14. April 2017 | Greifswalder Dom

Recht und Rechtfertigung

14. April 2017 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt über Lukas 23, 32 - 46 am Karfreitag

Liebe Gemeinde,

am Ende ist der Zugang zu Gott frei. Der Vorhang im Tempel ist zerrissen. Er trennt den Bereich Gottes, das Allerheiligste, von dem Bereich ab, den auch Menschen betreten dürfen. Als Jesus am Kreuz stirbt, zerreißt der Tempelvorhang. Nichts kann uns nunmehr hindern, zu Gott zu kommen. Keine kultische Vorschrift, kein religiöses Gesetz steht noch zwischen Gott und seinen Menschen. Die alte Regel: „Du musst erst das und das tun, dann kannst du zu Gott“, ist aufgehoben. Dabei sind wir auf die Bedingung getrimmt: Wenn du dieses oder jenes erreichen willst, dann musst du das und das tun. Wenn du genug betest, fastest, Gebote erfüllst, ein moralisch anständiges Leben führst, dann kommst du zu Gott. Der Greifswalder Kollege Michael Herbst hat diesen Zusammenhang kürzlich auf die Formel gebracht: „Unser inneres Betriebssystem ist vom Gesetz geprägt und nicht vom Evangelium.“[1]

Im 16. Jahrhundert, zur Zeit Luthers, hatte sich dieses Problem im Verkauf von Ablassbriefen noch einmal zugespitzt. Wenn ich so und so viel Geld zahlte, dann wurden mir bestimmte höllische Qualen erlassen. Luthers Entdeckung war nun: Ablasskaufen ist zu nichts nütze, denn ich bin frei von der Anklage des Gesetzes, weil Jesus Christus für mich gestorben ist. Ich bin gerechtfertigt aus Gnade durch den Glauben an Jesus Christus. Der Vorhang ist zerrissen, der Zugang zu Gott ist frei.

Die Geschichte Jesu Christi ist mit unserer Geschichte verbunden. Weil er als der Sündlose für uns gestorben ist, sind wir frei von der Sünde. Weil er als Erster von den Toten auferweckt wurde, dürfen wir mit ihm in Ewigkeit leben. Das ist das Resultat. Aber es beginnt alles mit einem Justizmord.

Die drei Abschnitte der Predigt orientieren sich an den drei letzten Worten Jesu nach dem Lukasevangelium.

1.    Ein Justizmord und die Folgen

Sowohl Pilatus und Herodes wussten, dass Jesus unschuldig war. Aber sie waren bereit, sich auf offensichtliche „fake news“ einzulassen. Die Vorwürfe, Jesus stachele das Volk zu einem Aufruhr auf, und er rufe dazu auf, dem Kaiser die Steuer zu verweigern, waren bewusste Verleumdung. Trotzdem lässt Pilatus Jesus wider besseres Wissen hinrichten. Mehrfach hatte er versucht, das Volk von der Unschuld Jesu zu überzeugen. Aber das Volk wollte den Tod Jesu. Am Ende heißt es: „Er übergab Jesus ihrem Willen“ (V. 24).

Nicht immer darf die Stimme der Mehrheit die Richtung vorgeben. Wenn die Mehrheit das Recht brechen will, muss der Rechtsstaat dem widerstehen. Es gilt, den Eigenwert des Rechtes zu achten und den Rechtsstaat zu schützen. Das Recht ist ein Bollwerk gegen das Machtstreben des Populismus. Niemand steht über dem Recht, auch kein Präsident und auch kein populärer Politiker, in Deutschland nicht, auch nicht in den USA, der Türkei oder Russland.

Zurzeit Jesu waren Juden und Römer stolz auf ihr Gesetz. Trotzdem wird es sowohl vom jüdischen Hohen Rat als auch vom römischen Statthalter gebrochen, weil sie sich nicht trauen, der lautartikulierten Meinung des Volkes zu widersprechen. So wird Jesus unschuldig zum Tode verurteilt. Er war nicht das erste Opfer populistischer Willkür und ist auch nicht das letzte geblieben.

