9. Oktober 2016 | St. Johannis Rostock

Räumliche Voraussetzungen für fruchtbare Arbeit

09. Oktober 2016 von Andreas von Maltzahn

20. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst zur Einweihung GemeindeChorHaus St. Johannis, Rostock, Predigt zu Joh. 14,6a

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.Amen.

Liebe Gemeinde,

was für ein Tag der Freude: Das GemeindeChorhaus – lange geplant, besprochen, beworben – wird heute eingeweiht! All die Mühen waren nicht umsonst. Gott hat seinen Segen nicht zurückgehalten.

Manchmal wird ja gebaut, weil sonst nichts mehr geht. Man tritt gewissermaßen eine Flucht ins Projekt an. Doch mit diesem Gemeindehaus verhält es sich nach meinem Gefühl ganz anders: Hier drückt eine Gemeinde ihren Willen zur Zukunft aus! Die St. Johannis-Gemeinde hat sich entschlossen, Weichen für das künftige Gemeindeleben mutig zu stellen. Eine fruchtbare Arbeit bekommt nun die räumlichen Voraussetzungen, die ihr entsprechen.

Die alten Verhältnisse waren einfach zu beengt. Manchmal, wenn wir mit dem Jugendchor im Gemeindesaal probten, war die Luft zum Schneiden. Zwar erinnere ich dort keine Ohnmachten – die gab es eher bei der Kindersingwoche während der morgendlichen Mette in der Klosterkirche Dobbertin, wenn der Ohnmachtshappen nicht gereicht hatte. Und es soll großherzige Jungen gegeben haben, die das ganze Morgengebet über mit ausgebreiteten Armen hinter dem Mädchen ihres Herzens standen ... Vielleicht singen ihre Enkel heute selbst in der Kurrende!

Willen zur Zukunft drückt sich in diesem Gemeindehaus aus. Das Besondere aber ist: Es handelt sich um ein GemeindeCHORhaus. Und auch das ist für mich ein besonderer Grund zur Freude: Nicht nur, weil damit die vielfältige Arbeit der Kantorei gute Rahmenbedingungen und neue Entwicklungsmöglichkeiten findet! Aus reicher Erfahrung wissen wir doch: Im Singen, im Musizieren liegt verwandelnde Kraft, die unser Leben im besten Sinne reich und schön macht! Im Midrasch zum großen Schöpfungspsalm 104 heißt es:

„Die Welt wird erst sichtbar, wo sie besungen wird.“

Du kannst bspw. an einem See entlang gehen. Aber du siehst ihn nicht, weil du gefangen bist in dem, was dich beschäftigt und umtreibt. Du kannst am selben See sein und ihn sachlich genau wahrnehmen: Wasserqualität, Nährstoffeintrag, Fischbestand ... Die Schönheit dieses Fleckchens Erde, seine Kostbarkeit wird dir anders aufgehen. Sichtbar in diesem Sinne wird die Welt erst, wo sie besungen wird – so wie es anders Abend wird, wenn man miteinander gesungen hat ‚Nun ruhen alle Wälder‘. Ja, die Kraft, die im Singen und Musizieren liegt, hilft uns, die Welt und das Leben tiefer, reicher, wacher wahrzunehmen. Auch darum sind sie beide so unverzichtbar.

Ich vermute: Diese Einsicht gilt auch in abgewandelter Form:

„Gott wird erst sichtbar, wo er besungen wird.“

Da können Menschen große Mühe haben mit der Vorstellung, dass es ein Wesen wie Gott geben könnte. Denselben Menschen ergeht es ganz anders, wenn sie die Matthäus-Passion erleben oder eine Bachkantate singen. Da öffnen sich Zugänge. Da wird etwas erlebbar.

„Gott kommt uns nahe, wo er besungen wird.“

Eben hat der Chor das getan – Gott besungen mit dem Wort aus dem Johannesevangelium:

„Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“

Ein Wort, das in seiner Tiefe und Weite kaum zu ermessen ist! Und es stammt aus einem Zusammenhang, in dem es um Entscheidendes geht: Jesus, in den Tagen vor seiner Hinrichtung, nimmt Abschied von seinen Weggefährten. Er sucht sie zu trösten mit dem Gedanken, dass er zu den Wohnungen Gottes vorausgehe, wo sie ihn wiedersehen sollen. Thomas findet als erster seine Sprache wieder und fragt Jesus:

„Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst; wie können wir den Weg wissen?“

Darauf antwortet Jesus mit dem geheimnisvollen Satz:

„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“

Mich erinnert dieses Wort an einen Gedanken, der mich beschäftigt, seitdem ich nach dem richtigen Weg für mein eigenes Leben frage:

„Du wirst den Weg nur finden, wenn du selbst zum Weg wirst.“

Wie kann ein Mensch ein ‚Weg‘ sein oder zum ‚Weg‘ werden – zumal wenn er gerade auf der Suche nach dem richtigen Weg für sein Leben ist?

Bestimmte Dinge können wir offenbar nur erfahren, wenn wir sie leben. Bestimmte Dinge können wir nur erkennen, wenn wir gewissermaßen mit unserem Leben ‚hindurchgegangen‘ sind. Dass z. B. in einer Krise auch Chancen der Erneuerung liegen, werden wir nur verstehen, wenn wir eine Krise durchlebt und bestanden haben. Die orientierende Kraft des Weges Jesu, seiner Überzeugungen, seiner Lebenshaltung werden jedenfalls wir erst dann erfassen, wenn wir Schritte auf seinem Weg gehen, wenn wir danach leben – persönlich wie als Gemeinde.

