommen wieder Raum für die Erfahrungen mit Jesus, der sie verbindet miteinander, gehen den gemeinsamen Weg bis hierher erinnernd nach und werden so zur Gemeinde des Christus Jesus. Die Christenheit ist Erinnerungsgemeinschaft und Erzählgemeinschaft – das wurde damals grundgelegt und gilt bis heute. Die Apostelgeschichte des Lukas ist das Buch der Bibel, die genau davon erzählt, wie wir erzählen sollen, damit Glaube wächst!

II
Dann ist Pfingsten. In Jerusalem. Da sind Menschen in der Stadt, Juden aus aller Welt. Sie wollen das Fest der Ernte feiern, das Fest der Gebote Gottes.

Doch nun erleben die Jünger Jesu um Petrus sehr Besonderes: Es ist nicht zu erklären mit dem Verstand: Als sie beieinander sitzen, einander stärken und stützen, da kommt es über sie wie ein mächtiger Sturm, der herniederfährt; wie Flammen des Geistes von Gott. Mit glühenden Worten, wie mit feurigen Zungen müssen sie hinausrufen! Können es nicht für sich behalten: Jesus lebt, er ist unter uns. Menschen hören, staunen. Sind verblüfft, auch befremdet. Viele werden mitgerissen von den mutigen Verkündigern.

Stimmen, Reden, Brausen. Unbeschreiblich: Geist von Gott. Guter Geist. Wie Wind, Sturm und Feuer zugleich. Wie aus einem erloschen geglaubten Vulkan bricht es aus den Jüngern hervor. Das Urgestein des Glaubens schleudert schlafende Energien hervor. Schiebt sich wie Feuer über die alte Verzagtheit, die alles berechnen, das Risiko einschätzen will.

Manchem wird es zu heiß. Viele ergreifen die Flucht, um nicht mitgerissen zu werden. Andere schreien: Ja, die haben Recht, die Männer aus Galiläa! Wir können sie verstehen, wir aus Asien, Mesopotamien, Kreta; wir aus Arabien, Ägypten und Rom. Sie reden die Sprache Gottes. Alle zusammen. Alle eins. Eine Sprache. Ein Geist: Gott kennt keine Sprachbarrieren, keine Konfessionsgrenzen. Es bildet sich eine Kirche in der Kraft des Geistes. Wie die Bach - Kantate am Beginn des Gottesdienstes jubelte: „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten.“ Zu Tempeln seines Geistes.

In Johann Sebastian Bachs Lutherbibel findet sich eine handschriftliche Randnotiz des Meisters: „Bei einer andächtigen Musike ist allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart.“ So erlebe ich Musik und Wort heute an diesem besonderen Tag: dankbar als Geschenk seiner Gnaden Gegenwart. Und Bachs Musik als Atem des Glaubens, als das Format, in dem heraus darf, was da ist an Sehnsucht und Hoffnung, die sich über das hinaus ausstreckt, was zu sehen, zu begreifen, zu erdulden ist. Musik, wie Bach sie schuf, kann alles das, was uns bewegt, zusammenbringen und bergen. Nicht entrücken will diese Musik, nicht wegsingen, was da ist an Unterschieden und Spannungen, sondern zusammenführen der Stimmen Vielklang zu einer, die lobt und dankt für Gottes Geist.

III
Anders damals in Jerusalem: Einige verstehen gar nichts. Wie? Das gibt es nicht. Die sind betrunken! Da spricht Petrus deutliche Worte: Erinnert euch, der Prophet Joel hat es gesagt vor langer Zeit. Wie Sturmgebraus kommt Gottes Geist über euch. Ein Feuer lodert auf. Junge Männer und Frauen sprechen neue Sprachen. Alle träumen von einer Welt, neu und wunderbar. Das ist heute wahr geworden: Jesus Christus ist bei uns bis ans Ende der Tage. So redet Petrus. Und da trifft es sie. Da geht es ihnen ins Herz: dieser Jesus ist von Gott. Lebt. Jetzt. Ein Feuer ist entzündet.

Pfingsten lehrt uns, das Richtige zu reden und zu tun. Lehrt uns zu unterscheiden die Kräfte, die dem Leben dienen von solchen, die es bedrohen.

Natürlich kennen wir das auch, liebe Schwestern und Brüder, dass uns im Alltag immer wieder die Lebensgeister verlassen. Und natürlich kennt jeder und jede auch das, was die Jünger fesselte und ängstigte: wenn plötzlich ein Halt verloren geht, Vertrautes nicht mehr greifbar ist; wenn alles sich verändert. Wenn man sieht, wie sich draußen Menschen aus aller Herren Länder versammeln, dann ist solche Globalisierung nicht nur schön, sondern erst einmal bedrohlich: dann wächst die Sehnsucht nach dem, was immer schon so war; wenn draußen alles sich verändert und unübersichtlich wird, dann sehnt man sich nach einer „geschlossenen Gesellschaft“, nach Grenzen, nach Altbekanntem; dann ist der erste Impuls nicht Aufbruch, sondern Rückzug, dann macht die Freiheit da draußen Angst, weil man noch nicht weiß, wie es weitergehen kann. Dann braucht es ein Zeichen, ein Wunder, Bewegung, einen Anstoß, jemanden, der uns herausholt aus der Angststarre.