Jetzt hängt Jesus am Kreuz. Der Justizmord ist eingeleitet. Im Akt der Hinrichtung nun wird der Hingerichtete zum Handelnden. Er sagt ein Wort, das aufmerken lässt. Jesus sagt: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (V. 34) Diese Gebetsanrede ist typisch für Jesus. Für sein Verhältnis zu Gott ist die Bezeichnung „Vater“ beredt. Sie ist Ausdruck seiner Nähe zu Gott. Aber die Bitte, denjenigen, die ihn ans Kreuz gebracht haben, zu vergeben, hat schon immer Widerspruch hervorgerufen[2]. Zwei Einwände hören wir. Der erste lautet: So wird doch die Sünde nicht ernst genommen. Wenn denjenigen, die das Recht gebeugt haben, von Gott vergeben wird, wird Rechtsbeugung sanktioniert. Außerdem - Was heißt: „Sie wissen nicht, was sie tun?“ Haben sie nicht sehr wohl gewusst, was sie getan haben – der Hohe Rat, Pilatus, Herodes, das Volk? Jesus redet offensichtlich von einer höheren Warte. Der zweite Einwand ist noch gewichtiger: Diese Bitte um Vergebung verfälscht das wahre Wesen der Vergebung. Muss nicht der Sünder seine Sünde bekennen, damit sie ihm vergeben werden kann?

Ja, Reue und Umkehr sind die Voraussetzungen eines neuen Anfangs. Und wir wissen, wie schwer es fällt, das Falsche im eigenen Lebensweg zu erkennen. Dann diese Schuld auch zu benennen, ist noch einmal ein großer Schritt. Die Gesellschaft goutiert das Eingeständnis von Schuld in der Regel nicht. Denken Sie an Frau Käßmann! Immer wieder lesen wir von der „Alkoholfahrt“ der Bischöfin. Ihre persönliche Bekanntheit mag zwar gestiegen sein, aber als Bischöfin war sie verbrannt. Oft wird den Betroffenen keine zweite Chance eingeräumt. Aber Gott schenkt dem Vergebung, der seine Schuld bereut. Ohne Reue und Schuldbekenntnis keine Vergebung.

Wir haben dieses Argument gerade auch wieder in den Debatten um Stasi-Kontakte kirchlicher Mitarbeiter gehört. Manch einer sagte: „Ich kann doch nicht vergeben, so lange die Täter ihre Schuld gar nicht einsehen und bekennen.“ Abgesehen davon, dass nicht jeder, den die Stasi in ihren Aufzeichnungen zu einem Mitwirkendem macht, auch ein Mitarbeiter der Stasi gewesen sein muss, bricht der sterbende Jesus am Kreuz mit der Konvention, dass man ohne Schuldbekenntnis nicht vergeben kann.

Jesus kann! Er bittet Gott sogar um Vergebung für eine Schuld, derer sich die Täter nicht bewusst sind. Und was ist das für ein Unrecht, das Jesus geschieht? Gerade noch, in der Vernehmung vor dem Hohen Rat, hat Jesus sich als den von Gott eingesetzten Weltenrichter bezeichnet (Luk 22, 69). Nun vergibt der Weltenrichter das ihm geschehene Unrecht. Die Demut des Weltenrichters könnte größer nicht sein. Unvorstellbar! Gekreuzigt werden soll der, dem Gott das Gericht über die Welt übertragen hat. Und dieser aus dem Weg Geräumte bittet nun seinerseits für die Schuldigen um Vergebung.

Natürlich legitimiert Jesus den Justizmord nicht. Recht bleibt Recht und Unrecht Unrecht. Aber Jesus ermöglicht mit seiner Vergebungsbitte Zukunft selbst für die, die an ihm Unrecht getan haben. Trotzdem ist die Erkenntnis in die eigene Verfehlung nicht überflüssig.