Da ist es gut, sich zu erinnern – insbesondere, wenn wir heute ein Haus einweihen: Eine Gemeinde ist ihrem Wesen nach keine Wohngemeinschaft, sondern eine Weggemeinschaft! Der Christus nimmt uns mit auf Wege – hin zu den Menschen und nicht zuletzt auf den Weg zu Gott. 

Erinnern wir uns also, was die Beziehung Jesu zu Gott so unverwechselbar gemacht hat:

Mit ‚Abba’, ‚Väterchen’, spricht Jesus Gott im Gebet an. Wie immer wir Gott begreifen mögen – wir können uns voll Vertrauen an ihn wenden. Denn Kinder Gottes sind wir – Wunschkinder, um genau zu sein. Und es kann ein ganzes Menschenleben verwandeln, wenn es sich getragen weiß von der Güte des Himmels, geborgen in der Zuneigung Gottes.

Vertrauen zum Vater – das heißt für Jesus auch, gelassen zu sein im Blick auf die täglichen Dinge des Lebens. „Seht die Lilien auf dem Felde ...“, sagt er und fügt im selben Atemzug hinzu, wie es gehen kann, dass unser Sorgen nicht ins Kraut schießt und alles überwuchert: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“ Gerechtigkeit, wie sie Gott im Sinn hat, ist alle Hoffnung, ist allen Einsatz wert.

Aus eben diesem Vertrauen zu Gott, bei dem unser ganzes Leben gut aufgehoben ist – aus dieser Grundhaltung heraus erwächst Jesu Lieben. Menschen zu lieben, die uns in ihrer Bedürftigkeit zu Nächsten werden; für Menschen da zu sein, die zu uns als Fremde kommen; ja, Gott zu lieben – all das ist uns möglich, weil wir selber bejaht sind.

Auf diese Wege sind wir gerufen. Ihre Kraft erfahren wir, wenn wir sie gehen.

„Ich bin die Wahrheit“, sagt Christus. Was für ein Anspruch! Manche fragen, ob mit solch absolut klingenden Ansprüchen nicht Konflikte zwischen Religionen vorprogrammiert seien. Diese Gefahr besteht. Aber Konflikte sind nicht zwangsläufig. Denn: Wahrheitsansprüche und Absolutheitsansprüche sind zweierlei. Jede Religion hat die Aufgabe, die Wahrheit der Wirklichkeit Gottes so klar wie möglich zum Ausdruck zu bringen. In verantwortlicher Weise kann sie das allerdings nur tun, wenn sie um die Begrenztheit ihrer Erkenntnis weiß, wenn sie nicht ihren Wahrheitsanspruch mit einem Absolutheitsanspruch vermischt. Menschliche Erkenntnis von Gott ist immer begrenzt. Ich werde immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit Gottes erkennen. Auch wenn ich überzeugt bin, dass Gott sich in Jesus, dem Christus, am deutlichsten offenbart hat, werde ich nie die ganze Wahrheit erkannt haben. Denn dann wäre ich Gott gleich, könnte seine Gedanken denken.

Das Schöne ist: Spuren Gottes finden sich auch in anderen Religionen. Wie sonst lässt es sich erklären, dass Mystiker wie Meister Eckhart und Zen-Buddhisten ihre jeweiligen Gotteserfahrungen erstaunlich übereinstimmend beschreiben?! Wie kommt es, dass Auseinandersetzungen der lutherischen Orthodoxie über den Grad der Beteiligung menschlichen Willens an der Erlösung sich auch bei hinduistischen Theologen finden, ohne dass beide Seiten voneinander wussten?  

Darum: Fragen wir nach der Wahrheit! Lassen wir den Ausschnitt Wahrheit bestmöglich Gestalt gewinnen, der durch den christlichen Glauben zur Welt kommen will! Fern sei es uns jedoch, unsere Sicht der Wahrheit absolut zu setzen und sie mit Überlegenheitsgefühlen zu verbinden!

Zu guter Letzt: „Ich bin das Leben“, sagt Christus und meint damit das Leben dereinst in der Gegenwart Gottes ebenso wie das Leben hier und jetzt. Wir Menschen sind – bewusst oder unbewusst – auf der Suche nach dem ‚richtigen‘ Leben, dem Leben, das nicht nur ausgefüllt ist, sondern erfüllt. Manchmal führt das in widersprüchliche Situationen: Wenn wir mit aller Macht suchen, zu uns selbst zu kommen – und unser Leben doch gerade in der Hingabe gewinnen. Wenn wir bemüht sind, uns selbst gerecht zu werden, uns selbst zu ‚verwirklichen‘ – und Wesentlichkeit doch gerade im Absehen von uns selbst gewinnen. „Frei“ wird man, so Dietrich Bonhoeffer, „wenn man ganz darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen . . . dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst . . . und so wird man ein Mensch . . .“ Ja, vielleicht ist genau dies auch das Geheimnis des Musizierens bzw. des ernsthaften Musikhörens: teilzuhaben an einem Größeren, absehen zu können vom eigenen Ich – und gerade darin ganz wesentlich zu sein.

Darin sind sich Christus und die Musik offensichtlich nahe: Sie bewirken, dass wir über uns selbst hinausgeführt werden. Sie schenken Teilhabe am Wesentlichen, am Leben. Beide lassen sie uns etwas von Gott erfahren. Die Musik lässt uns ahnen, dass der Grund allen Seins vertrauenswürdig ist. In Christus können wir erkennen, wer uns in Gott begegnet – kein blindes Schicksal, sondern ein Gegenüber: unseres Vertrauens allemal wert. 
Darum: Amen.

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