Und diese Sehnsucht kennen wir auch: dass ein guter Geist wie Feuer und Sturm dazwischenfahren müsste, der Gewalt und dem verrückten Hass in der Welt ein Ende bereiten. Lodernde Flammen müssten den Glauben der Welt härten. Und natürlich drängt sich die Frage auf:

Spürt man der Gemeinde Jesu Christi in der Welt genug ab – von jener Begeisterung des Geistes? Sicher, hier und da lodern Flammen auf, erheben sich Christen, treten mutig vor. Aber sperren wir ihn nicht allzu oft aus, den unberechenbaren Geist? Setzen wir nicht auch im Glauben oft auf das Sichere, Bewahrende und fürchten uns heimlich vor dem Ungewissen, dem Befreienden?

Sind wir wirklich Feuer und Flamme für unseren Gott? Kann man uns ansehen und abspüren, dass wir begeisterte Leute sind? Pfingsten will ein Fest der guten Lebenskraft in uns sein. Das gilt es zu feiern: dass Gott uns diesen Geist gibt, den Windbraus des Herrn, der uns kräftig macht im Kampf gegen Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit in unserem Leben und in der Welt. Gott braucht begeisterte Leute, die auch einmal scheinbar unvernünftige, deplatzierte Sachen denken und machen. Gott will uns als Leute, an deren Art zu leben man spürt, dass sie besetzt, dass sie besessen sind von der Liebe, die wir bei Jesus sehen. Dass wir uns treiben lassen und gehen lassen, uns überkommen lassen von seinem Geist. Gott selbst will uns stark machen, uns zu öffnen für neues Leben, innerhalb und außerhalb von Kirchenmauern.

So wirkt der Geist, ruft Petrus: „Eure Alten werden Träume haben…“ Träume nicht als Bilder und Szenarien, in die wir flüchten könnten aus der ach so bösen Welt; keine rosaroten Wolken im Kopf. Sondern eine Vision, die wachhält die Verheißungen Gottes für alle Menschen – dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen werden auf Erden: „Es soll nicht geschehen durch Heer und Kraft, spricht der Herr, sondern durch meinen Geist!“ – so steht das Wort des Propheten Sacharja über dieser pfingstlichen Woche!

IV
Es geht hier um den Traum des guten Lebens, wie Jesus ihn geträumt – und auch gelebt hat. Das ist ein Traum, der den Schlaf überdauert. Der Traum von der Liebe, der Gerechtigkeit und dem Frieden für alle Menschen, der Traum von der Gemeinschaft aller Menschen.

Ob wir vom Windbraus Gottes begeistert und erfasst sind; ob wir für ihn Feuer und Flamme sind, ist auch daran spürbar, ob wir solche Träume von einer ganz anderen und guten Welt nicht denunzieren und abtun als ekstatisches Geschwätz berauschter Leute, sondern ob wir den Mut haben, aus der Kraft solcher Träume und Visionen zu leben, berauscht von seinem Wort.

Ich glaube an den Geist von Pfingsten, den Geist, der „durchwehet, der bei der Schöpfung blies, der Geist, der nie vergehet“. Der mich anruft: „Auf, auf, bereite dich, der Tröster nahet sich.“ So werden wir es in der Arie beim Abendmahl hören.

Diesem traumhaften Geist möchte ich trauen: Ich habe den Traum, dass eines Tages diese Welt den Frieden Gottes lebt; ich habe den Traum, dass alle Menschen einander achten; ich habe den Traum, dass eines Tages die Menschen ihr Misstrauen ablegen und mit offenen Händen aufeinander zugehen; ich habe den Traum, dass eines Tages die geschundene Schöpfung sich erhebt und wird, wie Gott sie als gut befunden hat. Und solcher Traum wächst und will heraus. Will stark machen, für ihn einzutreten und zu bekennen vor den Menschen den Herrn und Heiland der Welt.

V
Was soll nun werden?, sagen einige am Pfingstfest. Klar: der Geist Gottes führt zunächst aus Sicherheiten heraus, er überrascht – was sollen wir bloß machen? Sicher: Dieser Glaube ist und bleibt ein Wagnis. Aber billiger gibt es Gottes gute Verheißung nicht. Wer neue Kleider anzieht, steht für einen Moment nackt da! Neuer Anfang erfordert Mut. Aber Gott traut uns das zu, sein Geist fließt über in uns hinein.

„Meine Knechte und Mägde werden weissagen“, spricht der Herr. Dazu will Gottes Geist uns bewegen, da sind wir Feuer und Flamme, wo wir weitersagen, was wir empfangen haben. Das ist unser Amt. Der Welt das Wort Gottes, seine Verheißung entgegen zu rufen. Gott mehr gehorchen als den Menschen. Petrus hält uns in seiner Pfingstpredigt die Propheten als Beispiele vor: Leute, die von ihren Träumen und Visionen in Bewegung gesetzt werden, die sich bestimmen lassen von ihnen, die nicht lassen von ihrem Glauben und unterscheiden die Stimme Gottes von der der Welt. Sie schärfen die Gewissen, stören falschen Frieden, sind Sprachrohr der Klage, Anwälte der Getrennten und Verachteten, Mund der Stummen, Stimme der Gequälten. Und sie sind Brückenbauer der Hoffnung auf eine neue, gute Welt.

Ja, ich habe diesen Traum, dass eines Tages diese Welt den Frieden Gottes lebt. Dass alle Menschen einander achten. Und haben ein Leben in Fülle. Und teilen miteinander, was wir wirklich brauchen: Brot und Liebe, Gerechtigkeit und Frieden.

Dazu treffe uns der Geist Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft.
Amen

 

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