2.    Erkenntnis der eigenen Schuld eröffnet das Paradies

Mit Jesus werden zwei andere Gefangene gekreuzigt, Jesus allerdings in der Mitte. Also soll er der Schlimmste der Verbrecher sein. Der eine der Mitgefangenen lästert: „Was bist du für ein Christus, der selbst den Kreuzestod sterben muss und sich nicht selber helfen kann?“ Der andere nimmt das Urteil einsichtsvoll auf sich. Und er maßregelt seinen Kollegen: „Wir sind zurecht in dieser Situation. Unser Mitverurteilter aber ist unschuldig.“

So ist es im Leben, damals wie heute. Der eine sieht seine Schuld ein, der andere nicht. Gestorben ist Jesus aber für alle Menschen, für die Einsichtigen und für die Uneinsichtigen. Ob die von Jesus erwirkte Sündenvergebung auch zum Ziele kommt, können wir nur für die sagen, die ihre Schuld bereuen.

Schließlich wendet sich der reumütige Verbrecher an Jesus und redet ihn mit Namen an: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (V. 42) Er benutzt keinen Hoheitstitel, er sagt nicht Christus, nicht Meister, sondern einfach Jesus. Er spricht Jesus mit Namen an, wie man einen Freund anspricht. Die Antwort Jesu eröffnet dem Verbrecher, der seine Taten bereut, den Himmel. Hier zeigt sich die Autorität Jesu als Weltenrichter, denn er sagt ihm zu: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ (V. 43). Natürlich gilt diese Zusage der Aufnahme in Gottes ewige Welt nicht nur in diesem besonderen Fall. Wer im Glauben stirbt, darf darauf vertrauen, dass auf seinen Abschied aus dieser Welt eine Ankunft in Gottes neuer Welt, im Paradies, folgt.

3.    Seliges Sterben

Von 12 Uhr bis 15 Uhr hängt Jesus am Kreuz, ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Am Ende spürt er den Tod nahen und übergibt sein Leben an Gott, seinen Vater.

Der hier stirbt, hat eine einzigartige Nähe zu Gott. Er hat im Laufe seines Lebens Gott als Vater, mit der aramäischen Koseform „Abba“, Papa, angeredet. Sein ganzes Leben geschah vor dem Angesicht Gottes, immer im Aufblick zu Gott. In diese vertraute Beziehung zu Gott als Vater will er uns, die wir an ihn glauben, mit hineinnehmen. Deswegen heißt das Gebet, das er seinen Jüngern gelehrt hat: „Vater Unser“.

In seinem Sterben befiehlt Jesus sich in Gottes gute Hände. Die Formulierung, die er braucht: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“ ist aus dem Gebetsbuch Israels, dem Psalter (Psalm 31, 6) genommen. Und auch hier ist es wieder typisch, wie Jesus dieses Gebet aufnimmt. Er zitiert wörtlich, fügt aber die Vateranrede hinzu. Mit dem lauten Schrei dieses Psalmwortes gibt Jesus seinen Geist auf.

Vor einigen Jahren stieß ich im Bibelmuseum in Münster auf ein bisher nicht veröffentlichtes Lutherwort. In einer Lutherbibelausgabe von 1545 schrieb Martin Luther mit eigener Hand: „Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. (Joh. 3,17) Das ist deutlich und dürre gesagt, was Christus sei und wofür man ihn halten soll: Nämlich nicht für einen Richter und zornigen Herrn, sondern für einen lieblichen Heiland und tröstlichen Freund. 1546 Martinus Luther“.

Kurz vor seinem Tod, der Luther am 18. Februar 1846 ereilte, fasst Luther mit diesen sehr persönlichen Worten noch einmal seine reformatorische Entdeckung zusammen. Sie könnte auch als Quintessenz des Berichtes vom Sterben Jesu nach Lukas bezeichnet werden. Im Sterben Jesu sehen wir, dass Gott, wie er sich in Jesus gezeigt hat, nicht ein „Richter“, oder „zorniger Herr“, sondern ein „lieblicher Heiland und tröstlicher Freund“ ist. Das ist die Botschaft des Karfreitag: Der Himmel ist offen, der Zugang zu Gott ist frei. Nun lasst euch einladen, euren Platz am Tisch des Herrn, im Reich Gottes, einzunehmen. Dafür ist er gestorben.
Amen.


[1] M. Herbst, Evangelium; Plenumsvortrag beim Kongress „Dynamissio“ am 23. März 2017 in Berlin, 8.

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